Heinz-Christian Strache (Obmann Team HC Strache)
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Ein Jahr nach „Ibiza-Affäre"

Debatte über politische Moral hält an

Ein Jahr nachdem das „Ibiza-Video“ öffentlich gemacht worden war, haben am Sonntag Expertinnen und Experten aus Politik und Medien Bilanz gezogen. Auch Heinz-Christian Strache selbst stellte sich in „Im Zentrum“ einmal mehr seinen Aussagen in dem Video, die ihn sein Amt kosteten und Österreich in die politische Krise gestürzt hatten. Zwölf Monate später hält die Debatte über politische Moral an.

„So sind wir nicht“, sagte Bundespräsident Alexander Van der Bellen letztes Jahr in einem Video an die Österreicherinnen und Österreicher gerichtet, in der Hoffnung, das Vertrauen in Politik und Demokratie wiederherstellen zu können. Irmgard Griss, die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofes (OGH), will das in der Diskussion in „Im Zentrum“ am Sonntagabend nicht unterschreiben.

„Vielleicht eher: So wollen wir nicht sein, so sollen wir nicht sein“, so Griss. „Dass es bei uns vorkommt, beweist das ‚Ibiza-Video‘, das ist kein Einzelfall.“ Vielmehr seien es Strukturen, die in der österreichischen Politik vorkämen. „Für mich war es ein Schock, dass man so etwas ausspricht“, zeigte sich Griss auch ein Jahr später fassungslos über Straches Versprechen zu Staatsaufträgen der Oligarchennichte gegenüber. „Dass man so etwas denkt, vielleicht, aber ausspricht?“, zog Griss Bilanz.

Peschorn: „Es muss Transparenz her“

Wolfgang Peschorn, Präsident der Finanzprokuratur und früherer Kurzzeitinnenminister im Kabinett Brigitte Bierleins, weist auf die Konsequenzen des Videos hin – etwa die „Casinos“-Ermittlungen, die auf die Aufdeckungen im „Ibiza-Skandal“ zurückgehen. „Es legt offen, wie das System hier in Österreich funktioniert“, gab Peschorn zu. „Es hat mich nicht überrascht, aber überrascht hat mich, dass es in einem Video zu sehen war und dass es so ausgesprochen wurde“, ergänzte auch er. Es sei höchste Zeit, „dass diese Verflechtungen aufgebrochen werden. Es muss Transparenz her“ – und zwar nicht nur in der Politik selbst, sondern auch „viel mehr noch im staatsnahen Bereich“, so Peschorn in „Im Zentrum“.

Irmgard Griss (ehem. Präsidentin des Obersten Gerichtshofes)
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Griss zeigte sich auch ein Jahr später schockiert über den „Ibiza-Skandal“

Jeder Politiker und jede Politikerin müsse jeden Tag selbst vor dem Spiegel entscheiden, auf welcher Seite er stehe, so der Politologe Peter Filzmaier in der Diskussion. Dass einer ein „moralischer Totalversager“ sei, der „nicht auf der anständigen, sondern auf der unanständigen Seite ist, das ist wohl allen klar“, so Filzmaier. Das sei der „moralische Grundauftrag“.

Strache weist Vorwürfe von sich

Doch genau das sei der Grund, warum er, so Strache, wieder in die Politik gehe. Strache will für seine Partei „Team HC Strache, Allianz für Österreich“ als Parteichef bei der Wien-Wahl antreten. Rechtzufertigen versuchte sich Strache, indem er auf den Zusammenschnitt des „Ibiza-Videos“ hinwies. „Dinge sind bewusst aus dem Gesamtkontext gerissen worden“, so Straches Vorwurf. Er sei „in einem sehr fragwürdigen Zustand“ gefilmt worden. Er habe sich „fürchterlich benommen“, aber alle Angebote abgelehnt.

Einen Seitenhieb erteilte er auch den Journalisten und Journalistinnen, die an der Aufdeckung des Skandals beteiligt waren. „Journalisten wollten sich rechtlich absichern mit dem Buch, sollte das Video einmal den Staatsanwälten übergeben werden“, so der ehemalige FPÖ-Vizekanzler. Eine vollständige Veröffentlichung ist aber aus diversen rechtlichen Gründen nicht möglich, unter anderem auch deshalb, da darin Gerüchte über Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und den früheren Kanzler Christian Kern (SPÖ) gestreut wurden.

Keine Scham zeigte Strache, was die Spesenaffäre rund um Gehaltszuschüsse der Parteikassa an ihn anlangt – etwa für private Mietzuschüsse. „Wenn Spesen genehmigt wurden, waren sie genehmigt, wenn sie privat zu bezahlen waren, wurden sie privat bezahlt“, so Strache.

Peschorn: „Unbestechlich und sauber sein“

Griss reagierte, es fehle ihr der Glaube, wenn Strache entscheide, wieder in die Politik zurückzukehren. Nach so einem Skandal müsse er sagen: „Ich hab’s versucht, aber ich war den Versuchungen nicht gewachsen. Dann darf man nicht in die Politik“, so Griss. „Worum geht’s in Politik?“, fragte Peschorn an Strache gerichtet. Darum, „sauber zu agieren. Was wir in einer funktionierenden Demokratie brauchen, sind Menschen, die Verantwortung übernehmen, die Charakter nach außen beweisen, dass sie für Interessen des Landes da sind und kein anderes dem vorgeht. Dazu muss man unbestechlich und sauber sein.“

Wolfgang Peschorn (Präsident der Finanzprokuratur)
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Peschorn erinnerte daran, worum es in der Politik gehen sollte

Griss wünschte sich für die Zukunft mehr Regeln, damit so etwas wie die „Ibiza-Affäre“ nicht mehr vorkomme. „Man braucht Kontrolle, Transparenz, einen Anstand und eine Seriosität, die vorgelebt werden muss.“ „‚Verhaberung‘ ist nur möglich, weil wir keine Transparenz haben“, kritisierte Griss. Als Kontrollinstrumente könne sie sich ein entsprechendes Parteiengesetz vorstellen, Kontrollbefugnisse des Rechnungshofes (RH), Ausschreibungen öffentlicher Posten, Bewerbungsverfahren und Hearings.

Zadic kündigt Gesetzespaket an

Erste Schritte in diese Richtung kündigte Justizministerin Alma Zadic (Grüne) am Sonntag an. Bei einer Pressekonferenz am Sonntag sagte sie, dass Korruption künftig bald auch dann strafbar werde, wenn von einem Politiker oder einer Politikerin die entsprechenden Zusagen gemacht werden, obwohl er oder sie die Funktion für deren Umsetzung noch gar nicht innehat. Hintergrund ist eben die „Ibiza-Affäre“. Da Strache damals aber noch keine Regierungsverantwortung hatte, konnte er für entsprechende Zusagen nicht belangt werden. Insofern wäre es laut Zadic „leider“ möglich, dass sich das auf Ibiza Geschehene wiederholt: „Das kratzt an unserem Gerechtigkeitssinn und an unserem Glauben an die Demokratie.“

Justizministerin Alma Zadic (Grüne)
APA/Georg Hochmuth
Zadic trat wieder im Ministerium auf – anlässlich des Tages gegen Homophobie mit Regenbogenflagge im Hintergrund

Daher plant die Ministerin nun eine strafgesetzliche Änderung, wonach eine Person sich bereits dann strafbar macht, wenn sie sich um ein politisches Amt bemüht. Konkret umfasst wäre das Zuschieben von Geschäften in Gegenleistung für parteipolitische Gefälligkeiten. Damit werde diese Strafbarkeitslücke geschlossen, so Zadic. Die entsprechende Gesetzesänderung soll demnächst in Begutachtung gehen und nach dem Sommer beschlossen werden.

„Im Zentrum“: Politik und die Qual der Moral – Was bleibt vom Sündenfall Ibiza?

„So sind wir nicht!“ Mit diesen Worten hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen im Mai 2019 die „Ibiza-Affäre“ kommentiert. Vor genau einem Jahr haben „Süddeutsche Zeitung“ und „Spiegel“ ein heimlich gefilmtes Gespräch der damaligen FPÖ-Spitzenpolitiker Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus mit einer vermeintlichen russischen Investorin in einer Villa auf Ibiza veröffentlicht. Darin ging es unter anderem um Staatsaufträge für millionenschwere Spenden und die Übernahme der „Kronen Zeitung“. Die Folgen waren dramatisch: Rücktritt von Strache als Vizekanzler, Rücktritt von Gudenus als Klubobmann im Parlament, Sturz der Regierung Kurz, Einsetzung einer Expertenregierung und Neuwahlen. Die „Ibiza-Affäre“ hat die politische Landschaft in Österreich völlig verändert. Doch welche Konsequenzen wurden aus der Affäre tatsächlich gezogen? Kann Käuflichkeit in der Politik völlig ausgeschlossen werden? Und wie ist es mit der Moral in der Politik bestellt, wenn Heinz-Christian Strache mit einer neuen Partei in die Politik zurückkehrt?

Ebenfalls in dem Paket enthalten ist ein Passus gegen Mandatskauf. Auch hier gab es ja Vorwürfe gegen die Freiheitlichen, wonach sich Oligarchen auf der Wahlliste der FPÖ einen Platz für einen Mittelsmann gesichert hätten. Ob diese Vorwürfe zutreffen, habe nicht ermittelt werden können, da das gegenwärtig gar nicht strafbar wäre, berichtete Zadic, ohne hier die Beteiligten zu nennen. Künftig soll Mandatskauf sowohl für die Auftraggeber, die angehenden Mandatare und auch für die Vorteile annehmende Partei strafrechtlich untersagt werden. Der dritte Teil des Antikorruptionspakets betrifft einen Korruptionsbericht, der in den im Herbst erscheinenden Sicherheitsbericht mit eigener Statistik inkludiert werden soll. Zadic erhofft sich, aus der besseren Datenlage dann noch bessere Entscheidungen zur Korruptionsbekämpfung treffen zu können.