Boeing 747
ORF.at/Christian Öser
Fliegen und CoV

Zwischen Maskenpflicht und Mittelsitz-Dilemma

Während die Politik über Grenzöffnungen und den Sommerurlaub debattiert, ist für die Luftfahrt coronavirusbedingt ein neues Zeitalter angebrochen. Zahlreiche Airlines haben eine Maskenpflicht erlassen, auf Flughäfen werden Temperaturchecks vorgenommen. Doch vor allem das Thema Mindestabstand wird zur Herausforderung.

Noch liegt der europäische Flugverkehr weitgehend danieder, doch das wird sich angesichts der internationalen Lockerungen der Coronavirus-Maßnahmen und auf Druck der Tourismusverbände hin mit den Sommerferien ändern. Um Sicherheitsbedenken aus dem Weg zu räumen, haben die Fluggesellschaften bereits Konzepte ausgearbeitet.

Für die größten Kontroversen sorgte der Vorstoß, den Mittelsitz frei zu halten. Europas Airlines hatten sich jüngst erneut dagegen ausgesprochen. Bisher galt in der Luftfahrt immerhin der Leitgedanke „je voller, desto besser“. „Dann fliegen wir eben nicht“, so Ryanair-Chef Michael O’Leary. „Der freie Mittelsitz bietet kein Social Distancing, das ist eine idiotische Idee, die überhaupt nichts bewirkt.“ Für die AUA wäre das Freihalten „wirtschaftlich extrem schwierig“, heißt es auf Anfrage von ORF.at. Auch aus ökologischer Sicht sei das nicht sinnvoll, da man gegebenenfalls öfter fliegen müsse.

Leere Sitze im Flugzeug
APA/AFP/Getty Images/Justin Sullivan
Europäische Airlines sind dagegen, den Mittelsitz frei zu halten – Flüge wären damit nicht mehr rentabel, heißt es

„Ein halber Meter Abstand ist besser als nichts“

Die Internationale Luftverkehrsvereinigung (IATA) sprach sich ebenso dagegen aus. Auf die Fluggesellschaften kämen „dramatische Kostensteigerungen“ zu, wenn die mittleren Sitze leer blieben, warnte der Verband. Die maximale Auslastung der Maschinen würde laut der IATA auf 62 Prozent sinken – weit unter der Gewinnschwelle von 77 Prozent. Die Ticketkosten müssten deshalb zwischen 43 Prozent und 54 Prozent steigen, nur um die Kosten zu decken. „Damit wird die Ära des erschwinglichen Reisens zu Ende gehen“, warnte IATA-Chef Alexandre de Juniac.

„Ein halber Meter Abstand ist besser als nichts“, sagte hingegen der deutsche Epidemiologe Timo Ulrichs gegenüber der „Zeit“. Ihm zufolge sei ein freier Mittel- oder Nachbarsitz durchaus sinnvoll, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren. Noch besser wären Plexiglasabtrenner an den Sitzen oder zwischen den Reihen, aber das sei sicherheitstechnisch wohl nicht umsetzbar, so Ulrichs.

Erste Sitzhersteller machten aus der Not bereits eine Tugend und entwickelten kurzerhand an die Krise angepasste Sitze. Das italienische Unternehmen Aviointeriors baut bei dem Design Glassafe auf Plexiglashauben im oberen Schulter- und Kopfbereich jedes Sitzes. Beim aufwendigeren Modell Janus ist der Mittelsitz entgegen der Flugrichtung gedreht und mit durchgehenden Plexiglaswänden von den Nachbarn abgegrenzt, berichtet die Deutsche Welle.

Verglaste Flugzeugsitze
Aviointeriors
Das italienische Unternehmen Aviointeriors entwickelt coronavirusgerechte Sitze

Gros für Maskenpflicht

Weit weniger kontrovers ist das Thema Maskenpflicht, die u. a. von der EU-Kommission sowie von IATA empfohlen wird. Detaillierte Protokolle mit weiteren Maßnahmen zur sozialen Distanzierung an Bord würden demnächst von der EU-Behörde für Luftfahrtsicherheit (EASA) und der EU-Krankheitsbekämpfungsbehörde (ECDC) vorgelegt, hieß es.

Usus ist die Maskenpflicht bereits bei zahlreichen Airlines, unter anderem bei der AUA-Mutter Lufthansa. „Diese gilt auch bei Austrian Airlines, sobald der Flugbetrieb wieder aufgenommen wird“, bestätigte die Airline, die den Betrieb bis 8. Juni eingestellt hat und bis zur Aufnahme des Flugbetriebs an einem entsprechenden Konzept feilt, gegenüber ORF.at. Es sei „wünschenswert“, dass Passagiere ihre eigenen Masken mitbringen.

Änderungen bei Bewirtung und Toilettengang

Die Bewirtung dürfte das Tragen von Masken indes erschweren. Ob und wie dann Getränke und Mahlzeiten serviert werden können, werde intensiv diskutiert, sagte IATA-Generaldirektor de Juniac. „Es werden Lösungen diskutiert, zum Beispiel, dass nichts serviert wird“, sagte de Juniac.

Auf längeren Flügen sei das schwierig. Dort werde überlegt, nur vorher ganz verpackte Mahlzeiten auszugeben, um das Risiko von Ansteckungen bei der Essensausgabe zu reduzieren. Die AUA überlegt, wie bereits bei den Rückholaktionen, Lunchpakete auf den Sitzen zu platzieren, um den Kontakt zwischen Mitarbeitern und Passagieren zu reduzieren. Die Billigfluglinie RyanAir, die einen Neustart per 1. Juli plant, stellte indes auch Regeln für den Gang aufs WC auf. Wer auf die Toilette will, muss aufzeigen.

Sandwich in einem Flugzeug
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Die Bewirtung wird durch die Maskenpflicht, die viele Airlines einführen, erschwert

Auch das Boarding wird sich bei vielen Airlines ändern und Vorteile von Priority-Tickets obsolet machen. Einige Airlines wie die Air France planen, zuerst die Passagiere mit Sitzplätzen in den hintersten Reihen boarden zu lassen. Beim Ausstieg gibt es Überlegungen, Passagiere in Gruppen zu unterteilen, die auf Anweisung der Crew nacheinander und geordnet das Flugzeug verlassen.

Überdies wird mehr Zeit für Hygiene und Reinigung der Maschinen aufgebracht, was zu längeren Standzeiten führt. Für Sicherheitskontrollen und beim Umstiegen muss mehr Zeit eingerechnet werden – Fachleute des in Großbritannien ansässigen Diensts für Reisenachrichten, -daten und -rankings, Official Airline Guide (OAG), sprechen von zwei Stunden statt vormalig 45 Minuten bei Inlandsflügen und 90 Minuten bei internationalen Flügen.

Geringes Infektionsrisiko an Bord?

Nach Einschätzung der IATA ist das Risiko einer Ansteckung in Flugzeugen jedoch gering. Passagiere würden mit dem Gesicht nach vorne sitzen, der Vordersitz diene als Barriere. Zudem verringere der Luftstrom, der in Flugzeugen von der Decke zum Boden führt, das Übertragungspotenzial weiter. Außerdem würden die Filter in modernen Flugzeugen die Kabinenluft auf Krankenhaus-OP-Qualität reinigen.

Mit hochwertigen Filtern wird die gesamte Rezirkulationsluft gefiltert und von Verunreinigungen gesäubert. Außerdem findet die Luftzirkulation in Flugzeugen von oben nach unten statt. Trotzdem warnte Ulrichs: Je länger Menschen sich einen gemeinsamen Luftraum teilen, desto höher sei auch das Infektionsrisiko. Außerdem würden die Filter nur Bakterien zurückhalten, jedoch keine Viren.

Abstand halten auf Flughäfen

Doch nicht nur an Bord gibt es erste Maßnahmen, um das Infektionsrisiko zu minimieren. Auch auf zahlreichen Flughäfen, darunter der Flughafen Wien und der Flughafen Graz, muss Mund-Nasen-Schutz getragen werden. Der Flughafen Wien stattete daher Check-in-, Boarding- und Informationsschalter mit Plexiglasschutz aus, an den Anstellflächen gibt es Abstandsmarkierungen sowie Handdesinfektionsständer. Im Falle von Busabfertigungen wird die Zahl der Passagiere laut Flughafen Wien pro Bus limitiert, um auch im Bus das Abstandhalten zu ermöglichen.

Passagiere am Flughafen Wien
APA/Helmut Fohringer
„Maske auf und Abstand halten“ heißt es bereits auf dem Flughafen Wien

Auch auf deutschen Flughäfen müssen sich Passagiere auf veränderte Abläufe einstellen. Maskenpflicht an bestimmten Punkten, entzerrte und daher langsamere Abläufe, aber vorerst keine Medizinchecks – das sieht der Leitfaden vor, den der Branchenverband ADV in Berlin vorgestellt hat. Mit dem Maßnahmenpaket soll das Ansteckungsrisiko bei einem Wiederanlauf des Flugverkehrs nahezu ausgeschlossen werden, hieß es.

Fachleute zweifeln an Temperaturchecks

Flughäfen und Airlines sind zudem dazu übergegangen, die Körpertemperatur der Passagiere zu testen. Im australischen Canberra wird diese mittels Wärmebildkameras festgestellt, der Londoner Flughafen Heathrow plant ebenso, die Temperatur ankommender Passagiere auf diese Art zu messen. Auch in Wien werden ankommende Personen überprüft.

Jene Überlegungen hält der Epidemiologe Ulrichs gegenüber der „Zeit“ für wenig zweckgemäß. Denn erhöhte Temperatur heißt nicht zwangsläufig, dass man mit dem Virus infiziert ist. Außerdem hat nicht jeder Coronaviurs-Infizierte automatisch Fieber. Ein beträchtlicher Anteil der Infektionen mit dem Virus verlaufe Fachleuten zufolge immerhin asymptomatisch.

Entsprechend einer Verordnung des Gesundheitsministeriums müssen all jene, die via Luftweg einreisen, ein ärztliches Attest mit negativem Covid-19-Befund, der nicht älter als vier Tage sein darf, vorweisen oder sich für 14 Tage in Quarantäne begeben. Diese Regelung gilt bis einschließlich 31. Mai 2020. Der Flughafen Wien bietet zudem die Möglichkeit eines PCR-Tests an. Dieser kostet 190 Euro, innerhalb von drei Stunden liegt ein Ergebnis vor.

Normalisierung wird Jahre dauern

Bis die Passagierluftfahrt das Vorkrisenniveau erreicht, wird es lange dauern – in dem Punkt sind sich Fachleute einig. IATA-Chefökonom Brian Pearce geht davon aus, dass die Personenkilometer (RPK) selbst 2025 noch zehn Prozent unter dem bei der letzten Prognose vor der Coronavirus-Krise erwarteten Niveau liegen werden. Das liege unter anderem daran, dass Passagiere sicher zunächst eher im heimischen Markt unterwegs sein und kürzere Strecken zurücklegen würden, sagte Pearce.