Der europäische Gerichtshof in Luxemburg
Reuters/Francois Lenoir
Indexierte Familienbeihilfe

EU-Kommission klagt Österreich

Die EU-Kommission hat eine Klage gegen die Indexierung der Familienbeihilfe beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingereicht – und damit den letzten Schritt im mehrstufigen Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich gemacht. Die Regierung hält mit der Begründung an der Indexierung fest, es handle sich dabei um eine „Frage der Gerechtigkeit“.

Nach Ansicht der EU ist aber genau das Gegenteil der Fall. Der von der ÖVP-FPÖ-Regierung eingeführte Mechanismus verstoße gegen die geltenden Vorschriften zur Koordinierung der sozialen Sicherheit und sei diskriminierend, da damit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in Österreich in vollem Umfang Beiträge leisten, weniger erhalten als jene, deren Kinder in Österreich leben. Die Indexierung gelte außerdem nicht für österreichische Staatsangehörige, die im Ausland für eine österreichische Behörde arbeiten und deren Kinder mit ihnen dort leben – obwohl ihre Situation vergleichbar sei.

„Gerade während der Coronakrise hat sich gezeigt, wie wichtig Arbeitnehmer aus dem EU-Ausland für die Aufrechterhaltung des sozialen und wirtschaftlichen Lebens in Österreich sind“, teilte EU-Kommissionsvertreter Martin Selmayr am Donnerstag mit.

Die Klage vor dem EU-Höchstgericht ist der letzte Schritt im Vertragsverletzungsverfahren, das die Kommission im Jänner 2019 mit der Übermittlung eines Aufforderungsschreibens an Österreich eingeleitet hatte. Die Antwort Österreichs und die Beibehaltung der Indexierung seien „nicht zufriedenstellend“ gewesen, urteilte die Kommission im Juli 2019. Weil sich seitdem nichts geändert hat, wurde nun die Klage eingereicht.

ÖVP lehnt Rücknahme ab

Die ÖVP lehnt die Rücknahme der Indexierung ab und will die Entscheidung des EuGH abwarten. „Es steht der EU-Kommission frei, den EuGH zu befassen, wenn diese Zweifel an der europarechtlichen Vereinbarkeit der Indexierung hat“, hieß es in einer erste Reaktion von Familienministerin Christine Aschbacher (ÖVP). Nun liege es am EuGH, darüber zu befinden. „Für uns bleibt es aufgrund der unterschiedlichen Lebenserhaltungskosten in der EU weiterhin eine Frage der Gerechtigkeit“, so die Ministerin. Laufende Verfahren würden jedoch nicht weiter kommentiert.

Einsparen wollte Türkis-Blau mit der als Prestigeprojekt forcierten Indexierung 114 Millionen Euro jährlich. Gemäß einer parlamentarischen Anfragebeantwortung waren es im Vorjahr nur 62 Millionen.

Auch Bundesfinanzgericht befasste EuGH

In der Coronavirus-Krise war zuletzt wieder Kritik an der Maßnahme laut geworden, weil sie auch dringend benötigte 24-Stunden-Betreuerinnen trifft. Die noch unter Türkis-Blau beschlossene Indexierung der Familienbeihilfe wurde zuvor auch schon vom Bundesfinanzgericht vor den EuGH gebracht.

Anlassfall war die Beschwerde einer tschechischen Grenzpendlerin gegen die Kürzung ihrer Familienbeihilfe sowie 38 weitere Beschwerden beim Bundesfinanzgericht. Den zuständigen Richtern wurde laut Gerichtssprecher empfohlen, mit der Entscheidung auf den Spruch des EuGH zu warten.

Argumentiert wurde die Gesetzesinitiative beim Beschluss damit, dass es vom Wohnort abhänge, wie hoch die Lebenshaltungskosten seien. Daher sei es unfair, wenn überall dieselbe Summe ausbezahlt werde. Dagegengehalten wird, dass die ausländischen Arbeitnehmer durch ihre Abgaben ebenso wie inländische Dienstnehmer ins österreichische Sozialsystem einzahlen.

SPÖ begrüßt Klage

Die SPÖ-Europaabgeordneten Andreas Schieder und Evelyn Regner dagegen sahen in der Entscheidung der EU-Kommission „ein wichtiges Signal für mehr Gerechtigkeit“. Statt Menschen „anständig zu bezahlen, werden sie staatlich organisiert extra eingeflogen oder mit Sonderzügen ins Land gebracht“, hieß es in einer Aussendung unter Verweis auf osteuropäische Pflegekräfte.

„Die 24-Stunden-BetreuerInnen zahlen in unser System ein und leisten hier ihre Abgaben. Diese Scheindebatte auf dem Rücken der Schwächsten ist unsozial, europarechtswidrig und nicht mehr als ein Relikt aus der schwarz-blauen Regierung. In einem gerechten Europa sind alle Kinder gleich viel wert. Das wird auch Bundeskanzler (Sebastian, ÖVP, Anm.) Kurz erkennen müssen“, so Regner.

Auch Grüne gegen Indexierung

Auch die Grünen begrüßen die Klage. Monika Vana, Delegationsleiterin der österreichischen Grünen, bezeichnete das Verfahren als „längst überfällig“. Die Indexierung der Familienbeihilfe sei „ein Angriff auf das Grundrecht der Freizügigkeit der ArbeitnehmerInnen“.

Man habe diese „stets kritisiert“, erklärte die Grünen-Sprecherin für Senioren und Pflege, Bedrana Ribo, am Donnerstag in einer Aussendung. Familiensprecherin Barbara Neßler wünscht sich eine Rücknahme der unter Türkis-Blau auf den Weg gebrachten Maßnahme.

Die von der Regelung besonders betroffenen Pflegekräfte aus den Nachbarstaaten leisten in der 24-Stunden-Betreuung „Enormes und verdienen faire Bedingungen“, erklärte Ribo. Neßler wies darauf hin, dass Personen, die in Österreich arbeiten und hier Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen, bei Sozialleistungen nicht benachteiligt werden dürften. Zudem müsse jedes Kind gleich viel wert sein. Dafür wollen sich die Grünen weiter innerhalb der Regierung einsetzen.

NEOS hofft auf Rücknahme

NEOS-Familiensprecher Michael Bernhard nannte ebenfalls in einer Aussendung das Vorgehen von Türkis-Blau fahrlässig. Es trete nun ein, wovor NEOS und unzählige Rechtsexperten seit Langem warnten. Er hoffe, dass dieses Verfahren nun endlich den Anstoß bringe, die Indexierung zurückzunehmen: „Gerade in Zeiten, in denen die Regierung gern die Leistung der Pflegekräfte lobt, sollte sie ihnen nicht auch noch die Familienbeihilfe nehmen.“