Brasilianischer Präsident Jair Bolsonaro mit Gesichtsmaske
Reuters/Adriano Machado
CoV und Bolsonaro

Dramatische Entwicklung in Brasilien

Der Druck auf den ultrarechten brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro wird immer größer: Die CoV-Fälle in Brasilien nehmen dramatisch zu, es gibt kaum mehr freie Intensivbetten, Tote müssen teils in Massengräbern beerdigt werden. Am Freitag erklärte der Gesundheitsminister seinen Rücktritt – er war kaum einen Monat im Amt. Und Bolsonaro selbst ist auch noch mit einem Verfahren wegen politischer Einflussnahme auf die Bundespolizei konfrontiert.

15.305 neue Infektionen innerhalb von 24 Stunden meldete das Gesundheitsministerium in Brasilia am Freitagabend (Ortszeit). Das ist ein weiterer Negativrekord in dem südamerikanischen Land für einen 24-stündigen Zeitraum. Nach den Daten vom Mittwochabend waren 11.385 neue Infektionen innerhalb von 24 Stunden registriert worden.

Zwischen Montag und Dienstag waren erstmals mehr als 800 Todesopfer in dem Zeitraum erfasst worden. Insgesamt sind in Brasilien nach offiziellen Angaben von Freitagabend (Ortszeit) 14.817 Menschen im Zusammenhang mit dem Virus gestorben. 218.223 Infizierte wurden inzwischen registriert. Forscher gehen jedoch davon aus, dass die Zahl in Wirklichkeit 15-mal höher ist. Nach den Daten der in den USA beheimateten Johns-Hopkins-Universität von Freitagabend liegt das mit mehr als 200 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichste Land Lateinamerikas damit weiter sowohl bei der Zahl der Todesopfer als auch der Zahl der Infizierten nun auf Platz sechs der am schwersten betroffenen Länder.

Eine Krankenschwester misst Fieber bei einem Patienten in einem Spital in Sao Paulo
APA/AFP/Miguel Schincariol
Die Zahl der CoV-Infizierten nimmt in Brasilien drastisch zu – hier ein Patient in einem Spital in Sao Paulo

Bereits 38 indigene Völker betroffen

Die Coronavirus-Pandemie bedroht auch zunehmend Brasiliens Ureinwohner. Von der Ausbreitung des Virus in dem südamerikanischen Land seien bereits 38 indigene Völker betroffen, meldete die Vereinigung der Ureinwohner APIB am Freitag. Das Virus erreiche mit „beängstigender Geschwindigkeit“ alle Gebiete der Ureinwohner. Diese seien schon früher durch eingeschleppte Krankheiten schwer getroffen worden.

Laut APIB haben sich mehr als 440 Ureinwohner mit dem Virus angesteckt, 92 seien bereits an den Folgen gestorben. Betroffen sind vor allem die Stämme im Bundesstaat Amazonas wie etwa die Parque das Tribos, deren Chef Messias Kokama an Covid-19 starb. Aber auch bei den Stämmen im Süden des Landes seien Infektionsfälle aufgetreten. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Survival International sorgt die Epidemie zugleich dafür, dass illegale Holzfäller und Goldschürfer „mit Rückendeckung der Regierung“ zunehmend in die Gebiete der Ureinwohner vordringen.

Massengräber und Ministerrücktritt

Immer mehr Krankenhäuser haben keine freien Intensivbetten mehr, provisorische Kliniken öffnen. Auf Friedhöfen werden die Leichen in Massengräbern beerdigt. Unterdessen räumte der brasilianische Gesundheitsminister Nelson Teich nach nur einem Monat im Amt seinen Posten wieder. „Das Leben besteht aus Entscheidungen, und ich habe heute beschlossen zu gehen“, sagte Teich in einer Erklärung in Brasilia am Freitagnachmittag (Ortszeit). Einen Grund dafür nannte er nicht.

Nelson Teich, zurückgetretener brasilianischer Gesundheitsminister
AP/Eraldo Peres
Der nun zurückgetretene Gesundheitsminister Nelson Teich hielt sich rund einen Monat im Amt

Teich sagte jedoch, dass er das Ministeramt nicht des Postens wegen angenommen habe, sondern weil er dachte, Brasilien und den Menschen helfen zu können. Sein Abschied ist bereits der zweite an der Spitze des Gesundheitsministeriums in der Covid-19-Pandemie. Bolsonaro hatte Teichs Vorgänger Luiz Henrique Mandetta wegen Unstimmigkeiten im Umgang mit dem Coronavirus entlassen.

Unstimmigkeiten über Vorgehen

Während der rechtspopulistische Politiker das Virus verharmlost, nichts von Einschränkungen hält und auf eine Öffnung der Wirtschaft drängt, befürwortete der in der Bevölkerung beliebte Mediziner Mandetta strenge Maßnahmen im Sinne der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Auch mit Teich hatte es zuletzt Unstimmigkeiten gegeben, vor allem über den Einsatz von Chloroquin in der Covid-19-Behandlung; Bolsonaro setzte Teich in dieser Frage unter Druck.

Brasiliens Gesundheitsminister Luiz Enrique Mandetta
Reuters/Ueslei Marcelino
Auch mit dem von Bolsonaro vor rund einem Monat geschassten beliebten Gesundheitsminister Mandetta gab es Unstimmigkeiten

Amtsenthebungsverfahren könnte drohen

Auch sonst läuft für Bolsonaro nicht alles rund: Er steht derzeit zusätzlich noch schwer unter Druck durch die Justiz. Im April hatte das oberste Gericht die Bundespolizei angewiesen, Anschuldigungen gegen Bolsonaro wegen Einmischung in die Polizeiarbeit zu untersuchen. Die Ermittlungen könnten in ein Amtsenthebungsverfahren gegen Bolsonaro münden.

Die Anschuldigungen gegen Bolsonaro wurden vom inzwischen zurückgetretenen Justizminister Sergio Moro erhoben. Der ehemalige Richter hatte 2017 den Ex-Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva zu einer langjährigen Haftstrafe wegen Korruption verurteilt. Lula wies die Vorwürfe stets als politisch motiviert zurück. Im November vergangenen Jahres kam Lula frei. Er war von 2003 bis 2010 Präsident Brasiliens und in der Bevölkerung äußerst populär.

Linker Vorgänger warnt vor „Völkermord“

Der linke brasilianische Ex-Präsident Lula warf derweil seinem Nachfolger Bolsonaro vor, wegen unzureichender Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus einen „Völkermord“ zu verursachen. Der Ex-Staatschef forderte die Amtsenthebung Bolsonaros.

Die Regierung in Brasilia mache aus jedem, der sich vor dem Erreger fürchte, „einen Feind“, kritisierte Lula in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP. Der Präsident treibe das Land mit seinen Aufrufen, die Wirtschaft zu öffnen, ins „Chaos“, kritisierte der Linkspolitiker. „Ich bin katholisch, daher bete ich für die Brasilianer, damit sie dem Genozid entkommen, den Bolsonaro auslöst.“

Warnung vor Militär in Bolsonaro-Umfeld

Der 74-jährige Ex-Präsident verurteilte auch den Einsatz der Armee für Bolsonaros Belange. Derzeit seien die Soldaten „weniger Zivilisten als Militäroffiziere im Präsidentschaftspalast“, sagte Lula. Die Armee habe unter Bolsonaro „sogar mehr Einfluss in der Regierung als während der Militärdiktatur“.

Angesichts der Attacken Bolsonaros „auf die Demokratie, demokratische Institutionen und das brasilianische Volk“ müsse Bolsonaro des Amtes enthoben werden, forderte Lula weiter. Er sei jedoch dagegen, dass eine Bewegung für ein Amtsenthebungsverfahren von einer politischen Partei ausgehe. Eine „ideologische Konnotation“ eines solchen Prozesses müsse vermieden werden.