Österreichische Grenze zu Tschechien
AP/Ronald Zak
Grenzöffnungen

EU wird zu Fleckerlteppich

Die Grenzen werden langsam wieder geöffnet: Sollte sich die derzeitige Entwicklung fortsetzen, sind die Grenzen zwischen Österreich, Deutschland und der Schweiz ab 15. Juni wieder komplett offen. An vielen anderen Grenzen innerhalb der EU ist die Situation noch nicht so klar – zwischen den Staaten entsteht bei den Regeln damit ein Fleckerlteppich. Und: Auch beim Tempo herrscht keine Einigkeit.

So hieß es am Mittwoch von der EU-Kommission, dass die Staaten ihre Grenzen nur schrittweise und untereinander abgestimmt wieder öffnen sollen. Kontrollen sollen erst dort abgeschafft werden, wo es vergleichbar niedrige Infektionszahlen beiderseits der Grenze gebe, so der veröffentlichte Vorschlag der Kommission.

EU-Ratschef Charles Michel forderte unterdessen ein schnelles Ende der Grenzkontrollen in Europa. Er rufe dazu auf, die Grenzen so bald wie möglich wieder zu öffnen, sagte Michel am Mittwoch bei einer Plenarsitzung des Europäischen Parlaments in Brüssel. Der freie Personenverkehr sei auch sozial gesehen wichtig sei, betonte Michel. Er hoffe, dass die EU-Staaten stimmige Entscheidungen treffen werden.

Kommission will „flexibles“ Vorgehen

Zurückhaltender klingt die Kommission: Das Vorgehen beim Öffnen der Grenzen müsse „flexibel“ sein und die Wiedereinführung von Kontrollmaßnahmen beeinhalten, wenn sich die Lage wieder verschlechtere. Ziel sei es, die Bewegungsfreiheit innerhalb der EU vollständig wiederherzustellen.

Die Kommission verweist regelmäßig darauf, dass die Kontrollen nicht nur die Reisefreiheit im Schengen-Raum beeinträchtigen, sondern auch das Funktionieren des EU-Binnenmarkts. Die Kommission kann allerdings nur unverbindliche Empfehlungen aussprechen. Die von den EU-Mitgliedern getroffenen Maßnahmen sollen auch nicht durch die Empfehlungen der EU-Kommission ersetzt werden.

Öffnung in Schritten

Schon am Wochenende beginnt die schrittweise Öffnung der Grenzen zwischen Österreich, Deutschland und der Schweiz, ab 15. Juni sollen sie komplett offen sein. Ab dieser Woche wird es an den Grenzen zwischen Österreich und Deutschland nur noch stichprobenartige Kontrollen geben, kündigten beide Länder an. Voraussetzung sei aber, dass das Infektionsgeschehen weiter zurückgehe, sagte der deutsche Innenminister Horst Seehofer. Seehofer nannte die Abschaffung der Kontrollen mit 15. Juni ein „Ziel“, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“.

Es sei die „klare Zielsetzung“ der deutschen Regierung, dass es ab Mitte Juni wieder einen freien Reiseverkehr in Europa gebe, so Seehofer weiter. Die deutsche Regierung empfehle zudem, dass die deutschen Bundesländer die bestehenden Quarantänevorschriften für EU-Binnenreisen aufheben. Bayern erklärte schon, an der Regelung festhalten zu wollen. Dafür soll es auch über den 15. Mai hinaus keine Einreisen aus Spanien und Italien geben – da sei man sich mit Österreich, Frankreich und der Schweiz einig, sagte Seehofer weiter.

Grafik zu Kontrollen an Österreichs Grenzen
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Sollte das Infektionsgeschehen den Behörden entgleiten, es also im grenznahen Raum mehr als 50 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner innerhalb einer Woche geben, müssten die Lockerungen zurückgenommen werden, sagte Seehofer am Mittwochabend in der ARD-Talksendung „Maischberger.die woche“. Das würde „in vollkommener Übereinstimmung mit unseren Nachbarn“ erfolgen. Deutschland sei keine Insel.

Tschechien strebt anderen Kurs an

In Tschechien zeichnet sich unterdessen ein anderes Vorgehen ab. Ministerpräsident Andrej Babis zeigte sich zurückhaltend zu einer baldigen Öffnung der Grenze für deutsche Reisende. Die Situation in der Coronavirus-Pandemie sehe in Deutschland – insbesondere in Bayern – „nicht ideal“ aus, sagte Babis am Mittwoch der Zeitung „Blesk“.

Babis setzt nach eigenen Worten auf eine beiderseitige Grenzöffnung im Rahmen des „Austerlitz-Formats“, dem neben Tschechien auch die Slowakei und Österreich angehören – nicht aber Deutschland. Das könne bereits am 8. oder 15. Juni geschehen, kündigte Babis an. Dennoch ermunterte er seine Bürgerinnen und Bürger, den Sommerurlaub im eigenen Land zu verbringen. „Es würde uns freuen, wenn die Leute zu Hause bleiben und ihr Geld hier ausgeben“, sagte der 65-Jährige.

Söder mahnt zu Besonnenheit

Angesichts der Lockerungen der Kontrollen an der österreichischen Grenze mahnt der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zu Besonnenheit. „Besonnenheit und Vorsicht ist sozusagen die oberste Stellschraube“, sagte Söder am Mittwoch im ZDF-„Spezial“. Trotzdem sei es gut, dass es nun Erleichterungen gebe, vor allem im unmittelbaren Grenzverkehr. Er warnte jedoch auch: Sollten sich die Infektionszahlen bis Mitte Juni deutlich erhöhen, könnten die Maßnahmen zur Beschränkung noch einmal verlängert werden. Es brauche einen Mix aus Beschlüssen der Länder und der Regionen.

Italien protestiert gegen „Tourismuskorridore“

Italien zeigte sich am Abend von den bilateralen Abkommen zwischen einzelnen EU-Ländern wenig angetan. „Wir werden keine bilateralen Abkommen zulassen, die in Europa bevorzugte Korridore für Touristen schaffen. Das würde die Zerstörung des gemeinsamen EU-Markts bedeuten“, so Premier Giuseppe Conte bei einer Pressekonferenz in Rom.

Conte sagte, er habe über das Thema ein Telefongespräch mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geführt. „Touristenkorridore zu schaffen würde bedeuten, dass der Tourismusmarkt, der allein in Italien 13 Prozent des Bruttoinlandprodukts ausmacht, verzerrt wird. Das ist in einem freien Markt unannehmbar“, sagte Conte bei der Pressekonferenz zur Vorstellung einer milliardenschweren Hilfspakets, das unter anderem Stützungsmaßnahmen für den schwer betroffenen Tourismussektor vorsieht.

EU gegen Diskriminierung

Von „besonderer Bedeutung“ sei, dass bei den Grenzöffnungen nicht nach Nationalität diskriminiert werden dürfe, sagte EU-Vizekommissionspräsidentin Margrethe Vestager bei der Präsentation der EU-Vorschläge in Brüssel. Die Einreise müsse „aus allen Gebieten, Regionen und Ländern in der EU“ erlaubt werden, in denen es ähnlich günstige Entwicklungen gebe.

Sie forderte Offenheit darüber, was über die Verbreitung des Coronavirus bekannt sei und was nicht, damit informierte Entscheidungen getroffen werden könnten. Vestager kündigte die Schaffung einer Website an, die einen Überblick über Situation und Maßnahmen in den verschiedenen Ländern bietet.

Strenge Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen

Die Kommission veröffentlichte auch Richtlinien, wie Konsumenten und Konsumentinnen trotz der Pandemie wieder in Hotels übernachten, in Restaurants essen und Strände nutzen könnten. Strenge Hygiene- und Sicherheitsregeln wie eine Begrenzung der Gästezahl sollen eingeführt werden. Der Besuch des Pools muss womöglich vorab gebucht werden, damit dort nicht zu viele Menschen sind. Voraussetzung sei immer, dass die Infektionsraten niedrig seien, dazu brauche es auch ein robustes Monitoring.

Zudem stehe die Sicherheit der Menschen zu allen Zeiten im Vordergrund. Auch wenn die Grenzen zwischen den europäischen Ländern schrittweise geöffnet werden, müssten die jeweiligen Vorgaben zum Abstand von Personen und zur Hygiene beachtet und eingehalten werden, schreibt die Kommission. Masken seien eine zusätzliche Schutzmaßnahme, sollten aber Hygiene und Abstandhalten nicht ersetzen.

Grenzen zu Deutschland und Schweiz öffnen mit 15. Juni

Mit 15. Mai soll an den österreichisch-deutschen Grenzen nur noch stichprobenartig kontrolliert werden, ab 15. Juni sollen die Grenzen zu Deutschland und der Schweiz dann wieder komplett offen sein.

Die Kommission wird die Mitgliedsländer auch zum Einsatz von Coronavirus-Apps auffordern – allerdings auf freiwilliger Basis. Als Teil des Maßnahmenpakets sollen die Apps bei der Aufhebung von Grenzkontrollen und der Wiederbelebung der Tourismus- und Reisebranche unterstützend wirken. Dabei müsse aber insbesondere die grenzüberschreitende Funktionsfähigkeit der Apps sichergestellt werden.

Urlaub nur bei ausreichend medizinischer Versorgung

Nach Vorstellung der EU-Kommission soll Urlaub nur in Regionen ermöglicht werden, die gegebenenfalls auch für die medizinische Versorgung, Testung und Isolierung von Gästen und Einheimischen ausreichend Kapazitäten haben. Das sei besonders wichtig für Regionen, die von medizinischen Einrichtungen weiter entfernt sind.

„Wir schlagen einen gemeinsamen europäischen Ansatz für eine schwierige Sommersaison 2020 vor“, fasste der EU-Kommissar für Industrie und Binnenmarkt, Thierry Breton, das „Tourismus- und Transport-Paket 2020“ zusammen. „Gleichzeitig bereiten wir uns auf ein ‚nachhaltigeres und digitales Tourismus-Ökosystem‘ für die Zukunft vor“, sagte er und unterstrich die Bedeutung von Innovationen und Kreativität.

Reisende aus USA und Asien müssen weiter warten

Die Beschränkungen für Einreisen von außen in die 26 Länder des Schengen-Raums in Europa sollen nach dem Willen der EU-Kommission um einen Monat verlängert werden – und damit bis zum 15. Juni gelten. Das betrifft vor allem Reisende aus Asien und den USA. Hier wurden zuletzt fast alle Flüge gestrichen. Derzeit gelten im Schengen-Raum, in dem in normalen Zeiten die Grenzen nicht kontrolliert werden, in mindestens 17 Ländern Reisebeschränkungen.