Schüler während des Unterrichts in einem Turnsaal
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Pflichtschulen öffnen wieder

Große Rückkehr mit vielen Fragezeichen

Am Montag öffnen die Pflichtschulen wieder ihre Türen. Nach den Maturantinnen und Maturanten kehren damit rund 700.000 weitere Schülerinnen und Schüler in ihre Klassen zurück – wenn auch nie alle auf einmal. Ein Schichtbetrieb soll sicherstellen, dass auch im Schulgebäude der Abstand gewahrt bleibt, Hygieneregeln sollen eine Ausbreitung des Coronavirus möglichst verhindern. Wie das in der Praxis funktionieren wird, ist nur eine von mehreren Fragen vor der großen Rückkehr.

Drei Wochen ist es her, dass ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann den Fahrplan für die Wiedereröffnung der Schulen vorstellte; drei Wochen, in denen Volksschulen, AHS-Unterstufen, Neue Mittelschulen und Sonderschulen ausarbeiten mussten, wie sie die Vorgaben des Ministeriums zu Hygiene und „Verdünnung“ der Schülerzahl bestmöglich umsetzen. Dabei galt es, einiges an Stolpersteinen aus dem Weg zu räumen. Wie gut das den Verantwortlichen gelungen ist, wird sich ab Montag zeigen. Fest steht aber schon jetzt: Der Schulbetrieb wird sich deutlich von der Zeit vor den Schulschließungen unterscheiden.

Das beginnt beim ausgiebigen Waschen der Hände beziehungsweise deren Desinfektion – einem Ritual, mit dem künftig jeder Schultag starten soll. Die Kinder und Jugendlichen müssen in der Schule überdies einen Mund-Nasen-Schutz tragen – wenngleich Faßman bereits bei der Vorstellung des Fahrplans im April eingestand, „bei den Kleineren, Jüngeren kann ich mir das schwerer vorstellen“. Nur auf dem Platz in der Klasse darf die Maske abgenommen werden. Dort gilt allerdings: Der oder die Nächste muss mindestens einen Meter entfernt sitzen. Um das zu ermöglichen, werden die Klassen ab einer Größe von 19 Schülerinnen und Schülern in zwei etwa gleich große Teile geteilt, für die dann im Wechsel Unterricht stattfindet.

Schüler vor einer Schule in Wien
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Außerhalb der Klasse herrscht Maskenpflicht

Zwischen Schulautonomie und „Empfehlung“

Wie das genau ausgestaltet wird, hat das Bildungsministerium den Schulen überlassen. So sieht eine Empfehlung des Ministeriums zwar vor, dass die eine Gruppe von Montag bis Mittwoch Unterricht hat, die andere am Donnerstag und Freitag. In der Woche darauf soll es dann umgekehrt sein. Erlaubt sind aber auch andere Varianten, wie etwa ein Wechsel jeden Tag oder überhaupt ein wöchentlicher Turnus.

Auch bei der Aufteilung der Klassen gab das Ministerium keine fixen Regeln vor. Idealerweise sollten aus einer Familie alle Kinder die gleichen Präsenztage haben, hieß es. Doch gerade weil verpflichtende Vorgaben vom Bund fehlen, wird das womöglich nicht überall möglich sein. Bereits Anfang Mai kritisierte der Dachverband der Elternvereine an Pflichtschulen, dass nicht alle Schulen bereit seien, die Situation von Geschwistern zu berücksichtigen.

Hinweistafel über Verhaltensregel an einer Berufsschule in Wien
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Hygienemaßnahmen werden den Schulalltag prägen

Wohl auch aufgrund der Elternkritik stand in den am 7. Mai vom Ministerium an die Schulen versandten „Richtlinien“ schließlich, die Einteilung des Schichtbetriebs solle „unter Rücksichtnahme auf Geschwister“ und mit „Abstimmung in der Bildungsregion“ erfolgen. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Schulen den Eltern aber eigentlich bereits alle Informationen über die Einteilungen übermitteln müssen. Eine vorhergehende Order des Ministeriums hatte den 4. Mai als Deadline genannt. Entsprechend konsterniert zeigten sich nach dem Rundschreiben die AHS-Lehrergewerkschafter. Die mit der AHS-Lehrergewerkschaft großteils personenidente Österreichische Professoren Union (ÖPU) bezeichnete das Vorgehen in einem Schreiben an ihre Kolleginnen und Kollegen als „unprofessionell“.

Betreuung als Personalfrage

Grundsätzlich – das war von Anfang an klar – können Kinder aber auch an den Tagen in die Schule kommen, an denen für sie kein Unterricht stattfindet. Für sie müssen die Schulen Betreuung anbieten – etwa in Turnsälen oder anderen freien Räumen. Die Schülerinnen und Schüler müssen dafür angemeldet werden – entweder für alle oder für einzelne Tage. Das Gleiche gilt auch für die Nachmittagsbetreuung, die im Übrigen auch an Ganztagesschulen den Unterricht am Nachmittag ersetzen soll.

Übernehmen sollen die Betreuung Stützlehrer, Freizeitpädagogen oder jene Lehrkräfte, deren Stunden – Stichwort Turnunterricht – entfallen. Einfach gestaltete sich die Personalsuche für die Schulen aber nicht. Denn manche Lehrerin und mancher Lehrer fällt überhaupt ganz aus. An Bundesschulen dürfen über 60-Jährige selbst entscheiden, ob sie unterrichten wollen, zusätzlich können Personen mit Vorerkrankungen daheimbleiben. An den Pflichtschulen ist zumindest letztere Gruppe ebenfalls befreit.

Unterricht an Fenstertagen

Für Verstimmung zwischen Gewerkschaft und Faßmann hatte auch die Frage gesorgt, ob an den Fenstertagen nach Christi Himmelfahrt und Fronleichnam Unterricht stattfinden soll. Anlässlich der Präsentation des Etappenplans zur Öffnung der Schulen hatte Faßmann angekündigt, dass an den beiden Fenstertagen am 22. Mai und am 12. Juni verpflichtender Unterricht stattfinden wird. Das erzürnte die Lehrergewerkschafter. Sie wiesen darauf hin, dass die Bundesländer beziehungsweise die Schulen selbst das Recht hätten, die jeweiligen unterrichtsfreien Tage festzulegen.

Schulen an Fenstertagen geöffnet

In den vergangenen Wochen wurde heftig darüber diskutiert, ob die heimischen Schulen auch an den eigentlich freien Fenstertagen geöffnet werden sollen. Laut Ministerium wird das großteils der Fall sein.

Faßmann hätte somit formal im Nationalrat eine Gesetzesänderung durchbringen müssen, um seinen Plan durchzusetzen. Schließlich einigte man sich darauf, in einem gemeinsamen Brief an die Lehrer zu appellieren, freiwillig Unterricht abzuhalten. Das fiel offenbar auf fruchtbaren Boden. An 90 Prozent der Schulstandorte werde Unterricht stattfinden, sagte Faßmann am Mittwoch nach der Ministerratssitzung.

Zugleich muss sich freilich noch zeigen, wie viele Schülerinnen und Schüler vor dem Sommer überhaupt zurück in die Schule kommen. Wenn Eltern ihre Kinder aus Sorge um deren oder die eigene Gesundheit nicht zurückkehren lassen wollen, gelten diese als entschuldigt. Ärztliche Atteste sind nicht nötig. Eine Schulleiterin sprach gegenüber dem „Standard“ von bereits 20 Abmeldungen an ihrer Schule.

Angstszenario Verdachtsfall

Dabei ist ein Verdachtsfall oder gar positiver Test auf das Coronavirus in einer Schule wohl für alle Verantwortlichen ein Angstszenario. Zum Tragen kommt in so einem Fall jedenfalls die gleiche Kette wie bereits vor den Schulschließungen: Befindet sich eine Person mit Verdacht auf eine Infektion im Schulgebäude, muss sie in einem eigenen Raum isoliert werden.

Leeres Klassenzimmer
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Bei einem Coronavirus-Fall könnten einzelne Klassen oder die Schule wieder geschlossen werden

Die Schulleitung muss die entsprechenden Stellen – bei einem Schüler auch die Eltern – informieren. Bis zum Eintreffen des Gesundheitspersonals darf niemand die Schule verlassen. Die weiteren Schritte setzt die Gesundheitsbehörde – sie ordnet etwa an, ob Testungen vorgenommen werden. Wird eine Coronavirus-Infektion bestätigt, entscheidet sie auch über eine etwaige Desinfektion oder gar Schließung der Schule.

Simulationsexperte: Verstärkte Tests bei Pädagogen

Noch ist offen, ob Kinder und Jugendliche das Virus ähnlich stark verbreiten wie Erwachsene. Die Meinungen in der Fachwelt gehen auseinander. In einer aktuellen Studie kamen der deutsche Virologe Christian Drosten und sein Team zu dem Schluss, dass erkrankte Kindern zumindest ähnlich stark mit Viren belastete sind wie Erwachsene – mehr dazu in science.ORF.at. Andere Untersuchungen, etwa aus Frankreich und Island, könnten allerdings darauf schließen lassen, dass das Ansteckungsrisiko durch junge Menschen eher gering sei – mehr dazu in science.ORF.at.

Das vermuten auch manche heimische Infektiologen wie Volker Strenger von der MedUni Graz. „Die Studienergebnisse bisher zeigen eher in die Richtung, dass sich Kinder weniger leicht anstecken – und damit auch weniger stark zur Verbreitung der Erkrankung Covid-19 beitragen“, sagte Strenger erst unlängst gegenüber dem „Kurier“. Die Einschätzung sei allerdings „mit aller Vorsicht“ zu bewerten, so Strenger. Klar sei, dass Kinder und Jugendliche „natürlich krank werden und andere anstecken können, auch wenn es bisher in der Literatur noch keinen Hinweis darauf gibt, dass sie wirklich als ‚Superspreader‘ fungieren“, so Paul Plener, Leiter der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Medizinischen Universität Wien am Wiener AKH.

„Im Modell führen offene Schulen natürlich zu mehr Kontakten und einer stärkeren Ausbreitung“, sagte Simulationsexperte Niki Popper von der TU Wien gegenüber der APA. Da aber Kinder und Jugendliche in der Regel zum Glück zu leichten Krankheitsverläufen neigen, erhöhe sich dadurch der Druck auf das Gesundheitssystem weniger als bei anderen Gruppen. Um weiter die potenzielle Übertragung vor allem in Richtung der Großelterngeneration zu minimieren, „sagen wir: Wenn die Ressourcen da sind, wäre es gut, die Lupe auf Kindergärten oder Lehrer zu richten, um Cluster zu identifizieren.“ Das gelte aber, wenn die Testkapazitäten ausreichen, auch für alle anderen Bereiche, die geöffnet werden.

Der Weg über die Pädagogen sei für Popper sinnvoll, weil es schwierig sei, Kinder quasi ins Blaue hinein zu testen. Findet man dann einen Cluster in einer Schule, müsse man „zum Beispiel Schulklassen schnell und effizient zusperren. Und wir müssen lernen, dass das gezielte Vorgehen keine neue Krise darstellt. Denn diese Strategie ermöglicht es umso mehr, Bereiche zu öffnen“, so der Mathematiker.