Angelo Soliman
picturedesk.com/Erich Lessing
Felix Mitterer

Mit Angelo Soliman auf Tarantinos Spuren

Österreichs meistgespielter Dramatiker hat sich erstmals in der erzählenden Literatur versucht: Mit seinem Roman „Keiner von euch“ nähert sich Felix Mitterer mit viel Action, spritzendem Blut und einer Lovestory der Geschichte des Afrikaners Angelo Soliman am Wiener Hof. Was manche als rasant-populäre Aufarbeitung durchgehen lassen, ist papierener Geschichtsklamauk und nicht frei von Klischees.

„Nach der ersten Überraschung wurde ich rasend vor Zorn, riss mich los und schlug meinen Auspeitscher nieder, der bluttriefend durch die Tür hinauskroch, seine Vorderzähne aufheulend mit einer Hand auffangend. Dem zweiten schlug ich die Nase ein und die Kinnlade zu Trümmern, er sank dumpf aufschreiend zu Boden. (…) Den Letzten rang ich nieder, schlug blindlings mit der Faust auf sein Gesicht ein, Blut spritzte“, berichtet Mitterers Soliman auf Seite 128.

Schon längst ist da klar, dass das neue Buch des beliebten Tiroler Autors mit einer Hau-drauf-und-Schluss-Manier viel eher Tarantino nacheifert als das erzählt, was man sich gemeinhin unter einem, wie der Verlagstext verspricht, „historischen Roman“ eines „aufrüttelnden Schicksals“ vorstellen würde.

Buchcover „Keiner von euch“ von Felix Mitterer
Haymon Verlag
Felix Mitterer: Keiner von euch. Haymon Verlag, 344 Seiten, 24,90 Euro.

Ausgestopft und ausgestellt

Wer war Angelo Soliman? Geboren in Westafrika, war er zunächst als Kind in die Hände von Sklavenhändlern geraten und an eine italienische Adelsfamilie verkauft worden, ehe er über Umwege in höchste Kreise des österreichischen Adels kam. Soliman war Kammerdiener und Mitglied einer Freimaurerloge, verkehrte mit Mozart und Kaiser Joseph II., bevor er nach seinem Tod 1796 als Kuriosum ausgestopft und ausgestellt wurde, gegen den vergeblichen Protest seiner Tochter Josephine.

Mitterer ist nicht der Erste, der sich dieser dramatischen Geschichte zwischen Huldigung und Barbarei angenommen hat: Letztes Jahr verfilmte Markus Schleinzer das Leben des Angelo Soliman, 2016 veröffentlichte der ungarische Autor Gergely Peterfy „Der ausgestopfte Barbar“, und 2011 hatte ihm das Wien Museum eine große Ausstellung gewidmet. Dass der Stoff den Verfasser von Stücken wie „Sibirien“ oder des TV-Erfolgs „Piefke-Saga“ gereizt hat, ist kaum verwunderlich: Seit jeher schreibt der heute 72-jährige Mitterer gegen Ungerechtigkeiten an und versteht sich als Fürsprecher der Außenseiter.

Pädophilie und Ritualmord

Im Fall von „Keiner von euch“ ist die Bearbeitung des Stoffs, nun ja, einigermaßen kreativ ausgefallen – mit einem Plot, der einem nur so um die Ohren saust: In Mitterers Version ist es ein pädophiler Fürst, der Angelo nach Wien bringt, ihn missbraucht und fördert. Als seine (fiktive) Kindheitsgefährtin Clara aus Italien nach Wien kommt, beginnt eine voltenreiche Liebesgeschichte. Hier die Kurzfassung: Clara ist zunächst mit dem Fürsten verheiratet und hat ein Pantscherl mit dem Kaiser, ehe es doch anders kommt.

Das junge Glück stört jedoch ein diabolischer, protofaschistischer Professor, der sich als gewiefter Strippenzieher hervortut. Auf der Suche nach einem Objekt für seine Schädelvermessungen schiebt er Soliman einen bestialischen Ritualmord unter. Der entkommt nur knapp dem Galgen, aus der Zwangsarbeit nimmt er spektakulär Reißaus. Was dann folgt, ist noch deutlich wilder, sei aber hier noch nicht verraten. Nur so viel: Es bleibt äußerst brutal.

Angelo Soliman als Edelmann, Action-Hero, Sexsymbol

Soliman also im Tarantino-Style? Auch hier spritzt nicht nur das Blut, sondern wird Geschichte erzählt, wie’s eben gefällt. Der große Unterschied: Tarantinos NS-Groteske „Inglourious Basterds“ ist weit mehr als eine Action-Komödie vor historischer Kulisse, nämlich, Zitat Eli Roth, „kosher porn“: ein Film als postume Rachefantasie an den Nazis. Dieses historische Schabernacktreiben um Soliman ist dagegen erstaunlich zweckbefreit. Das Ausloten fiktionaler Möglichkeiten beschränkt sich da aufs anekdotische Geplänkel – und auf die Zeichnung eines Angelos im Format eines Superhelden.

Felix Mitterer
Fotowerk Aichner
Felix Mitterer: Erster Roman mit 72 Jahren

Soliman ist hier Edelmann, Action-Hero, Sexsymbol und innovatives Genie, der sich als Erfinder der Hochquellleitungen und der Feuerverbrennung genauso hervortut wie als Bezwinger und Entlarver des damals legendären Schachautomaten von Kempelen. Eigentlich ist er ein Meister der Selbstbeherrschung, aber als ihn der teuflische Professor unter Drogen setzt, geht, hollodaro, doch der „Afrikaner“ in ihm durch, und er treibt es mit Mozarts Frau Constanze im Stiegenhaus. Zuvor hat er – beflügelt durch die Drogen – noch seine schlummernden Trommelkenntnisse ausgegraben, dass selbst Mozart baff ist. Nur wer sehr freundlich gestimmt ist, sieht hier ein augenzwinkerndes Klischee-Zitieren, um gegen die Klischees anzutreten.

Mitterer ist Dramatiker, den ein rasanter Plot offenkundig mehr interessiert als die Restauration eines Sittenbilds oder die fein geschliffene Charakterzeichnung. Das sieht man auch Angelos Gefährten Kaiser Joseph II. und Mozart an, die ebenso vor allem mit Details der Kategorie Holzschnitt aufwarten: ersterer als Musikbanause mit Pech in der Liebe und einer Politik, die seiner Zeit voraus war; zweiterer als Spaßkanone mit Hang zum Genitalschmäh.

Vertane Chance

Vielleicht ist ja insgesamt alles nur ein großer Spaß, den man nicht zu ernst nehmen darf. So oder so ist dieses Buch doch eine vertane Chance: Nicht nur fehlt dem Geschichtsklamauk die angekündigte „kraftvolle Stimme“ für Soliman, er vermag ungewollt nicht einmal die Basics zu transportieren. Denn dass Solimans präparierter Körper im Kaiserlichen Naturalienkabinett endete, verkleidet als halbnackter „Wilder“ mit Federn, war wohl – Realitätscheck – eher Teil einer weit verbreiteten Kolonialkultur denn das Werk eines Professors im Format eines James-Bond-Bösewichts.

Mitterer arbeitet inzwischen wieder an Dramen, wie er gegenüber Ö1 sagte. Außerdem hat er sich nach eigenen Angaben auch wieder dem Drehbuchstoff gewidmet, der ihn zu Beginn der 1990er Jahre berühmt machte. Nach der Causa Ischgl arbeite er an einem fünften Teil der „Piefke-Saga“, sagte Mitterer der APA: „Das müssen wir einfach machen. Ich arbeite bereits an einem Expose."