Mädchen mit Maske geht an Garderobe vorbei
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Fassmann zu Schulstart

Bei Maskenpflicht „Hausverstand“ anwenden

Die Hälfte der rund 700.000 Schülerinnen und Schüler an Pflichtschulen sind seit Montagfrüh nach wochenlanger pandemiebedingter Pause wieder in der Schule. Vieles ist dabei neu und ungewohnt: vom Schulweg über die Sitzordnung in der Klasse und den Unterricht bis zum direkten Umgang miteinander. Am auffälligsten und schwierigsten ist vielleicht die Maskenpflicht. Diese solle man „mit Hausverstand“ umsetzen, riet ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann.

In Volksschulen, AHS-Unterstufen, Neuen Mittelschulen und Sonderschulen wird nach neun Wochen wieder in den Klassenräumen unterrichtet, wenn auch mit jeder Menge neuer Hygiene- und Abstandsregeln. Faßmann verteidigte am Montag im Ö1-Morgenjournal die neuen Vorschriften, insbesondere die Maskenpflicht außerhalb der Klasse.

Nur weil die Schulen wieder geöffnet seien, sei das Virus nicht verschwunden. Aber auch dem Bildungsminister ist klar, dass es im Alltag zahlreiche Verletzungen der Regeln geben wird. Wenn einem Kind die Maske verrutsche oder ein Bleistift vertauscht werde, werde es deshalb nicht gleich zu einer Infektion kommen müssen, sagte Faßmann und plädierte auch für Gelassenheit.

Probegalopp für mögliche zweite Welle

Letztlich, das machte Fassmann zumindest indirekt klar, ist die Anwendung der Hygienregeln auch ein Probegalopp für den Herbst. Er geht zwar davon aus, dass im Herbst der Unterrichtsbetrieb regulär – also mit vollen Klassen und ohne „Distance-Learning“ – starten kann. Aber sollte es zu einer zweiten Welle der Pandemie kommen oder zu lokalen Clustern, dann gebe es zumindest die nötigen Instrumente, um rasch reagieren zu können. Ihm sei jedenfalls das Öffnen der Schule „ein tiefes Anliegen, gerade auch aus diesen Gründen heraus, dass es nicht zu einem Humankapitalverlust großen Ausmaßes kommt“.

Schulkinder mit Schultaschen und Masken beim Eingang zu einer Schule in Brunn am Gebirge
Reuters/Leonhard Foeger
Volksschulkinder in Brunn am Gebirge (Niederösterreich) desinfizieren am Eingang ihre Hände

Gestaffelte Einlasszeiten

Die erste Hürde hat zumindest der erste Block an Schülerinnen und Schülern, die am Montag zum Unterricht in die Schule zurückkehrten, geschafft: nämlich den Weg dorthin. Für viele reicht es etwa nicht mehr, einfach nur „pünktlich“ zum Unterricht zu erscheinen. Viele Schulen haben für die Wochen vor dem Sommer gestaffelte Einlasszeiten eingeführt – wie sie auch das Hygienehandbuch des Bildungsministeriums empfiehlt.

Das soll verhindern, dass zu viele Schülerinnen und Schüler gleichzeitig das Schulgebäude betreten. Es bedeutet aber auch, dass Eltern und Kinder den Morgen noch genauer durchtakten müssen, als das in vielen Familien ohnehin der Fall ist.

Start „unaufgeregt“ und „diszipliniert“

Eine Privatschule in Wien-Währing blieb am Montag wegen eines Coronavirus-Verdachtsfalls allerdings vorerst zu. Laut einer Betroffenen wurden die Schülerinnen und Schüler vor dem Gebäude abgewiesen und wieder nach Hause geschickt – mehr dazu in wien.ORF.at. Bei einem großen Teil der Schulen gab es aber keine Probleme etwa bei der Einhaltung der Hygieneregeln. Schuldirektoren beschrieben den Start als „unaufgeregt“ und „sehr diszipliniert“.

Vereinzelt erschienen Kinder in der Klasse, obwohl sie im Präsenzunterricht laut Liste nicht vorgesehen gewesen wären. Auch in einer Volksschule in Linz erschienen zwar in etwa so viele Kinder wie angemeldet, „aber andere als erwartet“, so Direktor Stefan Pirc. Ein Schüler einer NMS in Wien-Favoriten saß hustend im Klassenzimmer – aufgrund einer Allergie. Hier fordert Direktorin Gabriele Huber eine ärztliche Bestätigung. In einem Wiener Gymnasium gab es eigens abgestellte Hygienelehrer, die das Händewaschen anleiteten.

Es gab aber auch einige besorgte Stimmen. „Wir sind eine moderne Schule im 21. Jahrhundert und haben jetzt plötzlich disziplinäre Regeln, die fast an ein Gefängnis erinnern“, sagte eine Grazer Schuldirektorin – mehr dazu in steiermark.ORF.at.

Direktoren wehren sich gegen „sinnlose Zusatzbelastung“

Kritik gab es zudem an den zusätzlichen bürokratischen Anforderungen. Im Rahmen des „Monitoring zur Schulöffnung“ sollen die Schulen künftig jeden Freitag eine umfangreiche Abfrage zu An- und Abwesenheiten von Lehrern und Schülern ausfüllen. Als Vertretende der Direktoren an AHS und berufsbildenden mittleren und höheren Schulen (BMHS) forderten Isabella Zins und Franz Reithuber das Bildungsministerium in einem offenen Brief auf, darauf zu verzichten.

Diese Abfrage werde in der „äußerst intensiven Phase des Hochfahrens des Präsenzunterrichts“ als „sinnlose und deshalb unzumutbare Zusatzbelastung“ empfunden. Schließlich werde von den Schulverwaltungsprogrammen automatisch erfasst, welche Lehrer welche Schüler in welchem Raum unterrichtet haben.

Wiener AHS-Direktoren wiederum verglichen in einem „Offenen Videobrief“ Faßmanns Management der Maßnahmen zur Schulwiederöffnung mit einem Griff ins Klo. Schlechte Kommunikation und widersprüchliche Verordnungen hätten eine verlässliche Planung behindert, Autonomie werde den Schulen nur bei „unangenehmen Entscheidungen“ zugestanden. „Sie delegieren die falschen Entscheidungen!“, heißt es zu einem Bild auf einem Klodeckel, das Faßmann beim Anlegen eines Mund-Nasen-Schutzes zeigt.

Viel Neues auf einmal

Die zahlreichen Vorgaben zerren aber nicht nur am familiären Zeitkorsett. Die Kinder seien durch die neuen Regeln sehr gefordert, stellte vergangene Woche etwa das Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV) in einer Aussendung fest. Ein Teil der Kinder habe vor Ausbruch der Krise gerade erst gelernt, sich selbstständig durch den Straßenverkehr zu bewegen. „Nun müssen sie mit zusätzlichen Einflüssen umgehen: mit dem Bewegungsdrang nach Wochen der eingeschränkten Möglichkeiten, mit dem Wunsch nach Spaß und Tratschen mit den Freunden – und gleichzeitig sollen sie Abstand halten und in den öffentlichen Verkehrsmitteln Masken tragen“, so Klaus Robatsch, Leiter der Verkehrssicherheitsforschung im KFV.

Kinder am Schulweg
APA/Georg Hochmuth
Kinder überqueren die Straße

Wenn Kinder wieder vermehrt zu Fuß oder mit dem Roller unterwegs sind, könnte laut Robatsch vor allem die Abstandsregel zu Problemen führen. So könnten Kinder einfach vom Gehsteig auf die Straße treten, weil sie sich an die Abstandsregel halten wollen und dabei die Gefahr abseits des Gehsteigs vergessen. Eltern sollten mit kleineren Kindern daher den Schulweg unter den neuen Bedingungen noch einmal üben, so Robatsch. Er appellierte überdies an das Verantwortungsgefühl der Erwachsenen: „Wenn alle Verkehrsteilnehmer noch mehr als bisher aufeinander Rücksicht nehmen und füreinander mitdenken, kann auch die aktuelle ungewöhnliche Situation im Straßenverkehr ohne ein Plus bei den Unfällen gemeistert werden“.

Mund-Nasen-Schutz „nur“ in den „Öffis“

In den ersten Mai-Tagen trieb viele Eltern – aber auch manchen Politiker – überdies noch eine andere Frage um: ob Kinder tatsächlich auf dem gesamten Schulweg eine Maske tragen müssen. Einige Schulen hatten diese allgemeine Aufforderung weitergegeben – wohl auch, weil in einem Pressepapier des Bildungsministeriums von einer „Maskenpflicht am Weg in die Schule und am Weg nach Hause“ die Rede war. Das Ministerium stellte inzwischen klar, dass ein Mund-Nasen-Schutz nur in den öffentlichen Verkehrsmitteln zu tragen ist.

Es fällt aber nicht schwer, sich vorzustellen, wie auch diese Regel für manches Kind zur Herausforderung werden kann. „Da das Tragen der Maske für einige Kinder ungewohnt und ablenkend sein kann, sollte die richtige Verwendung vorab geübt und erklärt werden“, sagte etwa Marion Seidenberger, Verkehrspsychologin des ÖAMTC. Sie riet, dass die Kinder die Maske bereits im Bereich der Haltestelle anlegen. Und sie empfahl Eltern, mit ihren Kindern verschiedene Szenarien durchzuspielen: zum Beispiel dass der Mundschutz herunterfällt oder vom Wind davongetragen wird.

„Absolute Ausnahmesituationen“

Neben der Maskenpflicht gilt auch in Bus, Bahn und Bim weiterhin die Abstandsregel von einem Meter. Daran müssen sich auch Schülerinnen und Schüler halten, die gemeinsam in den „Öffis“ zur Schule fahren. Freilich: Ob es zur Stoßzeit in der Früh überhaupt möglich ist, einander einen Meter fernzubleiben, ist noch einmal eine andere Frage.

Straßenbahnen in Wien
APA/Herbert P. Oczeret
Auch Schulkinder müssen in den „Öffis“ einen Mund-Nasen-Schutz tragen – und einen Meter Abstand halten

Darum weiß wohl auch das Gesundheitsministerium. Bereits Ende April hieß es von Ressortchef Rudolf Anschober (Grüne) die Grundnorm bleibe zwar erhalten. Und sie müsse überall dort, wo es genug öffentliche Verkehrsmittel und Intervalle gibt, auch umgesetzt werden. Man könne aber „niemanden dafür strafen, wenn das Angebot nicht vorhanden ist“, so Anschober bei einer Pressekonferenz am 28. April. Vier Tage später sprach der Minister in einer Aussendung zwar von „absoluten Ausnahmesituationen“ – räumte aber erneut ein, dass der Mindestabstand in solchen Fällen „ausnahmsweise unterschritten werden“ könne.

Alternative Elterntaxi?

Manchem Vater und mancher Mutter mag es als die bessere Lösung erscheinen, den Nachwuchs per Auto zur Schule zu bringen. Allerdings: Bereits vor der Coronavirus-Krise legte laut Zahlen des Infrastrukturministeriums jedes fünfte Kind den Schulweg mit dem „Elterntaxi“ zurück. Zwar fanden viele dieser Fahrten in ländlichen Regionen statt. Aber blockierte Straßen und Gehwege waren gerade vor innerstädtischen Schulen in der Früh ein gewohntes Bild. Vor vielen Schulen gilt mittlerweile ein Parkverbot vor manchen werden die Straßen vor Schulbeginn und -ende sogar gesperrt.

Der Schichtbetrieb an den Schulen wird in den kommenden Wochen dafür sorgen, dass pro Tag weniger Kinder und Jugendliche in die Schule kommen als vor den Schließungen. Sollten aber deutlich mehr Eltern auf den familiären Taxidienst setzen, könnte das die Verkehrssituation vor den Schulen dennoch verschärfen – und auch für mehr gefährliche Situationen sorgen. Der Verkehrsclub Österreich (VCÖ) hat darüber hinaus noch ein Argument gegen die Eltern als Privatchauffeure: In Anbetracht entfallender Turnstunden biete der Schulweg zumindest die Chance auf etwas Bewegung.