„Pizzera & Jaus“ am Donauinselfest in Wien
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Musiker in der CoV-Krise

Keine Auftritte, kaum Einnahmen

Mit dem Fortschreiten der Digitalisierung hat sich die Musikbranche in den vergangenen 20 Jahren grundlegend gewandelt. Das Livegeschäft ist für Musikschaffende zur wichtigsten Einnahmequelle geworden, rund um Konzerte und Festivals haben sich zahlreiche Wirtschaftszweige etabliert. Die Coronavirus-Krise trifft so nicht nur den Musiksektor hart – auch der volkswirtschaftliche Schaden ist enorm.

Die Ausbreitung des Coronavirus hat das kulturelle Leben hierzulande zum Erliegen gebracht. Wann Konzerte und Festivals wieder stattfinden können und unter welchen Bedingungen, ist im Moment völlig unklar. Die wirtschaftlichen Folgen des Stillstands sind beträchtlich.

Betrachte man die gesamte Wertschöpfung des Livemusiksektors in Österreich, dann habe der zweimonatige „Shut-down“ bisher einen Schaden von einer halben Milliarde Euro angerichtet, sagte der Wirtschaftswissenschaftler Peter Tschmuck, der in Wien an der Universität für Musik und darstellende Kunst zum Musikmarkt forscht, gegenüber ORF.at. „Auf ein halbes Jahr hochgerechnet wäre das eine Milliarde Euro“, so Tschmuck.

Auf und abseits der Bühne

Wie hoch die Wertschöpfung des Musikveranstaltungssektors in Österreich ist, wurde zuletzt vor zehn Jahren erhoben. Die damals vom Institut für Höhere Studien (IHS) durchgeführte Untersuchung bilde die Grundlage seiner „sehr, sehr groben“ Berechnung zu den wirtschaftlichen Auswirkungen des „Shut-down“, so Tschmuck.

Die Wertschöpfung eines Konzerts generiert sich auf und abseits der Bühne. „Wir haben die direkte Wertschöpfung – alles, was durch die Veranstalter selbst, die Kunstschaffenden und Interpretinnen und Interpreten erwirtschaftet wird“, erläuterte Tschmuck. In den Bereich der „indirekten“ Wertschöpfung fallen die Einnahmen und Umsätze aus Beleuchtung, Ton- und Bühnentechnik, Tourgastromomie – „alles, was man braucht, um ein Konzert zu ermöglichen“. Weiters zu berücksichtigen seien die „induzierten Effekte“, etwa die Ausgaben einer Festivalbesucherin für ein Hotelzimmer oder eine Taxifahrt.

Existenzbedrohende Krise

Für die Musikerinnen und Musiker ist die derzeitige Situation existenzbedrohend. Seit Mitte März haben sie wenig bis kein Einkommen. Am Mittwoch wandte sich die freie österreichische Musikszene in einem offenen Brief an die Bundesregierung. Darin wird unter anderem die Forderung nach einer „unbürokratische Soforthilfe“ in Form eines monatlichen Einkommens von 1.000 Euro bis zum Jahresende erhoben.

Während der Ausgangsbeschränkungen haben viele Musikerinnen und Musiker Konzerte in den eigenen vier Wänden gegeben und ihre Fans daran via Livestream teilhaben lassen. Die freie Musikszene verlangt in ihrem offenen Brief, dass Musikschaffende für solche „Onlineaufführungen“ künftig um Förderungen ansuchen können. Ebenfalls gefordert wird eine „erhöhte Anzahl von geförderten Auftritten im Rundfunk (Radio und Fernsehen) und auf digitalen Plattformen“. Freiluftkonzerte könnten mit einem Livestream kombiniert werden.

Sommernachtskonzerts im Schlosspark Schönbrunn
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Wann Großveranstaltungen wie das Sommernachtskonzert der Wiener Philharmoniker wieder stattfinden können, ist momentan nicht absehbar

Die Musikwirtschaft sei ein „extrem komplexes Spielfeld“ und habe unterschiedliche Bedürfnisse, sagte der Musikmanager Hannes Tschürtz am Dienstag zu Ö1. Gemeinsam hätten viele Künstlerinnen und Künstler aber, dass sie schon vor der Krise „von der Hand in den Mund“ gelebt hätten. Die bestehenden Regeln des Härtefallfonds seien für die Musikindustrie nicht anwendbar, so Tschürtz – Audio dazu in oe1.ORF.at. Auf Facebook präzisierte er seine Forderungen: So sollte man Kunstschaffenden Ausfälle ausgleichen, ihre Infrastruktur, etwa Veranstaltungslokale, stützen und „Modelle für Investitionskapital schaffen, wie man es etwa aus der Start-up-Welt kennt“.

Wirtschaftswissenschaftler Tschmuck schlägt „differenzierte Förderinstrumente“ vor. Musikerinnen und Musiker brauchten „Unterstützung für ausgefallene Honorare. Und letztlich sogar für die Lebensführung.“ Ebenfalls Hilfe benötigten die zahlreichen kleinen und mittleren Ausrichter von Konzerten, darunter die vielen gemeinnützigen Kulturvereine, die aus den derzeitigen Förderprogrammen hinausfallen. Hier müsse man unterscheiden „zwischen dem Veranstaltungsbereich, der staatlich gefördert wird, und den Bereichen, die sehr stark vom Markt abhängig waren. Letztere brauchen sehr rasch und massiv Unterstützung.“

Folgen der Digitalisierung

Die finanzielle Bedeutung von Konzerten und Festivals ist in den vergangenen beiden Jahrzehnten stark gestiegen. Anfang des Jahrtausends erfasste die Digitalisierung die Musikbranche. Die Umsätze aus dem Verkauf physischer Tonträger stürzten weltweit ab, die Einnahmen aus kostenpflichtigen Downloads konnten das Minus bei Weitem nicht wettmachen. Daher „sind die Einkommensquellen für die Künstlerinnen und Künstler immer stärker in den Livebereich gewandert“, so Tschmuck.

Festivalgelände des „Nova Rock“
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Nova Rock im Burgenland (Bild aus 2019): Rund um Festivals haben sich zahlreiche Wirtschaftszweige gebildet

„Im Pop war der Livebereich bis Anfang der 2000er Jahre eigentlich eine Art Promotiontool, um letztlich Alben zu verkaufen. Die Labels haben das damals sogar noch unterstützt“, sagte Tschmuck. „Mit der Digitalisierung hat sich das quasi umgedreht. Heute ist es letztendlich so, dass ein Künstler auf Tournee geht, und das Album ist eigentlich nur noch ein Promotiontool für das Konzert.“ Mit dem Aufkommen von Streamingdiensten gingen die Einnahmen der Musikerinnen und Musiker weiter zurück. Regelmäßige Konzerte und Tourneen wurden zur ökonomischen Notwendigkeit, um überhaupt ein Einkommen zusammenzubekommen.

Kulturbranche begehrt gegen Stillstand auf

Am Freitag dürfen in Österreich unter strengen Sicherheitsvorkehrungen neben den Lokalen auch die Museen, Bibliotheken, Büchereien und Archive wieder aufsperren. Am selben Tag will Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek (Grüne) einen Fahrplan für die Kulturbranche vorlegen.

In den vergangenen Tagen war der Unmut unter den Kulturschaffenden, Festivalveranstaltern und in der Eventbranche über die unklare Lage gewachsen. Zahlreiche Künstlerinnen und Künstler schlossen sich zu einer Initiative zusammen, die per Petition einen Rettungsschirm für die Branche forderte. Die Auswirkungen der Pandemie auf „Kunst, Kultur, Event- und Kreativwirtschaft sind dramatisch. Unsere Branchen wurden als erste zugesperrt und wir werden auch zu den letzten gehören, die ihre Arbeit wieder voll aufnehmen können“, hieß es.

Lukas Resetarits in der ZIB2

Kabarettist Lukas Resetarits erklärt die Beweggründe für die Veröffentlichung jenes Videos, in dem er den Umgang der Regierung mit der Kulturbranche kritisiert.

Mitinitiator war der Kabarettist Lukas Resetarits. Er hatte in den vergangenen Tagen mit einem Video für Aufsehen gesorgt, in dem er hart mit Lunacek ins Gericht ging. In der ZIB2 bekräftigte er seine Kritik am Krisenmanagement der Regierung. „Ich bin wütend, weil das eine Missachtung unserer ganzen Branche ist.“ Man sei nicht kontaktiert worden, auch wenn sich die gesamte Branche, die den Grünen in der Vergangenheit viel Rückhalt gegeben habe, in der Pandemie vorbildlich verhalten habe, so Resetarits.

Anschober bittet Kulturschaffende um Verständnis

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) kündigte unterdessen „bis zum 29. Mai einen zweiten größeren Schritt“ an, was die Lockerungen der CoV-Maßnahmen für den Kunst- und Kulturbereich betrifft. Dabei werde es etwa um „kleine und mittlere Theateraufführungen und Ähnliches mehr“ gehen – allerdings „unter geschützten Rahmenbedingungen“, sagte Anschober zu oe24.TV.

Es werde „gar nicht so einfach sein, Lösungen zu finden, etwa für Filmschaffende bei großen Filmproduktionen. Oder auch Lösungen für Chöre zu finden. Mein Ziel ist aber: Schaffen wir es – und da bin ich mir mit Ulrike Lunacek einig –, dass über den Sommer kleine und mittlere Veranstaltungen möglich werden, die im Sitzen stattfinden und wo man einen Abstand schaffen kann. Und daran arbeiten wir.“

Er verstehe die Kritik der Kulturschaffenden, ersuche aber „um Verständnis, dass wir nicht alles gleichzeitig machen können. Der Gesundheitsschutz ist eben erste Priorität. Davon ausgehend wollen wir unser Leben schrittweise wieder normalisieren. Dazu gehört ganz zentral der Kulturbereich“, so Anschober.