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APA/Hans Klaus Techt
Lunacek-Abgang

Nachfolge offen, Ruf nach neuen Konzepten

Nach dem Rücktritt von Ulrike Lunacek (Grüne) als Kulturstaatssekretärin bleibt vorerst offen, wer sie in ihrem Amt beerbt, auch wenn am Freitag ein erster Name kursierte. Erwartungen an die Nachfolgerin gibt es dennoch bereits genügend – geäußert sowohl von Politik als auch von Vertreterinnen und Vertretern der Kunst- und Kulturszene.

Lunacek beschrieb das Metier bei ihrem Abgang als besonders herausfordernd – es sei „ein Risiko“ gewesen, dieses Amt zu übernehmen. „Ich wollte mich mit meiner Erfahrung einsetzen für Künstler und kunstvermittelnde Institutionen in Österreich. Für alle, die mit und für uns das Schöne, Progressive, Aufrüttelnde auslösen. Das, was uns zu wachen Menschen macht. Ich habe dieses Ziel nicht erreicht“, so Lunacek.

Unabhängig davon, wer Lunacek folgt, aus der Kulturszene kommen Rufe nach mehr Engagement: Belvedere-Generaldirektorin Stella Rollig empfahl etwa, „sich alle Zeit der Welt zu nehmen, 20 Stunden am Tag zu arbeiten, um mit Vertretern aller Kunstsparten zu sprechen. Wir haben die Fantasie und die Erfahrung, wie es funktionieren könnte. Diese Gespräche sind jetzt das Wichtigste, um konkrete Entscheidungen zu treffen. Davor darf man dann auch keine Angst haben.“

Andrea Mayer als Nachfolgerin?

Der Direktor des Theaters in der Josefstadt, Herbert Föttinger, hofft auf eine Nachbesetzung, die Empathie und Kampfgeist mitbringt. Die neue Staatssekretärin müsse nicht unbedingt aus der Politik kommen, aber die Anliegen der Kultur mit Verve vertreten. „Wenn Ulrike Lunacek ihre Wünsche zuvor mit der gleichen Vehemenz vorgebracht hätte wie in ihrer Abschiedspressekonferenz, wäre es besser gewesen“, so der Theatermann.

Nun bleibe von ihrer kurzen Amtszeit vor allem „eine große Verunsicherung. Mehr ist da nicht geblieben.“ Die frühere Kultursektionsleiterin Andrea Mayer (frühere Ecker), deren Name am Freitag als mögliche Lunacek-Nachfolgerin kursierte, nannte Föttinger „eine gute Lösung“: „Sie war immer kulturaffin. Sie kennt sich aus.“ Föttinger weiter: „Vermutlich hat der Rücktritt etwas ausgelöst. Vermutlich haben wir etwas ausgelöst. Wir haben halt eine laute Stimme.“

Schröder hofft auf „Persönlichkeit mit viel Erfahrung“

Albertina-Generaldirektor Klaus Albrecht Schröder führt den Rücktritt Lunaceks auf die mangelnden Gestaltungsmöglichkeiten des Amtes selbst zurück und hofft, dass Vizekanzler und Kulturminister Werner Kogler (Grüne) sich nun seiner Verantwortung bewusst sei und „mit der Kraft und Macht seines Amtes auch Entscheidungen herbeiführen kann, die ein Staatssekretariat beim besten Willen nicht hergibt“.

Von einer Nachfolgerin erhofft sich Schröder „eine Persönlichkeit mit viel Erfahrung aus dem Ressort heraus“. Der Rücktritt Lunaceks tue ihm „sehr leid, sie war außerordentlich engagiert“, so Schröder. „Aber sie hat nicht die politische Unterstützung bekommen, die sie gebraucht hätte.“

Auf die als Kandidatin gehandelte Andrea Mayer angesprochen, nannte Schröder diese „hervorragend qualifiziert durch ihre früheren Erfahrungen in der Kultursektion“. Sie verfüge über alle protokollarischen Erfahrungen und habe in den vergangenen Jahren auch politisches Format gewonnen. Meyer würde sich der Beschränktheit des Amtes sicher mehr bewusst sein als Lunacek, „die ihr Amt überschätzt hat“. Mayer könnte Kogler „die Hand reichen, dass er mit Entschlossenheit und Durchsetzungskraft die Interessen der Kultur vertritt“.

SPÖ: Ressort neu aufstellen, NEOS will rasche Antworten

Die Opposition drängte nach Lunaceks Rücktritt auf klare Perspektiven für den Kulturbereich. SPÖ-Kultursprecher Thomas Drozda forderte eine rasche Neuaufstellung des Ressorts: „Es braucht ein starkes Ministerium für Kunst und Kultur, das mit umfassenden Kompetenzen inklusive der Auslandskultur ausgestattet ist.“ Die von der Regierung lange versprochenen Perspektiven und Lockerungen für Kunst und Kultur müssten schnellstmöglich auf den Tisch.

NEOS-Kultursprecher Sepp Schellhorn forderte von Kogler rasch Antworten für den Kultursektor. „Wir können keine Zeit mehr verlieren und über Personalfragen diskutieren, sondern brauchen, was ich schon immer fordere, eine Person mit der nötigen Qualifikation in diesem Amt“, so Schellhorn. „Wir brauchen jetzt Planungssicherheit und ein konkretes Konzept für die Kultur.“

FPÖ: Auf Staatssekretariat verzichten

„Eines hat Ulrike Lunacek in ihrer kurzen Regierungskarriere richtig gemacht – nämlich ihren Rücktritt“, meinte FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl. An den „verheerenden Entwicklungen“ seien aber sämtliche Regierungsmitglieder beteiligt gewesen. Man könne jetzt überhaupt auf das Staatssekretariat verzichten, Kogler solle diese Aufgaben übernehmen, schlug Kickl vor.

Kulturstaatsekretärin Ulrike Lunacek
APA/Hans Klaus Techt
Lunaceks Abgang – Fragen von Journalistinnen und Journalisten beantwortete sie nicht

IG Kultur: Keine Lösung „drängender Probleme“

IG-Kultur-Geschäftsführerin Yvonne Gimpel sagte auf APA-Anfrage, der Rücktritt „löst keine der drängenden Probleme“. Spekulationen über die Nachfolge und Vergangenheitsaufarbeitung würden davon ablenken, „worum es seit Wochen gehen sollte: wirksame Hilfen und brauchbare Konzepte, die endlich eine Arbeitsperspektive geben“. Die Kultur brauche „eine starke Stimme. Jemanden mit ausgewiesener Kulturkompetenz und Politikerfahrung“, so Gimpel.

Zum Einarbeiten mitten in der Krise sei schlichtweg keine Zeit. „Es dürfen nicht weitere Wochen verstreichen, in der die in Kunst und Kultur Tätigen wieder nur vertröstet werden. Konkrete Vorschläge liegen schon lange auf dem Tisch, und das in großer Zahl.“ Was es jetzt brauche, sei „der politische Wille, Entscheidungen zu treffen und umzusetzen“.

Dass die Kunst- und Kulturagenden in ein Staatssekretariat verräumt wurden, sei jedenfalls „ein fataler Fehler“ gewesen, dessen Konsequenzen nun die Kunst- und Kulturschaffenden in voller Härte träfen. Für „schlichtweg skandalös“ hält Gimpel den Umstand, dass noch immer nichts Konkretes zum geplanten NPO-Fonds bekannt sei.

IG Autorinnen Autoren: „Chance“ für „Korrektur“

Für Gerhard Ruiss, Geschäftsführer der IG Autorinnen Autoren, bietet Lunaceks Rücktritt die „einzigartige Chance einer Korrektur der verunglückten Staatssekretariatslösung“. „Dem Stellenwert der Kunst und Kultur im öffentlichen und gesellschaftlichen Leben entsprechend muss eine Regierungsumbildung mit dem Ergebnis eines Kunst- und Kulturministers/einer Kunst- und Kulturministerin die Folge sein“, forderte Ruiss.

Lunacek: „Keine positive Wirkung erzielt“

In ihrem Rücktrittsstatement sagte Lunacek, sie habe mit ihren Stärken „keine positive Wirkung“ mehr erzielen können. Sie habe sich für Kulturschaffende einsetzen wollen, sie habe dieses Ziel aber letztlich nicht erreicht.

Sechs Wochen nach ihrer Amtsübernahme sei mit der Krise klar geworden, dass es vorerst keine Chance gab, „das ambitionierte Kunst–und-Kultur-Regierungsprogramm zu realisieren“: „Die Bewältigung der Covid-19-Krise stand ab sofort im Mittelpunkt, Krisenmodus war angesagt. In dieser Krisensituation, das gestehe ich freimütig, ist mir das, wofür ich mich mit aller Kraft einsetzen wollte, nicht im nötigen Ausmaß gelungen.“

„Wünsche“ und Spitze gegen Kritiker am Ende

Am Ende äußerte sie drei „Wünsche“, etwa Bezahlung für Künstlerinnen und Künstler. Die prekären Verhältnisse in der Kulturbranche müssten dringend beseitigt werden, sie habe noch die Anweisung gegeben, alle bisher erfolgten 500-Euro-Zahlungen im Rahmen des Covid-19-Fonds der Künstlersozialversicherung zu verdoppeln; Kunst und Kultur brauchten für den „Post-Corona-Wiederaufbau“ viel mehr Geld als bisher vorgesehen. Ihr dritter „Wunsch“ sei der Erhalt der Freiheit der Kunst.

Auch zu einer Spitze gegen ihre Kritiker ließ sich Lunacek hinreißen: Sie sprach auch davon, dass sie als Zuschauerin möglicherweise künftig auch Kabarettprogramme von Stermann und Grissemann sowie von Lukas Resetarits besuchen werde. Sie werde dann schauen, ob sie „an deren Programmen genauso viel Kritik finde wie sie an meinem“.

Blimlinger keine Nachfolge-Option

Angeheizt wurde die Rücktrittsdebatte schließlich ausgerechnet von einer Parteikollegin: So antwortete die Abgeordnete Eva Blimlinger in einem Interview auf die Frage, ob sie es so wie einige Kritiker sehe, dass Lunacek nicht kompetent genug für den Job als Staatssekretärin sei: „Ein bisschen schon. Sie kommt nicht aus dem Kulturbereich. Als sie Anfang des Jahres startete, konnte sie sich aber sehr schnell einarbeiten.“ Nachfolgen will sie Lunacek nach eigenem Bekunden aber nicht – sie wolle im Nationalrat bleiben, sagte Blimlinger am Freitag.

Kurz: „Bedauerlich, aber zu respektieren“

Mit dem Rücktritt habe Lunacek eine höchstpersönliche Entscheidung getroffen, wurde Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in einer ersten Reaktion zitiert. „Ihr Rücktritt ist bedauerlich, aber zu respektieren.“ Lunacek sei eine kompetente Politikerin mit langjähriger Erfahrung im außenpolitischen Bereich. Die Coronavirus-Krise „hat uns alle vor Herausforderungen gestellt, die nicht absehbar waren und uns allen viel abverlangt haben“, so der Bundeskanzler.

Kogler und Maurer: „Großartige politische Arbeit geleistet“

Kogler bedankte sich anlässlich der Präsentation des Stufenplans für den Kulturbereich Freitagmittag bei Lunacek. „Sie hat bei allen Auf und Abs immer wieder großartige politische Arbeit geleistet.“

Auch Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer bedankte sich bei Lunacek: Sie habe „großartige politische Arbeit für die Grünen geleistet und damit auch die Partei nachhaltig geprägt“, wurde Maurer in einer Aussendung zitiert. Lunacek habe stets das politische Interesse vor das persönliche gestellt und auch in schwierigen Phasen für die Grüne Partei Verantwortung übernommen. „Sie hat in vielen Bereichen Pionierarbeit geleistet – als engagierte Feministin, Vorkämpferin für ein vereintes Europa und auch als erste geoutete lesbische Nationalratsabgeordnete“, so Maurer.

Mikl-Leitner hätte lieber Lösungen

Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) gehörte zu den prominentesten Lunacek-Kritikerinnen aus der Politik. Nun betonte sie, ihr wären Lösungen für die Kulturbranche lieber gewesen als ein Rücktritt Lunaceks, der sie persönlich alles Gute wünschte.

Mikl-Leitner hatte zuletzt einen Brief an die Staatssekretärin geschrieben, in dem sie fünf Problemfelder umrissen hatte, die dringend zu berücksichtigen seien. Unter anderem hatte die Landeshauptfrau für die Künstler um Kommunikation auf Augenhöhe gebeten und Klarheit in den zeitlichen und organisatorischen Vorgaben für Kulturveranstalter gefordert.

Auch aus anderen Bundesländern gab es erste Reaktionen – der Dachverband Salzburger Kulturstätten sprach von einem unvermeidlichen Rücktritt – mehr dazu in salzburg.ORF.at. Reaktionen kamen auch von den grünen Landesparteien aus der Steiermark und dem Burgenland – mehr dazu in burgenland.ORF.at und steiermark.ORF.at.

Lange Karriere in der Politik

Ihre parteipolitische Karriere begann Lunacek 1995, als sie erstmals für den Nationalrat kandidierte, jedoch angesichts des enttäuschenden Abschneidens der Grünen scheiterte. Entschädigt wurde Lunacek ein Jahr später, als sie zur Bundesgeschäftsführerin avancierte. 1999 gelang schließlich der Sprung in den Nationalrat, dem sie bis zum Wechsel ins Europaparlament, wo sie es bis zur Vizepräsidentin brachte, im Jahr 2009 angehörte. In der Europapolitik wurde der Kosovo zu ihrer Schwerpunktregion. Dort war sie Berichterstatterin des EU-Parlaments.

Fotostrecke mit 6 Bildern

Ulrike Lunacek beim Grünen Bundeskongress 1995
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Lunacek (2. Reihe, 2. v. l.) zusammen mit Parteikolleginnen und -kollegen der Grünen 1995. Alexander Van der Bellen, Doris Pollet-Kammerlander und Johannes Voggenhuber (2. Reihe v. l. n. r.) sowie Terezija Stoisits und Madeleine Petrovic (1. Reihe, v. l. n. r.).
Ulrike Lunacek beim den Europäischen Grünen 2006
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Lunacek bei einer Rede am Kongress der Europäischen Grünen im Jahr 2006
Ulrike Lunacek im EU-Parlament 2017
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Lunacek war Vizepräsidentin im EU-Parlament – hier in Brüssel im Jahr 2017
Ulrike Lunacek mit EU-Sptzenkanditaten im Radiokulturhaus
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Lunacek mit anderen Spitzenkandidaten für die EU-Wahl 2014
Eva Glawischnig und Ulrike Lunacek
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Lunancek mit Ex-Grünen-Chefin Eva Glawischnig bei der Wahl 2017
Angelobung von Ulrike Lunacek durch Alexander Van der Bellen
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Lunacek bei der Angelobung als Staatssekretärin mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen

Bei der vorletzten Nationalratswahl stellte sie sich als Spitzenkandidatin zur Verfügung – die Grünen schafften damals die Hürde für den Einzug ins Parlament nicht und flogen aus dem Nationalrat. Nach der letzten Nationalratswahl schließlich wurde Lunacek Kulturstaatssekretärin der türkis-grünen Bundesregierung.

Kulturschaffende fordern Rettungsschirm

Unter Schauspielern, Musikern und anderen Kulturschaffenden formierte sich eine Initiative, die per Petition einen Rettungsschirm für die Branche fordert. Die Auswirkungen der Pandemie auf „Kunst, Kultur, Event- und Kreativwirtschaft sind dramatisch. Unsere Branchen wurden als erste zugesperrt und werden auch zu den letzten gehören, die ihre Arbeit wieder voll aufnehmen können“, hieß es am Dienstag in einer Aussendung.

Lukas Resetarits in der ZIB2

Kabarettist Lukas Resetarits erklärt die Beweggründe für die Veröffentlichung jenes Videos, in dem er den Umgang der Regierung mit der Kulturbranche kritisiert.

Gefordert wurde eine finanzielle Kompensation für fehlende Ticketverkäufe, Kurzarbeitsregeln für „kurzfristig Beschäftigte“, wie sie sich im Kulturbetrieb zahlreich finden, und eine Verlängerung der Kurzarbeitsregeln sowie der Hilfsfonds, bis all jene, die in der Event- und Unterhaltsbranche tätig sind, ihre Arbeit wieder zu 100 Prozent aufnehmen dürfen.

Mitinitiator war der Kabarettist Lukas Resetarits. Er hatte in den vergangenen Tagen mit einem Video für Aufsehen gesorgt, am Montag bekräftigte er seine schwere Kritik an Lunaceks Krisenmanagement in der ZIB2. „Ich bin wütend, weil das eine Missachtung unserer ganzen Branche ist.“ Man sei nicht kontaktiert worden, auch wenn sich die gesamte Branche, die den Grünen in der Vergangenheit viel Rückhalt gegeben habe, in der Pandemie vorbildlich verhalten habe, so Resetarits.