Männer mit Mundschutz am Roten Platz in Moskau
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Pandemieentwicklung

Viele Parallelen zwischen Russland und USA

Mit fast 1,4 Millionen bestätigten Infektionen hat es bisher in keinem Land der Welt mehr Coronavirus-Fälle gegeben als in den USA. Es folgt Russland mit rund 250.000 Fällen, wobei dort ein extrem hoher Anstieg an Neuinfektionen verzeichnet wird. Obwohl die Lage angespannt ist, werden Lockerungen der Sicherheitsmaßnahmen in beiden Staaten vorangetrieben. Auch sonst lässt sich die Entwicklung der Pandemie in mehrfacher Weise vergleichen.

Die offensichtlichste Parallele ist die enorme Größe der beiden Staaten. Zwar hat Russland mit 144 Millionen Einwohnern eine deutlich niedrigere Bevölkerungszahl (USA: 323 Mio.) und eine wesentlich geringere Einwohnerdichte, doch in beiden Staaten sorgt die schiere Landmasse innerstaatlich für sehr unterschiedliche Lebens- und Strukturbedingungen, die von der Gesundheitsversorgung bis zu den klimatischen Bedingungen reichen. Das macht auch die Balance im regionalen Krisenmanagement extrem schwierig – weswegen sowohl US-Präsident Donald Trump als auch der russische Präsident Wladimir Putin durch die Krise unter Druck geraten.

Obwohl die Pandemie in beiden Staaten derzeit vorrangig in den großen Städten wütet – in den USA vor allem in New York, in Russland in Moskau –, wurden die Vorsichtsmaßnahmen beiderorts auf das gesamte Land ausgedehnt. Das sorgte da wie dort für einen heftigen Einbruch der Wirtschaft und ein rasches Wachstum der Arbeitslosigkeit. Russland kämpft zudem besonders stark mit dem Preisverfall bei Öl.

Wirtschaft soll wieder starten

Der Druck für ein „Wiederhochfahren“ der Wirtschaft ist groß – wohl auch deswegen verordnete Putin zu Beginn der Woche ausgerechnet auf dem lokalen Höhepunkt der Pandemie das Ende des landesweit verordneten bezahlten Urlaubs. Nach sechs Wochen Zwangssperre sollen die Menschen wieder an ihre Arbeitsplätze zurückkehren – so es diese noch gibt. Es liege „in unser aller Interesse, dass sich die Wirtschaft schnell wieder normalisiert“, so Putin, der auch Hilfsmaßnahmen versprach.

Vladimir Putin bei einer Videokonferenz
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Putin gab sich in der Krise auffällig zurückhaltend

Auch Trump drängt bekanntlich auf eine baldige Rückkehr zur Normalität. Er beharrt regelmäßig auf dem Impfstoff als Entlastungsfaktor und sprach zuletzt wiederholt davon, dass sich die Pandemie dem Ende zuneige. Am Mittwoch drängte er trotz Warnungen vor einer Herbstwelle auf die Wiedereröffnung von Schulen und Universitäten, sein Finanzminister Steven Mnuchin warnte gleichzeitig vor einer „zerstörten Wirtschaft“, wenn man zu lange mit der Öffnung warte.

Wahre Macht bei Regionen

Die Entscheidung zur Lockerung der Auflagen liege bei den 50 US-Bundesstaaten. Trump war wiederholt in Konflikt mit jenen geraten, die strikte Maßnahmen verhängt und auf deren Einhaltung bestanden hatten. Das sorgte für eine heftige Polarisierung der Debatte. Mittlerweile marschieren etwa in Michigan regelmäßig Bewaffnete auf, um gegen die Schutzmaßnahmen zu protestieren. Trotz Druck von Trump kommt der Regionalpolitik eine Schlüsselrolle zu – ähnlich wie in Russland. Laut Politikbeobachtern aus Russland hielt sich Putin im Krisenmanagement auffallend zurück und verlagerte die Entscheidungen auf die einzelnen Regionen.

„Unser Land ist groß, die Situation ist unterschiedlich. Wir können nicht überall mit dem gleichen Modell arbeiten“, sagte Putin dazu. Daher sind weitere Lockerungen abseits der Wiederaufnahme des Arbeitslebens auch den Gouverneuren der Regionen überlassen worden. In Moskau gilt etwa nach wie vor Schutzmasken- und Handschuhpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln und in Supermärkten. Menschen über 65 Jahre und mit chronischen Erkrankungen müssen weiter zu Hause bleiben. Kritiker warfen Putin deswegen vor, sich wegzuducken.

Angst vor Verteilung des Virus

Die Rückkehr zur Normalität ist jedenfalls sowohl in Russland als auch in den USA mit dem erheblichen Risiko behaftet, dass sich das Virus von den Hotspots in den Städten weiter ins Landesinnere ausbreitet. Schlechte Nachrichten gab es für die USA in dieser Hinsicht bereits: In einem Bericht vom 7. Mai, der NBC News vorliegt, wurden Nashville (Tennessee), Des Moines (Iowa), Amarillo (Texas), Racine (Wisconsin), Garden City (Kansas) und Central City (Kentucky) als neue Cluster angeführt. Betroffen sind traditionell republikanische Bundesstaaten, in denen sich die Gouverneure weigerten, Ausgangsbeschränkungen zu erteilen, oder die Trumps Rat befolgten, die Maßnahmen rasch zu lockern.

Donald Trump
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Trumps Haltung zur Krise hat in den vergangenen Wochen immer wieder für Aufruhr gesorgt

Russland kämpft unterdessen auch an den Rändern des Landes mit steigenden Fallzahlen. Als Risikogebiet erwies sich zuletzt das Grenzgebiet zu China, dem Ausgangsort der Pandemie. Die Grenze ist zwar geschlossen, trotzdem dürfte ein Austausch stattfinden – denn China meldete zuletzt verstärkt importierte Fälle aus Russland. Befürchtet wird, dass die Wiederaufnahme der Wirtschaft nun für eine weitere Verbreitung des Virus im Land sorgen könnte.

Putin und Trump unter Druck

Politisch sind Trump und Putin in der Coronavirus-Krise an mehreren Fronten heftig unter Druck geraten. Zum einen gibt es eben den Faktor Wirtschaft – eine positive Entwicklung war bisher bei beiden Politikern ein wesentliches Rückgrat ihrer Beliebtheit. Zum anderen mussten beide herbe Kritik wegen ihres Managements der Krise einstecken.

Laut einer Umfrage des Senders ABC von vergangener Woche stellen 57 Prozent der US-Amerikaner Trumps CoV-Politik ein schlechtes Zeugnis aus – viele werfen ihm vor, die Situation zu lange verharmlost und zu spät reagiert zu haben, zudem empörte er immer wieder mit auffälligen Aktionen – etwa Attacken gegen seinen Krisenstab oder der gefährlichen Empfehlung, sich mit der Einnahme von Desinfektionsmittel vor dem Virus zu schützen. Letzteres habe Trump sarkastisch gemeint, sagte er nach herber Kritik.

Skepsis über niedrige russische Opferzahlen

Die russische Regierung muss sich unterdessen Vorwürfe gefallen lassen, dass die russischen Todeszahlen geschönt seien. Auf 242.271 Infektionen kamen laut Statistik vom Mittwoch gerade einmal 2.212 Todesfälle – Putin sprach deswegen auch von einem erfolgreichen Kurs in der Krise. Vizeregierungschefin Tatjana Golikowa betonte, tatsächlich seien die Sterbezahlen knapp 87 Prozent niedriger als im weltweiten Vergleich.

Bei Kritikern sorgt das für Skepsis: Sie monieren, dass lediglich klare Fälle mit der Todesursache Covid-19 in die Coronavirus-Statistik kämen. Wer mit dem Virus an einer Lungenentzündung oder an einem Herzinfarkt stirbt, fällt – anders als in anderen Ländern – aus der Statistik heraus. Der Wissenschaftler Alexander Gil begründete die niedrigen Todeszahlen hingegen laut „Komsomolskaja Prawda“ mit der Verpflichtung über 65-Jähriger zur häuslichen Selbstisolation.

Krise zur Unzeit

Ob Trump oder Putin, für beide Politiker kommt die Krise jedenfalls zur Unzeit – sie stehen vor wichtigen politischen Weichenstellungen. Putin wollte eine Verfassungsreform durchbringen, die ihm den Weg zu weiteren Amtszeiten ebnen soll. Das Referendum dafür hätte am 22. April stattfinden sollen, wurde jedoch auf unbestimmte Zeit verschoben. Und Trump stellt sich bekanntlich im Herbst der Wiederwahl – spannend bleibt, welche Auswirkungen die Coronavirus-Krise darauf haben wird.