„Ibiza“-Untersuchungsausschuss-Verfahrensrichterin Ilse Huber im ORF.at-Interview
ORF.at/Carina Kainz
Verfahrensrichterin Huber

„Ich bin nicht die Hauptdarstellerin“

Ilse Huber ist Verfahrensrichterin beim „Ibiza“-Untersuchungsausschuss. Die ehemalige Vizepräsidentin am Obersten Gerichtshof (OGH) wird nicht nur auf die Antworten der Auskunftspersonen achten, sondern auch auf die Fragen der Abgeordneten. Sie erwartet sich, dass es manchmal „hart hergehen“ wird. Aber das gehöre eben dazu.

ORF.at: Frau Verfahrensrichterin, Ausgangspunkt des ganzen U-Ausschusses ist die „Ibiza“-Affäre rund um den damaligen Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Haben Sie das Video gesehen?

Ilse Huber: Den im Fernsehen gezeigten Ausschnitt, selbstverständlich, wer nicht? Es ist aber schon ein wenig länger her. Ich hoffe, ich kann ihn mir zur Auffrischung noch einmal anschauen, sofern ich die Gelegenheit habe.

ORF.at: Überhaupt wurde nach Veröffentlichung des Videos im Mai 2019 und jetzt zum Jahrestag ausgiebig über das Gesagte in der Finca auf Ibiza und den weiteren Strängen wie Causa Casinos und mögliche Parteispenden berichtet. Wie gehen Sie mit der Berichterstattung um?

Huber: Ich sehe das, was ich bisher aus den Medien erfahren habe, als gute Vorinformation, auch wenn das eine oder andere gefärbt sein mag. Ich lese auch das Buch „Die Ibiza-Affäre“ der beiden deutschen Journalisten von der „Süddeutschen Zeitung“. Es ist eine gute Einstimmung und Vorbereitung, aber mehr nicht.

ORF.at: Das Buch behandelt das „Ibiza“-Video ausführlich, aber weniger die Themen, die der Mitschnitt anschließend auslöste. Wie bereitet man sich angesichts der vielen Facetten auf den U-Ausschuss vor?

Huber: Natürlich habe ich mir zuerst die Beweisthemen durchgelesen, mehrmals durchgelesen. Die sind ja äußerst umfangreich. Aber in gewisser Hinsicht ist das Thema auch einfacher als etwa der Hypo-U-Ausschuss, wo man sich unter anderem im Bankenrecht auskennen muss. Die „Ibiza“-Affäre ist zwar sehr breit, aber nicht derart komplex und technisch wie die gesamte Hypo-Causa.

„Ibiza“-Untersuchungsausschuss-Verfahrensrichterin Ilse Huber im ORF.at-Interview
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Ilse Huber wurde in den 70er Jahren Richterin, ab 2012 war sie Vizepräsidentin am OGH, seit 2015 ist sie in Pension

Bevor die Republik wegen des Coronavirus quasi geschlossen wurde, konnte ich noch mit der Akteneinsicht beginnen. Ich war in der Registratur am Stubenring und habe diverse Kästen und Safes durchgeschaut. Dabei konnte ich auch Dokumente der Sicherheitsstufe 2 (vertraulich, Anm.) einsehen. Es war sehr interessant, aber es waren wenige Unterlagen vorhanden, und viele Akten waren auch noch nicht digital aufbereitet.

ORF.at: Die verzögerte Aktenlieferung war Teil des parteipolitischen Geplänkels zwischen Oppositions- und Koalitionsparteien.

Huber: Ich nehme an, dass es auch in den Befragungen hart hergehen wird. Aber mit entsprechender Freundlichkeit und Sachlichkeit wird man dem schon entgegentreten können.

ORF.at: Sie sehen sich also als eine Schlichterin zwischen den Fraktionen?

Huber: Ich sehe meine Rolle eher in der beratenden Funktion für den Ausschussvorsitzenden (Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, ÖVP, Anm.) und ein wenig als Moderatorin, ja. Das aber auch nur sehr eingeschränkt. Ich bin nicht die Hauptdarstellerin des U-Ausschusses, sondern die Hauptdarsteller sind die Abgeordneten.

ORF.at: Die Position als Verfahrensrichterin bringt aber mit sich, dass Sie über die Fragen der Abgeordneten wachen und wenn nötig, für unzulässig erklären.

Huber: Das stimmt schon. Aber ich glaube, und das zeigt ja auch meine richterliche Erfahrung, man muss die Leute bis zu einem gewissen Grad auch reden lassen. Das ist ihr gutes Recht. Man soll nur dort einschreiten, wo die Fragen mit dem Beweisthema überhaupt nichts zu tun haben, oder in die Persönlichkeitsrechte eingreifen.

Es werden alle Abgeordneten gleich behandelt sowie auch alle Auskunftspersonen gleich behandelt werden. Es ist ganz gleich, ob sie Regierungsmitglieder waren oder Privatpersonen sind: Freundlichkeit, Höflichkeit und Sachlichkeit sind in meiner Prioritätenliste ganz weit oben.

Mir ist schon klar, dass es mitunter hitzig zugehen und Diskussionsbedarf geben wird. Bei Gericht ist es nicht anders. Manche holen sehr weit aus. Das gehört einfach dazu. Es ist aber wichtig, darauf zu achten, dass die Debatte nicht ausufert. Sonst zerfleddert die gesamte Sache.

ORF.at: Der U-Ausschuss als politisches Kontrollorgan wird schon mal als „zahnlos“ bezeichnet. Wie stehen Sie zu der Kritik?

Huber: Das denken vielleicht etliche Personen, das war auch meine oberflächliche Meinung. Aber wenn man sich intensiver mit den U-Ausschüssen beschäftigt, erkennt man die wirksame parlamentarische Kontrolle. Natürlich sagen die Leute: Das bringt eh nix, das ist eh wurscht. Ganz ehrlich? Was soll denn passieren? Es gibt kein Strafverfahren, keine Verurteilung, kein Schadenersatzverdonnern. Das ist Aufgabe der Gerichte, nicht eines mit Abgeordneten besetzen Ausschusses.

„Ibiza“-Untersuchungsausschuss-Verfahrensrichterin Ilse Huber im ORF.at-Interview
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Der U-Ausschuss sei für die ehemalige Richterin eine neue Herausforderung, sagte sie im ORF.at-Gespräch

Eine funktionierende Demokratie lebt aber davon, dass die Gesetzgebung von der Verwaltung und von der Gerichtsbarkeit getrennt ist. Es wäre verfassungswidrig, wenn Politiker andere Personen verurteilen könnten. Die Auswirkungen des U-Ausschusses auf die Politik und auf die Auskunftspersonen werden unterschätzt. Aus meiner langjährigen Erfahrung im Disziplinarbereich weiß ich, dass es für Betroffene äußerst unangenehm ist, vor solchen Gremien erscheinen zu müssen. Oft ist für Auskunftspersonen die medienöffentliche Ladung schon Strafe genug.

ORF.at: Verstehe ich Sie richtig: Die Folgen des U-Ausschusses sind symbolischer Natur?

Huber: Nein, ganz und gar nicht. Ich sehe in der Aufklärungsarbeit eine große generalpräventive Wirkung. Ich erhoffe sie mir zumindest. Wenn Sie zum Beispiel an den Eurofighter-U-Ausschuss denken und die Beschaffungsmodalitäten, die hier zutage gekommen sind: Ich glaube nicht, dass man die nächsten Entscheidungen, die beim Heer anstehen werden, so locker treffen wird. Wenn die Politik kein Auge darauf haben wird, dann die Öffentlichkeit.

Und darüber hinaus können sich natürlich Strafverfahren oder zivilrechtliche Schadenersatzkonsequenzen aus dem U-Ausschuss ergeben. Ich habe auch von Abgeordneten gehört, dass es für Gesetzgebungsorgane relevant ist, was der Ausschuss macht. Sie lernen, was man strukturell verbessern kann. Der Hypo-U-Ausschuss und der BVT-U-Ausschuss haben eine ganze Novellierungsmaschinerie nach sich gezogen. Daher sehe ich in einem U-Ausschuss schon einen ganz großen Wert.

ORF.at: Als Verfahrensrichterin sind Sie für den Entwurf des Abschlussberichts zuständig. Allerdings liefern auch die einzelnen Fraktionen Berichte ab. Am Ende der Befragungen gibt es also mehrere Ergebnisse, die sich teils widersprechen.

Huber: Das ist ein Prinzip der Gerichtsbarkeit und überhaupt der Demokratie. Jeder hat das Recht, seine Sicht der Dinge darzustellen. Ich bin es als Richterin gewöhnt, dass es mehrere Sichtweisen gibt und man für eine Entscheidung kritisiert, aber nie gelobt wird. Das darf einem nicht weiter berühren.

ORF.at: Sie waren jahrzehntelange Richterin an Bezirksgerichten, am Landesgericht in St. Pölten und am Obersten Gerichtshof. Was hat Sie am „Ibiza“-U-Ausschuss gereizt, dass Sie schließlich zugesagt haben?

Huber: Ja, die Unterschiede sind gravierend. Als Richterin ist man gewöhnt, Herr oder Frau des Verfahrens zu sein, anschaffen zu können, und letztlich bestimmten zu können, wo es langgeht. Das war fast mein ganzes Berufsleben und auch in diversen Nebentätigkeiten so. In meinem Job bin ich mit dem bunten Leben in Berührung gewesen.

Aber ein Bereich war vollkommen ausgeklammert: die unmittelbare Konfrontation mit Politikern. Ich habe mir gedacht, dass würde noch in mein Berufsleben passen. Jeder Berufsstand tickt ja anders und beschäftigt sich mit anderen Dingen. Das hat mich schon immer sehr fasziniert.

ORF.at: Sie sind überhaupt die erste Verfahrensrichterin bei einem U-Ausschuss in der Zweiten Republik.

Huber: Das liegt auch daran, dass es die Funktion erst seit der U-Ausschuss-Reform gibt. Dass ich nun die erste Verfahrensrichterin bin, darüber mache ich mir keine Gedanken. Als ich in den 70er Jahren als Richterin angefangen habe, lag der Frauenanteil in der Justiz bei etwa 1,5 bis zwei Prozent. Heute beträgt der Anteil 50 Prozent oder mehr, wobei man sagen muss, dass Frauen in leitenden Positionen nach wie vor unterrepräsentiert sind.

„Ibiza“-Untersuchungsausschuss-Verfahrensrichterin Ilse Huber im ORF.at-Interview
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Ihre Rolle im U-Ausschuss sieht sie als beratende für den Ausschussvorsitzenden

Ich wäre übrigens niemals Richterin geworden, hätte es nicht meine sehr gescheite Großmutter gegeben. Sie sagte, ich soll studieren und meine Eltern sollen es mir ermöglichen. Eigentlich wollte ich Schneiderin oder Lehrerin werden. In meiner Familie gab es keinen einzigen Juristen, aber sehr viele Lehrer. Von anderen Berufen hatte ich keine Ahnung, und ich studierte Jus, weil ich nicht wusste, was ich sonst studieren könnte.

Sie können es sich ja denken: Das Studium hat mich gar nicht gefreut. Aber wenn ich was mache, dann mach ich es auch fertig. Vielleicht hat mich gerade das am Richterberuf gereizt, weil mir gesagt wurde: Als Frau hast mit einem Jusstudium eh keine Chancen, vor allem nicht beim Gericht. Da musst schon die Tochter eines Ministers sein, sonst wird das nichts.

ORF.at: Trotzdem sind Sie Richterin geworden.

Huber: Wie gesagt: Wenn ich etwas beginne, dann ziehe ich das auch durch. Nach dem Studium habe ich mich beim Gericht gemeldet. Damals brauchte man ohnehin für alles und jedes das Gerichtsjahr. Dort wurde mir gesagt: Sag, du willst Richterin werden, dann kommst zu gescheiteren Richtern und musst nicht immer nur Kaffee kochen.

Das tat ich, habe aber nicht gewusst, dass man noch Kurse machen und Prüfungen ablegen muss. Die Auswahlkriterien für einen Richterposten waren sehr streng und es gab viele Bewerber für sehr wenige Posten. Zu meiner eigenen Überraschung ging das aber sehr glatt. Über Umwege landete ich schließlich 1993 beim OGH, bei dem ich bis zur Pension tätig war. Der U-Ausschuss ist die nächste Station.