Post Verteilerzentrum Hagenbrunn
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Hickhack um Cluster

Wien-Wahlkampf wirft Schatten voraus

Der Streit über den Anfang des CoV-Clusters in Wien und Niederösterreich sowie der Umgang damit sorgt seit dem Wochenende für ein heftiges Hickhack, insbesondere zwischen der Stadt Wien und dem Innenministerium. Die Coronavirus-Krise dürfe nicht für „Wahlkampf-Geplänkel missbraucht“ werden, kritisiert NEOS die ersten Anläufe zum Wien-Wahlkampf.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) sprach am Montag eine Warnung an die Stadt Wien aus. Die Infektionszahlen in der Bundeshauptstadt seien „besorgniserregend“. Danach relativierte er, dass die Zahlen in Wien beherrschbar seien, aber deutlich höher als in anderen Bundesländern. Man müsse aber eine zweite Welle unterbinden, „es braucht ein Miteinander, kein Gegeneinander“, so der Innenminister.

Er bot Wien – wie schon am Wochenende – eine verstärkte Zusammenarbeit an. Die Transparenz und die Zusammenarbeit seien ausbaufähig, sagte Nehammer. Am Dienstag legte er nach und kritisierte, Wien sei das einzige Bundesland, in dem keine „Überwachung von Quarantänemaßnahmen durch die Polizei“ stattfinde.

Hacker: Enge Zusammenarbeit mit Gesundheitsministerium

Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) sieht in Bezug auf den CoV-Cluster in Wien und Niederösterreich keinerlei Zuständigkeit bei Nehammer: „Wir arbeiten engstens und bestens mit dem Gesundheitsministerium zusammen. Das ist die gesetzlich festgelegte Kommunikationslinie.“ Er zeigte sich genauso wie Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) über das „Durcheinander“ im Bund verwundert. Die vom Innenminister geforderten Unterlagen lägen bereits beim dafür zuständigen Gesundheitsministerium – mehr dazu in wien.ORF.at.

Wiens Gesundheitsstadtrat Hacker zum Streit über CoV-Cluster

Wegen des Coronavirus-Clusters in Wien und Niederösterreich ist eine politische Debatte entstanden. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) kritisierte die Stadt Wien. Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) wies die Kritik in der ZIB2 scharf zurück.

Leiharbeiter im Fokus

Hintergrund des Schlagabtauschs ist ein gehäuftes Auftreten von CoV-Infektionen in der Hauptstadt – mehr dazu in wien.ORF.at. Bei dem Cluster wurden Verbindungen zwischen Leiharbeitsfirmen und Post-Verteilzentren in Wien und Niederösterreich registriert. Auch die Fälle in einem Flüchtlingsheim in Wien-Erdberg sollen damit in Zusammenhang stehen, da dortige Bewohner bei den Firmen beschäftigt waren. Zudem wurde die Mitarbeiterin eines derzeit geschlossenen Kindergartens positiv getestet. Sie ist mit einem infizierten Leiharbeiter verheiratet.

Mit Bernhard Treibenreif, Leiter des Einsatzstabes im Innenministerium, kritisierte der Ressortchef mangelnde Informationen Wiens zu Coronavirus-Fällen. Derzeit gebe es Defizite in der Kommunikation mit der Stadt. So habe der Einsatzstab über die Medien erfahren, welche Leiharbeiterfirma von den Infektionen im Post-Verteilzentrum in Hagenbrunn betroffen sei.

Er appelliere an Bürgermeister Ludwig: „Arbeiten wir zusammen, kämpfen wir gemeinsam gegen eine zweite Welle.“ Es wäre „verantwortungslos“, wenn man das nicht täte, so Nehammer, dessen Parteikollege und Finanzminister Gernot Blümel für die ÖVP bei der Wien-Wahl im Herbst als Spitzenkandidat antritt.

Kritik an Hacker

Nehammer hingegen sagte bereits am Sonntag mit Blick auf den aktuellen Cluster: „Dieser dramatische Fall zeigt, dass es mehr braucht, als bisher getan wurde. Ich habe dem Wiener Bürgermeister mehrmals Hilfe beim Containment angeboten, um das Virus einzugrenzen. Spätestens jetzt wäre es Zeit, diese anzunehmen. Wir müssen jetzt zusammenhelfen.“ Der nicht amtsführende Wiener ÖVP-Stadtrat Markus Wölbitsch forderte Hacker auf, „aktiv gegenzusteuern“. Hacker habe die Coronavirus-Krise nämlich „noch nie richtig ernst genommen“.

Wiener CoV-Fälle

Wien liegt bei CoV-Neuerkrankungen in absoluten Zahlen deutlich vorne. Bei knapp zwei Fällen pro 10.000 Einwohnern liegt es aber an fünfter Stelle hinter den Bezirken Horn (3,9), St. Pölten (3,6), Weiz (3,0) und Neunkirchen (2,4). Der Post-Cluster ist laut AGES auch der Grund für einen Anstieg der effektiven Reproduktionszahl auf über eins.

Unterstützung bekam die Stadt Wien von der Bundes-SPÖ. Nehammer missbrauche die Coronavirus-Krise für eine „skandalöse Anti-Wien-Kampagne“, so SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch. Blümel müsse „die Verantwortung für die schockierenden Bedingungen, unter denen Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter bei der Post arbeiten, übernehmen“.

Anschober lobt Reaktion von Wien und NÖ

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) lobte die bisherige Reaktion von Wien und Niederösterreich. Die Gesundheitsbehörden beider Länder hätten „die richtigen Schritte gesetzt“. Auch der Informationsaustausch mit Wien sei gut. Anschober bot zudem die Unterstützung der Agentur für Ernährungssicherheit (AGES) an. Denn er nehme den Cluster in Wien „sehr ernst“. Es dürfe nicht unterschätzt werden.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober
APA/Georg Hochmuth
Anschober: „Es gibt keine Causa Wien“

„Ich weiß, dass es in Wien bald Vorwahlkampf gibt“, so Anschober, aber er sei sich sicher, dass alle Beteiligten die Bekämpfung des Coronavirus im Zentrum hätten. Man könne jedenfalls nicht von einer „Causa Wien“ sprechen. Infektionscluster in einzelnen Bereichen seien zu erwarten gewesen. Man müsse sich den Bereich prekärer Arbeitssituationen anschauen. Er mahnte aber zu Zusammenarbeit statt „Streitereien“.

Nicht einmischen in „parteipolitische Zuweisungen“ um die Verfolgung der Infektionsketten in Wien wollte sich Vizekanzler Werner Kogler (Grüne). „Wir werden uns daran nicht beteiligen“, sagte Kogler am Montag vor Journalisten und Journalistinnen. Er habe den Eindruck, dass Gesundheitsstadtrat Hacker die Testungen „ganz genau verfolgt“. Das Gesundheitsministerium sei mit den Wiener Landesstellen in intensivem Austausch, so Kogler.

Debatte über Ausgangspunkt von Cluster

Uneinigkeit herrscht auch über den Ursprung des Clusters. Der Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp kritisierte die Vorgehensweise der Stadt und sprach von „Corona-Asylanten“: „Jetzt ist klar geworden, dass die neue Coronavirus-Welle im Asylquartier seinen Ursprung hat und von dort in zwei Post-Verteilerzentren und einen Kindergarten geschwappt ist.“ Jetzt müsse unter anderem geklärt werden, wie es zu den Ansteckungen in den Post-Verteilzentren gekommen sei.

Für Hacker zeigte am Sonntag hingegen „alles nach Hagenbrunn“ (den Post-Standort, Anm.). Das Problem sei die Leiharbeit. Mit Flüchtlingen habe das nichts zu tun. Die niederösterreichische Landessanitätsdirektorin Irmgard Lechner widersprach den Aussagen Hackers. Das sei auf Grundlage aller bekannten Fakten „sachlich nicht nachvollziehbar“, sagte sie. Die Situation sei „von uns akribisch aufgearbeitet worden“, so Lechner.

Coronavirus bei der Post

Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) hat am Sonntag eine erste Analyse des aktuellen Clusters an Coronavirus-Infektionen präsentiert. Laut dem Ressortchef deutet alles darauf hin, dass das Post-Verteilzentrum im niederösterreichischen Hagenbrunn bzw. die Leiharbeitsfirmen Auslöser waren.

„Wichtig, dass alle zusammenarbeiten“

„Es gab im Post-Verteilzentrum Hagenbrunn im Vorfeld keinen einzigen positiv getesteten Coronavirus-Fall“, so Lechner. Der Patient 0 dieses Clusters sei ein Mann gewesen, der von seinem Wohnsitz in Wien nach Hagenbrunn pendelte. „Die nächsten drei Fälle waren ebenso Personen, die aus Wien ins Post-Verteilzentrum Hagenbrunn pendelten – und zwar im gleichen Bus wie der Patient 0“, erläuterte Lechner.

„Es wäre daher – vorsichtig formuliert – mindestens ebenso schlüssig, davon auszugehen, dass das Virus von diesen Personen aus Wien ins Post-Verteilzentrum Hagenbrunn getragen wurde“, sagte Lechner zur APA. Generell halte sie jedoch nichts davon, „wenn bei der Eindämmung des Virus mit dem Finger aufeinander gezeigt wird“. Für die erfolgreiche Bekämpfung des Virus sei es „wichtig, dass wir alle zusammenarbeiten“.

CoV-Fälle auch in Möbelhaus

Bis Montag gab es aufgrund des Clusters Dutzende Infektions- und mehr als 400 Quarantänefälle, die in Verbindung zueinander stehen. Die Nachverfolgung der Ansteckungskette war noch nicht abgeschlossen. Bisher wurden jedenfalls „mehr als 400 Absonderungsbescheide“ ausgestellt, sagte Andreas Huber, Sprecher des medizinischen Krisenstabs der Stadt Wien.

Die Zahl „ändert sich laufend“, sagte Georg Pölzl, Generaldirektor der Österreichischen Post AG, bei einem Standort Hagenbrunn. Die Häufung der Fälle habe sich „explosionsartig entwickelt“. Aufgrund der Ausfälle zahlreicher Mitarbeiter ist nun das Bundesheer im Einsatz. 397 Bedienstete seien im Schichtbetrieb tätig, betonte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) bei einem Besuch der Einrichtung. Pölzl wies darauf hin, dass auch für das Postzentrum Inzersdorf in Wien bereits eine Unterstützungsanforderung abgeschickt worden sei. Sei diese eingelangt, werde das Bundesheer ebenfalls zur Stelle sein, kündigte Tanner an.

In der Logistikzentrale eines großen Möbelhauses in Wien-Floridsdorf waren unterdessen ebenfalls sechs Mitarbeiter an Covid-19 erkrankt. Diese Fälle dürften laut Stadt Wien – wie die Infektionen bei der Post – auf Leiharbeiter zurückzuführen sein. In dem vorübergehend geschlossenen Kindergarten in Wien-Liesing wurden inzwischen alle Kinder und Betreuer untersucht. Es gab keine weiteren Erkrankten.

Großflächige Tests in Institutionen

Im Bereich von Pflege-, Obdachlosen- und Flüchtlingseinrichtungen kündigte die Stadt weitere großflächige Tests an. Diese Strategie ist „aus unserer Sicht erfolgreich, dass wir genau hinschauen und in die Tiefe schauen“, hieß es auf aus dem Büro Gesundheitsstadtrat Hacker. Bei dem Cluster hätten rund 90 Prozent symptomlos Erkrankte identifiziert werden können. „Die haben wir auf diesem Weg ausfindig gemacht“, sagte der Sprecher. Rund 40 Infizierte in Flüchtlingsunterkünften sind laut Stadt Wien ebenfalls auf diesen Cluster in Verbindung mit Leiharbeitern zurückzuführen.