Menschen in Einkaufsstraße in San Salvador
Reuters/Jose Cabezas
Zentralamerika

Geld von Arbeitsmigranten fehlt schmerzlich

Die Coronavirus-Pandemie bringt weltweit Finanzflüsse zum Versiegen. Millionen von ausländischen Erwerbstätigen in den USA und andernorts wurden in Kurzarbeit geschickt oder verloren ihren Arbeitsplatz. Sie sind nun nicht mehr in der Lage, Geld an Verwandte in ihre Heimat zu schicken – mit verheerender Auswirkung: In Mexiko und Zentralamerika stellen die Überweisungen für viele Familien die zentrale Einkommensquelle dar.

Die Geldtransfers von mexikanischen Migranten und Migrantinnen in ihr Heimatland erreichten 2019 einen Rekordwert – sie betrugen mehr als 36 Milliarden US-Dollar (32,6 Milliarden Euro). Diese Rücküberweisungen machten knapp drei Prozent der mexikanischen Wirtschaftsleistung aus, wobei der Anteil seit Jahren steigt. Bei anderen Volkswirtschaften in Zentralamerika liegt der Beitrag noch wesentlich höher: In Guatemala machten sie vergangenes Jahr rund 13 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) aus, in Honduras 20 und in El Salvador 17. Der größte Teil der Gelder stammt aus den USA.

„Für manche Familien sind die Überweisungen die wichtigste Einkommensquelle, für andere schaffen sie ein Sicherheitspolster“, zitierte die „Neue Zürcher Zeitung“ („NZZ“) dieser Tage Roy Germano, Migrationsexperte an der juristischen Fakultät der New York University. Selbst diejenigen, die keine Verwandten im Ausland hätten, würden davon profitieren, weil das Geld in die lokale Wirtschaft fließe.

Frau mit Baby signalisiert mit weißen Tuch dass sie Nahrungshilfe braucht
AP/Moises Castillo
„Hilfe dringend benötigt“ signalisiert diese junge Mutter in Guatemala

Mexiko war 2018 laut Weltbank nach Indien und China der drittgrößte Empfänger von Rücküberweisungen in alle Länder, der größte von Geldern aus den USA. Doch innerhalb weniger Wochen stieg die Arbeitslosenquote in den Vereinigten Staaten im Zuge der Pandemie von 3,5 auf bis zu 20 Prozent.

Drastischer Rückgang der Zahlungen

Besonders Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor, etwa in Lokalen oder Hotels, wurden durch die verordneten Schließungen gekürzt – und genau in diesem Bereich arbeiten häufig Migranten aus ärmeren Ländern. Laut Schätzungen des Pew Research Center, schrieb die „NZZ“, leben derzeit rund 10,5 Millionen Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung in den USA, 80 Prozent von ihnen stammen aus Mexiko und Zentralamerika.

Dennoch rief Mexikos Präsident Andres Manuel Lopez Obrador seine Landsleute im Ausland auf, weiter Überweisungen zu tätigen: „Hört nicht auf, euren Verwandten in Mexiko Gelder zu schicken. Auch eure Liebsten hier gehen durch eine schwere Zeit, denkt auch jetzt an sie, so wie ihr es bisher immer getan habt.“ Der Appell schien in den USA anzukommen: Mitte März, als sich zeigte, welche Dimension die Pandemie annehmen würde, kletterten die Überweisungen nach Mexiko auf den höchsten Stand seit 2003.

Die Prognosen sind allerdings bitter: Die Weltbank rechnete in einem Mitte April vorgelegten Bericht für dieses Jahr mit einem Rückgang der Zahlungen von Arbeitsmigranten in ihre Heimat um rund 20 Prozent – das wäre die größte Einbuße, seit die Weltbank 1980 mit der Datenaufzeichnung begonnen hat.

Menschen warten mit Sicherheitsabstand auf Essensausgabe in einem Park in Mexiko City
Reuters/Edgard Garrido
Die Schlange vor der staatlichen Essensausgabe in Mexico City wurde in den letzten Monaten länger

Zu große Abhängigkeit

Ein Rückgang der Überweisungen könnte in einigen Ländern weitreichende Auswirkungen haben, sagte Universitätsprofessor Germano der „New York Times“ („NYT“) – nicht nur wirtschaftlicher Natur. Auch politische und soziale Spannungen könnten steigen: „Die Regierungen können kein Interesse daran haben, dass die Transfers zurückgehen, schließlich stellen sie eine Art Fürsorgesystem dar“, so Germano. „Sie nehmen den Druck vom Staat, Sozialhilfe zu leisten und einen bestimmten Lebensstandard zu garantieren.“

Das Problem daran sei, dass so starke Abhängigkeiten entstünden, sagte Germano der „NZZ“. „Wenn sich die wirtschaftliche Situation in den Migrationsländern verschlechtert, verschlimmert das die ohnehin bestehenden Probleme und die Armut in den Heimatländern der Migranten.“

Essenzieller Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt

In Mexiko, schrieb die „NYT“, dürfte keine Region die Auswirkungen der Zahlungsrückgänge stärker zu spüren bekommen als Michoacan, ein etwa vier Millionen Einwohner zählender Bundesstaat im westlichen Zentralmexiko. In den letzten Jahrzehnten haben Hunderttausende Menschen aus Michoacan ihr Heil in den USA gesucht und Jobs im Dienstleistungssektor oder auf dem Bau gefunden. Einen Teil ihres Verdienstes schickten sie Monat für Monat nach Hause – 2018 belief sich die Gesamtsumme auf fast 3,4 Milliarden Dollar oder 11,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Obdachlose Straßenverkäufer in Guatemala
Reuters/Jorge Cabrera
Für viele in Zentralamerika ist eine Miete nicht mehr leistbar – sie mussten auf die Straße ausweichen

Nach Schätzungen des Bürgermeisters von Aporo, einer kleinen Gemeinde in Michoacan, leben mehr als 1.000 der 4.200 Einwohner inzwischen in den USA. Die Abwanderung gehöre, vor allem für junge Männer, gewissermaßen zum Lebensstil. Dutzende Familien in dem Ort stünden nun, nachdem ihre Angehörigen in den USA den Job verloren haben, vor dem Nichts, sagte Bürgermeister Juan Jose Mendiola. Und das sei vielleicht nur der Anfang, sagte Mendiola: „Wir sind uns sehr bewusst, dass wir die Auswirkungen der fehlenden Zahlungen noch gar nicht abschätzen können.“

Rückkehr mit Hürden

Auch für die Migranten selbst ist die Situation nach einem Arbeitsverlust extrem belastend: Weder in den USA noch in ihrer früheren Heimat erhalten sie staatliche Unterstützung, ein etwaiger Krankenhausaufenthalt würde sie in den Ruin treiben. Der Gedanke daran, ihre auf sie angewiesenen Verwandten nicht mehr unterstützen zu können, sei aber das Schlimmste, wie viele von ihnen schilderten.

Angesichts der düsteren Beschäftigungsaussichten haben einige Migranten beschlossen, in ihre Heimat zurückzukehren. Doch auch da gibt es Hindernisse: In manchen Ländern Zentralamerikas wie etwa Guatemala werden Rückkehrer, so sehr diese früher auch bedankt wurden, nun von der ansässigen Bevölkerung bedroht und verjagt – aus Angst, sie könnten das Virus aus den USA eingeschleppt haben.