Bei der derzeit virtuell stattfindenden Jahrestagung der WHO wurde eine Entschließung verabschiedet, die sich für die faire Verteilung eines Coronavirus-Impfstoffs einsetzt, sobald dieser auf dem Markt ist. In der einstimmig angenommenen Resolution wird nun ein „weltweiter, zeitnaher und gerechter Zugang und ebensolche Verteilung“ von Impfstoffen und Medikamenten gegen die Krankheit Covid-19 verlangt.
Unterstützung dafür kam vorab sowohl vonseiten der Europäischen Union als auch von China. So sagte der chinesische Präsident Xi Jinping etwa am Montag, dass jeder Impfstoff als „öffentliches Gut“ behandelt werden sollte. Anders scheinen das die USA zu sehen. Laut einem Bericht der britischen „Financial Times“ („FT“) gaben mehrere mit der Situation vertraute Personen an, die USA hätten bereits vorab versucht, sich von einem Teil der Resolution zu distanzieren. Afrikanische Botschafter in Genf, dem Hauptsitz der WHO, sagten, dass US-Diplomaten versuchten, sie zu Verhandlungen zu überreden – jedoch ohne Erfolg. „Die USA sind sich sicher, die Ersten zu sein, denen es gelingt, einen Impfstoff zu entwickeln“, so ein westafrikanischer Botschafter gegenüber der „FT“.
Staaten äußerten Bedenken
Weiter heißt es in dem Bericht, dass auch andere Staaten mit einem starken Pharmasektor wie Großbritannien, die Schweiz und Japan bereits Bedenken geäußert hätten. Es gehe darum, Innovation zu fördern und geistiges Eigentum zu schützen, so ihre Argumente. Die Länder fordern stattdessen freiwillige Mechanismen wie Partnerschaften und Spenden, die einen Zugang zu einem Impfstoff ermöglichen sollen.
Zugang zu Impfstoff: Reiche gegen Arme?
Regierungen vieler Staaten, vor allem in Afrika, befürchten, keinen ausreichenden Zugang zu Behandlungsmethoden zu bekommen – und fordern daher von großen Pharmaunternehmen, ihr geistiges Eigentum zu teilen, damit ein möglicher Impfstoff auch in großer Menge und günstig hergestellt werden kann. Theoretisch möglich ist das: In der Erklärung von Doha aus dem Jahr 2001 sagte die WHO, dass Regierungen im Falle einer Gesundheitskrise die Regeln zum Schutz des geistigen Eigentums aussetzen könnten.
Die Rechtsexpertin Ellen’t Hoen kritisierte gegenüber der „FT“, dass die reichen Länder sofort an die Spitze der Warteschlange eilen und den Rest der Welt sich selbst überlassen würden. Auch die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenze plädiert angesichts der Pandemie dafür, Errungenschaften auf dem Gebiet der Impfstoff- und Medikamentenentwicklung möglichst allen Menschen zugänglich zu machen. Dazu müssten Pharmafirmen auf Patente verzichten, die Politik müsse mitunter Zwangslizenzen zur Herstellung und Preiskontrollen durchsetzen, hieß es am Dienstag.
„Brutaler Kampf um Impfstoffe, Tests und Medikamente“
Sehe man sich an, wie bereits am Anfang der Pandemie teilweise agiert wurde, wenn es um die Anschaffung von Schutzausrüstung ging, habe man es vermutlich erst mit dem Beginn eines „brutalen Kampfs um Impfstoffe, Tests und Medikamente“ zu tun, sagte die Geschäftsführerin von Ärzte ohne Grenzen Österreich, Laura Leyser, in einer Onlinepressekonferenz. Es sei zu befürchten, dass vor allem wohlhabende Nationen ihre finanzielle und politische Macht dazu nutzen werden, an verheißungsvolle Wirkstoffe zu kommen, und die ärmeren Länder des globalen Südens dann durch die Finger schauen.
Man sehe weltweit, dass „viele Patienten sterben, weil sie keinen Zugang zu Medikamenten haben“. Das werde bei Covid-19 vermutlich leider auch nicht anders sein, so Leyser, die es als Gebot der Stunde ansieht, vor allem schwächere Menschen und Länder mit wenig entwickelten Gesundheitssystemen zu schützen.
Staatliche Preiskontrollen gefordert
Wenn sich nur einige Länder wappnen und Pharmafirmen auch in der Pandemie an ihren Geschäftsmodellen festhalten, werde das die weltweite Ausbreitung nur schwerlich bremsen. Auch die österreichische Bundesregierung sei daher in der Pflicht, den Zugang zu „Corona-Tools“ sicherzustellen, Patente auszusetzen, Zwangslizenzen – die es erlauben, dass Firmen etwa einen Impfstoff ohne eine Genehmigung des Patentinhabers produzieren – zu garantieren und staatliche Preiskontrollen für Medikamente und Vakzine durchzusetzen.
Auf Nachfrage von ORF.at sagte der Experte für Epidemiebekämpfung und Berater für humanitäre Angelegenheiten von Ärzte ohne Grenzen Österreich, Marcus Bachmann, ein „fairer Preis, den sich alle leisten können“, sei auch wirtschaftlich vertretbar. Immerhin werden von etwaigen Impfstoffen Milliarden Dosen gebraucht, was immer noch stattliche Gewinne verspreche und somit auch keiner Enteignung gleichkomme.
Klare Regeln „vermisst“
Für Bachmann braucht es jedenfalls „klare Eingriffe“ in die bisher vorherrschende Marktlogik, „um das Ungleichgewicht zu reduzieren“. Geschäftssinn dürfe nicht über das Allgemeingut gestellt werden. „Eine Pandemie ist nicht ‚Business as usual‘“, sagte er. Dazu gehöre auch Transparenz in der Forschungsförderung: Immerhin habe etwa die Bundesregierung bisher 28 Millionen Euro in die Covid-19-Forschung investiert, die EU hat kürzlich rund 7,4 Mrd. Euro zur Entwicklung von Impfstoffen eingeworben.
„Das zeigt, dass Regierungen nicht nur auf rein marktwirtschaftliche Mechanismen setzen“, sagte Bachmann. Hier handle es sich jedoch auch um öffentliche Mittel, deren Verwendung ebenso öffentlich einsehbar sein sollte, so der MSF-Experte, der hier „klare Regeln seitens der Politik“, auch zur Teilhabe der Zivilgesellschaft, vermisst. Klar sei auch: Der Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie könne nur global gewonnen werden und nicht in Form von „Insellösungen“. Und: Werde der Zugang zu Behandlungen für einige blockiert, führe das dazu, dass die Eindämmung der Pandemie noch länger dauern und mehr Menschen am Virus sterben werden.