In mehreren fleischverarbeitenden Betrieben in Deutschland hatte es in den vergangenen Wochen eine Häufung von Coronavirus-Fällen gegeben. Vermutet wird, dass die Infektionen durch enge Sammelunterkünfte und eine fehlende Einhaltung von Hygieneregeln begünstigt wurden. Arbeitsbedingungen und Unterbringung der Mitarbeiter, von denen viele aus Osteuropa stammen, stehen schon länger in der Kritik.
Es sei Zeit, „in diesem Bereich aufzuräumen und durchzugreifen“, kündigte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nun an und legte am Mittwoch Eckpunkte für ein „Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft“ vor. Zentral dabei ist das Verbot von Werkverträgen und Arbeitnehmerüberlassungen in den Fleischfabriken. „Es ist kein Hexenwerk, Beschäftigte anzustellen“, sagte Heil nach der Kabinettssitzung in Berlin.
Verbot für Werkverträge ab Jänner in Kraft
Für ein Geschäftsmodell, das die Ausbeutung der Arbeiter und die Ausbreitung von Pandemien in Kauf nehme, könne es keine Toleranz geben. Ab Jänner dürften daher nur noch Mitarbeiter des eigenen Betriebs Tiere schlachten und das Fleisch verarbeiten. Die Regelung beschränke sich auf die industrielle Fleischverarbeitung. Das Fleischerhandwerk und kleine Schlachtereien auf dem Land blieben davon ausgenommen.

Heil sind vor allem die verschachtelten Beschäftigungsverhältnisse mit Ketten von Subunternehmern ein Dorn im Auge. In der Fleischindustrie arbeiteten 50 bis 80 Prozent der Beschäftigten mit Werkverträgen, kritisierte er. Künftig müssten die Arbeitgeber den Behörden mitteilen, wo die Arbeitnehmer eingesetzt und untergebracht seien. Zudem würden die Kontrollen deutlich verstärkt, um die Einhaltung der Gesundheitsstandards zu erzwingen. Die digitale Arbeitszeiterfassung werde zur Pflicht und das Bußgeld für Arbeitszeitverstöße auf bis zu 30.000 Euro verdoppelt.
Fleischindustrie erwägt Klagen
Scharfe Kritik an den Plänen kam wenig verwunderlich aus der Fleischindustrie. „Das Verbot von Werkverträgen zur Erledigung bestimmter Tätigkeiten in Fleischbetrieben, die eine bestimmte Größenordnung überschreiten, ist eine willkürliche Diskriminierung“, so der Verband der Fleischwirtschaft (VDF). Auch der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft kündigte Widerstand an und schloss eine Klage nicht aus. Ein Verbot von Werkverträgen allein in der Fleischindustrie sei verfassungswidrig, „weil es diese Verträge ja auch zum Beispiel in der Logistik gibt – bei Amazon – zuhauf im Moment, in der Baubranche, in vielen anderen Branchen“, sagte Verbandspräsident Friedrich-Otto Ripke.
Tatsächlich hatte Heils ursprünglicher Entwurf auch einen Passus enthalten, wonach Werkverträge auch in anderen Branchen abgeschafft werden könnten. Das lehnte der Koalitionspartner CDU/CSU aber entschieden ab. Am Mittwoch erklärte das Arbeitsministerium, es sei nicht geplant, die Regelung auf andere Branchen auszuweiten. Dafür gebe es momentan keinen Bedarf.

EU-Kommission legt Teile des „Green Deal“ vor
Auf eine andere, weitaus tiefer greifende Wende in der Lebensmittelproduktion drängte am Mittwoch auch die EU-Kommission: Sie präsentierte ihre Strategien für eine nachhaltigere Ernährung und mehr Artenschutz in der Europäischen Union. „Das ist die konkrete Übersetzung dessen, was wir mit dem ‚Green Deal‘ angekündigt haben“, sagte Vizepräsident Frans Timmermans.
Der „Green Deal“ ist ein Kernvorhaben der EU-Kommission unter Ursula von der Leyen – stand zuletzt aber im Schatten der Coronavirus-Pandemie. „Die Krise hat gezeigt, wie verletzlich wir alle sind und wie wichtig es ist, die Balance zwischen dem menschlichen Handeln und der Natur wiederherzustellen“, sagte Timmermans. „Klimawandel und der Verlust von Biodiversität sind eine deutliche und unmittelbare Gefahr für die Menschheit“, warnte er.
Pestizideinsatz soll um 50 Prozent sinken
In ihrer „Farm to Fork“- („Vom Hof auf den Teller“) Strategie nimmt die Kommission nun die gesamte Produktionskette von Lebensmitteln in den Blick. Die EU solle weltweit zum Vorbild für gesunde, umweltschonende und wirtschaftlich verträglich Ernährung werden. Die Pläne sehen unter anderem vor, dass der Einsatz gefährlicher oder schädlicher Pflanzenschutzmittel innerhalb von zehn Jahren halbiert wird.
Bis 2030 sollen darüber hinaus der Einsatz von Düngemitteln um 20 Prozent und der Verkauf von für Nutztiere bestimmten Antibiotika um 50 Prozent reduziert werden. Auch soll ein Viertel der landwirtschaftlichen Fläche in Europa bis dahin durch Biolandwirtschaft bewirtschaftet werden. Um den Einsatz neuer Technologien zu fördern, soll es bis 2025 in allen ländlichen Gebieten schnelles Internet geben. Der EU-weite Bioanteil bis 2030 soll von derzeit 7,7 Prozent auf 25 Prozent gesteigert werden, damit die geplante Reduktion des Einsatzes von Pestiziden erreicht werden kann.
Unmittelbare Auswirkung auf das Verhalten von Verbrauchern soll ein verpflichtendes Nährwertlogo auf der Vorderseite von Lebensmitteln haben. Es gehe nicht darum, den Menschen vorzuschreiben, was sie kaufen, sagte Timmermans. Aber sie sollten ihre Entscheidung besser informiert treffen.

Kritik aus unterschiedlichen Richtungen
Auch an dem Vorstoß der Kommission hagelte es Kritik – wenn auch aus unterschiedlichen Richtungen. Die Umweltschutzorganisationen Greenpeace beklagte, dass die EU-Strategie den „Klimakiller Massentierhaltung“ ausblende: Das „größte umweltpolitische Problem im Ernährungs- und Agrarbereich“, die „massive Überproduktion von Fleisch in industrieller Massentierhaltung mit katastrophalen Auswirkungen auf Tier, Mensch und Klima“, werde nicht angesprochen. Global 2000 wies auf die Notwendigkeit eines grundlegenden Systemwandels hin, der die Landwirtschaft „aus ihrer Abhängigkeit von chemischen Hilfsmitteln wie chemisch-synthetischen Pestiziden befreit“ – das Reduktionsziel der EU sei daher unzureichend.
Die Pflanzenschutzmittelhersteller wünschen sich hingegen eine stärkere Förderung von Innovation statt einer Verschärfung der Regeln. Die IndustrieGruppe Pflanzenschutz (IGP) sieht in der „Farm to Fork“-Strategie „ein falsches Signal in Zeiten der Krise“. Der Präsident des deutschen und europäischen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, sprach von einem „Generalangriff auf die gesamte europäische Landwirtschaft“. Wegen immer neuer Auflagen drohe „die Aufgabe einer großen Zahl an landwirtschaftlichen Betrieben“ und die „Abwanderung der europäischen Lebensmittelproduktion in Drittstaaten“.