Insgesamt kamen bisher mehr als 80 Menschen ums Leben, allein im besonders betroffenen nordostindischen Bundesstaat Westbengalen habe es 72 Tote gegeben, sagte die zuständige Regierungschefin am Donnerstag. Der Flughafen der Stadt war völlig überflutet, es gab umgestürzte Strommasten und umgekippte Autos, wie Fernsehbilder zeigten. Kolkata traf der Zyklon mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 113 km/h – er brachte zudem viel Regen und Gewitter mit sich. Zuvor war von Windgeschwindigkeiten von bis zu 185 km/h die Rede gewesen.
„Die Situation ist besorgniserregender als die Coronavirus-Pandemie. Wir wissen nicht, wie wir damit umgehen sollen“, sagte die Regierungschefin des indischen Bundesstaates Westbengalen, Mamata Banerjee. Es brauche drei, vier Tage, um das ganze Ausmaß der Schäden abzuschätzen. „In den Küstendörfern des Staates ist fast alles zerstört“, so Banerjee.
Drei Millionen in Notunterkünften
Viele Menschen überlebten wohl, weil mehr als drei Millionen in Notunterkünfte gebracht worden waren, bevor Sturm „Amphan“ am Mittwoch das Festland erreicht hatte. Aber etliche andere blieben daheim, weil sie um Hab und Gut fürchteten. Laut dem indischen meteorologischen Dienst ist er einer der schlimmsten Stürme in der Region der vergangenen 20 Jahre. Er sollte weiter über Bangladesch nach Bhutan ziehen und sich am Donnerstagnachmittag abschwächen.
Medienberichten zufolge rollte eine Sturmflut mehrere Kilometer landeinwärts. Im Südwesten Bangladeschs wurden nach Angaben eines örtlichen Polizeibeamten große Teile des küstennahen Ackerlandes überflutet.
Nach Angaben der bangladeschischen Behörden wurden die Sundarban-Inseln, die zum UNESCO-Weltnaturerbe gehören und berühmt für ihre Mangrovenwälder und bengalischen Tiger sind, vom Zyklon schwer getroffen. Das genaue Ausmaß der Schäden sei aber noch unklar, sagte Forstbehördenleiter Moyeen Uddin Khan: „Wir sind sehr besorgt um die Wildtiere. Sie können von Sturmfluten mitgerissen werden.“
Pandemie erschwerte Evakuierungen
Die Coronavirus-Pandemie machte die große Evakuierung noch schwieriger als sonst bei solchen Stürmen. Um Abstand zu gewährleisten, stellten Behörden beider Länder nach eigenen Angaben mehr Notunterkünfte zur Verfügung. Es würden etwa leerstehende Schulen genutzt. Doch mehr Gebäude zu finden sei schwierig gewesen, da einige Notunterkünfte zurzeit als Quarantänegebäude oder temporäre Unterkünfte für gestrandete Wanderarbeiter dienten.
Pankay Anand von der Hilfsorganisation Oxfam sagte, dass einige Leute Angst hätten, sich in den Unterkünften mit dem neuartigen Coronavirus zu infizieren. Teils würden Masken oder Desinfektionsmittel verteilt. Trotzdem konnten die Leute in den Unterkünften nicht immer genügend Abstand halten, wie Fernsehbilder zeigten.
Steigende Infektionszahlen in Indien
Indien und Bangladesch kämpfen mit immer mehr Coronavirus-Infektionen, in beiden Ländern gilt eine Ausgangssperre. In Indien haben sich nach Aufzeichnungen der amerikanischen Johns-Hopkins-Universität inzwischen mehr als 112.000 Menschen nachweislich mit dem Virus infiziert, mehr als 3.400 starben infolge der Lungenkrankheit Covid-19.
Wirbelstürme kommen im Golf von Bengalen immer wieder vor. Bei einem großen Zyklon im Jahr 1999 starben rund 10.000 Menschen. Experten gehen davon aus, dass die Intensität der Stürme in den vergangenen Jahren unter anderem wegen des Klimawandels tendenziell zugenommen hat. Die Opferzahlen waren aber in den vergangenen Jahren generell kleiner, da es inzwischen mehr gute Notunterkünfte und Evakuierungspläne gibt.
Sorge um Gastarbeiter und Flüchtlingslager
Die BBC berichtete am Mittwoch zudem, dass Tausende Gastarbeiter, die die Städte wegen der Coronavirus-Pandemie verlassen hatten, in die betroffenen Küstengebiete zurückkehrten. Um das zu verhindern, strich der ebenfalls betroffene Bundesstaat Odisha bereits am Montag Züge. Dutzende Behörden hätten die Regierungen zudem gebeten, die Menschen – viele befinden sich zu Fuß auf dem Weg in Richtung Küste – anderswo unterzubringen, solange der Sturm über das Land fegt.
Zyklon „Amphan“ sorgt für Verwüstungen
Der starke Wirbelsturm „Amphan“ hat in Indien und Bangladesch Dutzende Menschen das Leben gekostet.
Auch Sorgen über das riesige Rohingya-Flüchtlingslager Cox’s Bazar in Bangladesch, das sich nicht unmittelbar in Gefahr befand, wurden zunächst laut. Deutlich heikler sei die Lage NGOs zufolge auf der Insel Bhasan Char, wo Hunderte Flüchtlinge untergebracht sind. Die Behörden gaben am Mittwoch an, die rund 300 Menschen auf der Insel in Sicherheit gebracht zu haben.
Hilfskräfte befürchten, dass der Sturm auch Bemühungen zur Eindämmung des Virus in Flüchtlingslagern gefährdet – vor knapp einer Woche wurde die erste Infektion in den überfüllten Flüchtlingslagern festgestellt. Anfang April hatten die Behörden den gesamten Bezirk Cox’s Bazar mit seinen mehr als eine Million Rohingya-Flüchtlingen abgeriegelt, um einer Coronavirus-Epidemie vorzubeugen. Zudem wurde die Zahl der Helfer in den Camps um 80 Prozent reduziert.