Eine Regenbogenzeichnung
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Türkei

CoV-Regenbögen unter Propagandaverdacht

Recht bald nach dem „Lock-down“ und der Schließung der Schulen sind in Fenstern Regenbögen aufgetaucht, die ersten in Italien – als Kinderzeichnungen und Symbol der Hoffnung gegen die Coronavirus-Pandemie. Der Regenbogen hat aber auch eine andere Bedeutung: als Zeichen der Toleranz gegenüber Homosexuellen. Genau deswegen wurde er laut Medienberichten nun in der Türkei zum Politikum. Prädikat: unerwünscht.

Lokale Schulbehörden hätten Lehrerinnen und Lehrer ermahnt, das Zeichnen von Regenbögen zu unterbinden. Der Grund: Die Idee sei Teil eines „Komplotts“, Kindern quasi Homosexualität anzuerziehen, berichtete zuletzt der britische „Guardian“. Das Verbot sorge für Kopfschütteln, sei aber vor allem auch ein Indiz für die tiefe gesellschaftliche Spaltung eines Landes „entlang politischer und religiöser Linien“.

Diese Art einer „Anti-LGBTQ-Mentalität“ (Lesbisch, Schwul, Bisexuell und Transgender) sei weit verbreitet, wenn auch „gewöhnliche Menschen“ keinerlei Konnex zwischen Kinderzeichnungen und den Rechten Homosexueller herstellten, zitierte die britische Zeitung Meral Gülsen, eine Vertreterin der Bildungsgewerkschaft Egitim Sen. Sie sei sich nicht sicher, ob diese Anweisungen eine breitere Rückendeckung der Regierung hätten, wenn ja, dann könnte die Sache „groß werden“.

Hetzpredigt inmitten der Pandemie

Mit der aktuell schwierigen wirtschaftlichen Situation ist die gesellschaftliche Stimmung angespannt, religiös-konservative Kreise schürten Hass. Erst unlängst, so der „Guardian“, habe es in einer Predigt für den islamischen Fastenmonat Ramadan geheißen, homosexuelle Menschen würden „Krankheiten verbreiten“ – inmitten der Coronavirus-Pandemie, von der auch die Türkei sehr stark betroffen ist. Rechtlich ist Homosexualität in dem Land nicht verboten, allerdings sehr stark stigmatisiert, gewalttätige Übergriffe sind häufig.

Die Verbreitung antihomosexueller Propaganda wie in der Predigt, laut Bericht geäußert von niemand Geringerem als dem Präsidenten des Amtes für religiöse Angelegenheiten (Diyanet), Ali Erbas, könnte Anlass für Hassverbrechen sein, warnte laut „Guardian“ die Izmir Bar Association (Izmir Barosu), eine Vereinigung von Juristinnen und Juristen, die sich der Stärkung von Demokratie und Menschenrechten verpflichtet hat. Eine – namentlich nicht genannte – Menschenrechtsorganisation mit Sitz in der Hauptstadt Ankara habe eine rechtliche Beschwerde eingebracht.

Ermittlungen gegen Kritiker

Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan von der religiös-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), habe seinerseits die „verhüllte Drohung“ geäußert, jeder „Angriff“ auf die Religionsbehörde bzw. ihren Vorsitzenden sei „gleichbedeutend mit einem Angriff auf den Staat“. Gefolgt seien Ermittlungen gegen den Anwälteverband in den Städten Ankara und Diyarbakir wegen Herabsetzung religiöser Werte.

Es sei „sehr traurig“, dass nun schon der Regenbogen herhalten müsse, zitierte die britische Zeitung einen Aktivisten für die Rechte Homosexueller. Aber es sei auch „sehr typisch“, dass die türkische Regierung einen Sündenbock für ihre Probleme zu finden versuche. Beim Coronavirus seien es erst die Chinesen gewesen, „und nun, offenbar aus heiterem Himmel, sind es wir“. Das sei umso erstaunlicher, als heute mehr und mehr Menschen verstünden, „dass LBGT und religiös sein einander wechselseitig nicht ausschließen“.

Kinderzeichnungen als Symbol der Hoffnung

Schon vor dem „Guardian“ hatte die „Jerusalem Post“ Anfang Mai über die Causa berichtet und geschrieben, das Verbot komme aus dem türkischen Bildungsministerium. Die israelische Zeitung attackierte Erdogan scharf. Da dessen gewohnte Stimmungsmache gegen Israel und den Westen offenbar nicht mehr funktioniert habe, habe sich dieser einen neuen „Ramadan-Feind“ gesucht und gefunden: „die LGBTQ-Community“.

Laut weiteren Medienberichten war der Aufruf an Kinder, Regenbögen zu zeichnen, vom Museum für moderne Kunst in Istanbul (Istanbul Modern) ausgegangen. Die Idee soll ursprünglich aus Italien kommen, verbreitete sich jedenfalls rasch in vielen Ländern und in den Sozialen Netzwerken unter dem Hashtag „#chasetherainbow“.

„Alles wird gut“

Die ersten Regenbögen in Fenstern waren nach Schließung der Schulen wegen der Coronavirus-Pandemie in Italien im März zu sehen, meist versehen mit Sprüchen, die Hoffnung machen sollten, so wie die Regenbögen selbst: „Andra tutto bene“, alles wird wieder gut. Der Regenbogen hat eine vielschichtige Bedeutung in Mythologie und Kunst, die Regenbogenfahne ist – mit unterschiedlich vielen Farben – Symbol der Friedensbewegung, aber auch für Toleranz gegenüber Homosexuellen.

Ein Banner mit einem Regenbogen in Casnigo
APA/AFP/Miguel Medina
„Alles wird gut“: Es begann in Italien

Private Hilfsinitiativen unterbunden

Laut Daten der Johns Hopkins University gab es in der Türkei zuletzt knapp 145.000 bestätigte Fälle von Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus und rund 4.000 Todesfälle. Die Regierung in Ankara verhängte zuletzt mehrfach mehrtägige Ausgangsbeschränkungen, Schulen und Universitäten wurden geschlossen, die Reisefreiheit zwischen den großen Städten eingeschränkt, generelle Einschränkungen gab es aus wirtschaftlichen Gründen aber nicht – was zu Kritik führte. Wirtschaftlich besonders schwer treffen die Türkei die Ausfälle im für die Volkswirtschaft enorm wichtigen Tourismussektor.

Für Kritik sorgte auch, dass private Hilfsinitiativen unterbunden wurden, etwa auch eine Spendenaktion des oppositionellen Bürgermeisters der Bosporus-Metropole Istanbul von der Republikanischen Volkspartei (CHP), Ekrem Imamoglu. Er sagte, gegen ihn seien Ermittlungen eingeleitet worden. Erdogan habe ihm und anderen Kommunalpolitikern im Land vorgeworfen, als „Staat im Staat“ zu agieren. Der „Guardian“ kommentierte, das sei geschehen, um zu verhindern, dass Oppositionspolitiker sich profilieren und Führungskompetenz zeigen können.