Postverteilerzentrum Hagenbrunn
APA/BUNDESHEER/Robert Hartl
Coronavirus

Schlagabtausch über Cluster in Wien

Ein neuer Coronavirus-Cluster in Wien hat in den vergangenen Tagen für Aufregung gesorgt. Am Wochenende kam es zu einem politischen Schlagabtausch, der auch als Vorbote für den Wien-Wahlkampf gesehen werden kann. Am Montag meldeten sich dann gleich drei Minister zu Wort. Neben dem „Auslöser“ des Clusters stand auch die Zusammenarbeit zwischen Stadt Wien und Bund im Zentrum.

Ausgangspunkt der derzeitigen Debatte ist ein gehäuftes Auftreten von CoV-Infektionen in der Hauptstadt – mehr dazu in wien.ORF.at. Bei dem Cluster wurden Verbindungen zwischen Leiharbeitsfirmen und Post-Verteilzentren in Wien und Niederösterreich registriert. Auch die Fälle in einem Flüchtlingsheim in Wien-Erdberg sollen damit in Zusammenhang stehen, da dortige Bewohner bei den Firmen beschäftigt waren. Zudem wurde die Mitarbeiterin eines derzeit geschlossenen Kindergartens positiv getestet. Sie ist mit einem infizierten Leiharbeiter verheiratet.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) sprach am Montag eine Warnung an die Stadt Wien aus. Die Infektionszahlen in der Bundeshauptstadt seien „besorgniserregend“. Man müsse eine zweite Welle unterbinden, „es braucht ein Miteinander, kein Gegeneinander“, so der Innenminister. Er bot der Stadt – wie auch am Wochenende – eine verstärkte Zusammenarbeit an. Die Transparenz und die Zusammenarbeit seien ausbaufähig, sagte Nehammer. Mit Bernhard Treibenreif, Leiter des Einsatzstabes im Innenministerium, kritisierte der Ressortchef mangelnde Informationen Wiens zu Coronavirus-Fällen.

Anschober sieht „keine Causa Wien“

Derzeit gebe es Defizite in der Kommunikation mit der Stadt. So habe der Einsatzstab über die Medien erfahren, welche Leiharbeiterfirma von den Infektionen im Post-Verteilzentrum in Hagenbrunn betroffen sei. Er appelliere an Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ): „Arbeiten wir zusammen, kämpfen wir gemeinsam gegen eine zweite Welle.“ Es wäre „verantwortungslos“, wenn man das nicht täte, so Nehammer, dessen Parteikollege und Finanzminister Gernot Blümel für die ÖVP bei der Wien-Wahl im Herbst als Spitzenkandidat antritt.

Darauf angesprochen, dass Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) keine besondere Gefahr in Wien sieht, relativierte der Innenminister etwas seine anfänglichen Aussagen. „Die Zahlen in Wien sind so, dass sie beherrschbar sind, aber sie sind deutliche höher als in anderen Bundesländern.“ Anschober stellte sich hingegen hinter die Wiener Gesundheitsbehörden. Aus seiner Sicht gibt es „keine Causa Wien“, denn vom jüngsten Infektionscluster in den zwei Post-Verteilerzentren und einem Flüchtlingsheim sei auch Niederösterreich betroffen.

„Es ist ein Thema, das im Übrigen keine Causa Wien ist, wo Wien und Niederösterreich betroffen sind und hervorragend zusammenarbeiten“, sagte Anschober. Infektionscluster in einzelnen Bereichen seien zu erwarten gewesen. Wichtig sei nun ein schnelles Eindämmen, betonte Anschober in Richtung SPÖ-Grünen-Stadtregierung. Die Gesundheitsbehörden beider Bundesländer haben aus seiner Sicht „die richtigen Schritte gesetzt“.

Kogler: Werden uns daran nicht beteiligen

Außerdem kündigte Anschober an, der vom Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) aufgeworfenen Frage von Infektionsclustern im Bereich prekärer Arbeitsverhältnisse nachgehen zu wollen. Einen Vergleich zwischen Wien und dem Skiort Ischgl, aus dem heimkehrende Urlauber und Urlauberinnen das Coronavirus in zahlreiche Länder „exportiert“ hatten, lehnte Anschober ab: „Es ist nicht Wien, sondern wir haben in einem bestimmten Arbeitsbereich – prekäre Arbeitssituationen – ein Thema in Niederösterreich und Wien. Wir schauen uns das aber auch über diese beiden Bundesländer hinausgehend in Zukunft an.“

Coronavirus bei der Post

Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) hat am Sonntag eine erste Analyse des aktuellen Clusters an Coronavirus-Infektionen präsentiert. Laut dem Ressortchef deutet alles darauf hin, dass das Post-Verteilzentrum im niederösterreichischen Hagenbrunn bzw. die Leiharbeitsfirmen Auslöser waren.

Anschober betonte aber auch, dass man „mit aller Kraft versuchen“ werde, den Cluster in Wien zu kontrollieren. Er dürfe nicht unterschätzt werden und müsse „sehr offensiv, unter Beiziehung aller Möglichkeiten des Bundes“, überprüft werden, sagte der Minister. Daher habe er die Mitarbeit der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) angeboten, um diese Arbeit zu unterstützen. Ob die beiden Länder, wie von Nehammer von Wien forderte, auf die Polizei zurückgreifen, ist aus Anschobers Sicht deren Entscheidung.

Nicht einmischen in „parteipolitische Zuweisungen“ um die Verfolgung der Infektionsketten in Wien wollte sich Vizekanzler Werner Kogler (Grüne). „Wir werden uns daran nicht beteiligen“, sagte Kogler am Montag vor Journalisten und Journalistinnen. Er habe den Eindruck, dass Gesundheitsstadtrat Hacker die Testungen „ganz genau verfolgt“. Das Gesundheitsministerium sei mit den Wiener Landesstellen in intensivem Austausch, so Kogler.

Vorbote für Wiener Wahlkampf

"Wir arbeiten engstens und bestens mit dem Gesundheitsministerium zusammen. Das ist die gesetzlich festgelegte Kommunikationslinie“, stellte Hacker am Montag klar. Er wunderte sich über das „Durcheinander“ im Bund. Dort gebe es inzwischen drei Krisenstäbe – im Gesundheits- und im Innenministerium sowie im Bundeskanzleramt. „Das Epidemiegesetz schreibt klar vor, dass der zuständige Minister allein der Gesundheitsminister ist. In Wirklichkeit ist es ein bisschen merkwürdig, dass es neben dem großen Stab im Gesundheitsministerium einen gleichrangigen Stab im Innenministerium gibt“, sagte Hacker gegenüber „Wien heute“ – mehr dazu in wien.ORF.at.

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch schloss sich den Worten seines Parteikollegen an. Nehammer missbrauche die Coronavirus-Krise für eine „skandalöse Anti-Wien-Kampagne“, so Deutsch in einer Aussendung am Montag. Offenbar soll das Ministerium zum „türkisen Wahlkampfbüro“ umfunktioniert werden. „Statt Wien weiter zu diskreditieren, muss der zuständige Finanzminister Blümel die Verantwortung für die schockierenden Bedingungen, unter denen LeiharbeiterInnen bei der Post arbeiten, übernehmen.“

Hacker nahm laut ÖVP Krise nicht ernst

Nehammer hingegen sagte am Sonntag mit Blick auf den aktuellen Cluster: „Dieser dramatische Fall zeigt, dass es mehr braucht, als bisher getan wurde. Ich habe dem Wiener Bürgermeister mehrmals Hilfe beim Containment angeboten, um das Virus einzugrenzen. Spätestens jetzt wäre es Zeit, diese anzunehmen. Wir müssen jetzt zusammenhelfen.“ Der nicht amtsführende Wiener ÖVP-Stadtrat Markus Wölbitsch forderte Hacker auf, „aktiv gegenzusteuern“. Hacker habe die Coronavirus-Krise nämlich „noch nie richtig ernst genommen“.

Der Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp kritisierte die Vorgehensweise der Stadt und sprach von „Corona-Asylanten“: „Jetzt ist klar geworden, dass die neue Coronavirus-Welle im Asylquartier seinen Ursprung hat und von dort in zwei Post-Verteilerzentren und einen Kindergarten geschwappt ist.“ Jetzt müsse unter anderem geklärt werden, wie es zu den Ansteckungen in den Post-Verteilzentren gekommen sei – und warum die „infizierten Asylanten“ nicht in Quarantäne „gesperrt“ worden seien.

Hacker-Analyse für Niederösterreich nicht nachvollziehbar

Die niederösterreichische Landessanitätsdirektorin Irmgard Lechner widersprach den Aussagen Hackers, wonach Hagenbrunn wohl Auslöser für einen aktuellen Cluster gewesen sei. Das sei auf Grundlage aller bekannten Fakten „sachlich nicht nachvollziehbar“, sagte sie. Die Situation sei „von uns akribisch aufgearbeitet worden“, so Lechner. „Es gab im Post-Verteilzentrum Hagenbrunn im Vorfeld keinen einzigen positiv getesteten Coronavirus-Fall“, so Lechner.

Der Patient 0 dieses Clusters sei ein Mann gewesen, der von seinem Wohnsitz in Wien nach Hagenbrunn pendelte. „Die nächsten drei Fälle waren ebenso Personen, die aus Wien ins Post-Verteilzentrum Hagenbrunn pendelten – und zwar im gleichen Bus wie der Patient 0“, erläuterte die Landessanitätsdirektorin.

„Es wäre daher – vorsichtig formuliert – mindestens ebenso schlüssig, davon auszugehen, dass das Virus von diesen Personen aus Wien ins Post-Verteilzentrum Hagenbrunn getragen wurde“, sagte Lechner zur APA. Generell halte sie jedoch nichts davon, „wenn bei der Eindämmung des Virus mit dem Finger aufeinander gezeigt wird“. Für die erfolgreiche Bekämpfung des Virus sei es „wichtig, dass wir alle zusammenarbeiten“.