Hauptquartier der EU-Kommission in Brüssel
Reuters/Johanna Geron
Coronavirus-Nothilfen

Brüssel sucht die goldene Mitte

Die Gelder aus dem EU-Wiederaufbaufonds sollen in Form von nicht zurückzahlbaren Zuschüssen, Krediten und Garantien fließen. Das dürfte die EU-Kommission am Mittwoch vorschlagen, verlautete aus EU-Kreisen gegenüber der APA. Somit dürfte sich die Brüsseler Behörde zwischen der deutsch-französischen Position und jener der „sparsamen vier“ bewegen.

Während die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron einen 500 Milliarden Euro schweren Fonds mit Zuschüssen vorgeschlagen haben, sprachen sich die Nettozahlerländer Österreich, Niederlande, Dänemark und Schweden in ihrem am Samstag bekanntgewordenen Vorschlag für befristete Kredite aus.

Die Kommission hoffe, dass ihr Vorschlag „auch für die vier ‚Frugals‘ akzeptabel sein wird“, hieß es aus den Kreisen mit Blick auf das englische Eigenschaftswort, das die vier Mitgliedsstaaten zur Beschreibung ihrer selbst gewählt haben.

Bundeskanzler Sebastian Kurz, Schwedens Ministerpräsident Stefan Löfven, der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte und Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen im Gespräch mit dem Präsidenten des Europäischen Rates Charles Michel und der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen
Reuters/Virginia Mayo
Kurz, der niederländische Premier Mark Rutte, Schwedens Regierungschef Stefan Löfven, Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen (v. l.) mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel: Die „sparsamen vier“ wollen die Nothilfe auf zwei Jahre befristen

Gegen „Vergemeinschaftung“ von Schulden

In dem am Samstag von Österreich, den Niederlanden, Dänemark und Schweden vorgelegten Papier heißt es, die Covid-19-Krise erfordere europäische Solidarität und eine gemeinsame Wiederaufbaustrategie. „Wir schlagen deshalb einen temporären, einmaligen Nothilfefonds zur Unterstützung der wirtschaftlichen Erholung und zur Widerstandsfähigkeit unserer Gesundheitssektoren für mögliche künftige Wellen vor.“

Dieser Fonds soll zusätzlich zu einem modernisierten Finanzrahmen und zu dem bereits beschlossenen Rettungspaket von 540 Milliarden Euro eingerichtet werden. „Wo wir aber nicht zustimmen können, sind jegliche Instrumente oder Maßnahmen, die zu einer Vergemeinschaftung von Schulden führen oder zu bedeutenden Steigerungen im EU-Budget.“

Kurz: „Zeitliche Befristung der wichtigste Punkt“

„Am Ende braucht es einen Kompromiss. So ist die Europäische Union“, sagte Kurz in der ZIB. Man wolle aber keine Schuldenunion in der EU. „Und daher ist für uns der wichtigste Punkt, dass es eine zeitliche Befristung (der CoV-Hilfen, Anm.) gibt.“ Kurz sagte, dass die vier Staaten „eine klare Position“ hätten, „nämlich, dass diese Hilfe eine Corona-Soforthilfe sein muss, schnell, intensiv, unbürokratisch. Aber wir wollen keine Schuldenunion und auch keinen Einstieg in die Schuldenunion durch die Hintertür“, betonte der ÖVP-Chef mit Blick auf die Forderung nach einer zeitlichen Befristung der Hilfen.

CoV-Nothilfe: Entwurf gegen Merkel und Macron

Deutschland und Frankreich wollen ein 500-Milliarden-Euro-Paket zur Hilfe der CoV-Krisenregionen der EU schnüren. Österreich, Schweden, Dänemark und die Niederlande haben dazu nun einen Gegenentwurf vorgelegt. Die vier Staaten wollen keine Vergemeinschaftung von Schulden.

Gesamtsumme für Nothilfe offen

Das Papier der vier Länder sei auf Ebene von Spitzenbeamten („Sherpas“) den EU-Partnern und der EU-Kommission übermittelt worden, hieß es aus dem Bundeskanzleramt. Als Bereiche zur Förderung werden neben dem Wiederaufbau und dem Gesundheitssektor auch Forschung und Innovation und der „grüne Übergang“ im Einklang mit den EU-Klima-, Wachstums- und Digitalzielen genannt.

Das zweiseitige Positionspapier lässt die Gesamtsumme der Coronavirus-Nothilfen offen. Betont werden auch die Rechtsstaatlichkeit und der Schutz vor Betrug, der durch eine starke Einbindung des Europäischen Rechnungshofs, der EU-Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF und des Europäischen Staatsanwalts gegeben sein müsse.

Blümel beharrt auf Rückzahlung

Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) pochte auf eine Rückzahlung der Hilfen. „Die Europäische Kommission will sich verschulden. Die Verschuldung müssen ja die Mitgliedsländer bedienen, da die 500 Milliarden Euro als Zuschüsse und nicht als Kredite ausgezahlt werden. Das kommt für uns nicht infrage“, sagte Blümel dem „Kurier“ (Sonntag-Ausgabe).

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel während einer Videokonferenz mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron
Reuters/Sandra Steins
Der Plan von Merkel und Macron sieht vor, dass die EU-Kommission 500 Mrd. auf dem Kapitalmarkt an Krediten aufnimmt und das Geld über das EU-Budget verteilt

Bei dem geplanten EU-Wiederaufbaufonds handle es sich „im Prinzip (…) um 500 Milliarden Euro mehr Budget für die EU-Kommission, und das Budget müssen die Mitgliedsländer nach Brüssel einzahlen“, sagte Blümel. „Nach dieser Rechnung wäre unser Budgetbeitrag nicht ein Prozent, sondern liegt dann bei 1,5 Prozent.“

Die Grünen sahen in dem gemeinsamen Positionspapier die Möglichkeit, zu einem Kompromiss zu kommen. Der Europasprecher der Grünen, Michel Reimon, sagte gegenüber Ö1, umstrittene kritische Punkte seien in dem Papier nicht mehr enthalten. So sei mit keinem Wort erwähnt, ob es sich um Kredite oder Zuschüsse handeln solle, und das sei „gut so“, sagte Reimon.

Konzept für Italien „unangemessen“

Italien wies das Konzept zurück. Die schwere Rezession verlange „ambitionierte und innovative Vorschläge“, denn der Binnenmarkt mit seinen Vorteilen für alle Europäer und Europäerinnen sei in Gefahr, erklärte Europaminister Enzo Amendola am Samstag auf Twitter. „Das Papier der ‚sparsamen Länder‘ ist defensiv und unangemessen“, schrieb Amendola. Die EU-Kommission müsse bei ihrer Diskussion über das Thema am 27. Mai „mehr Mut“ aufbringen.

Der Vizepräsident des Europaparlaments, Othmar Karas (ÖVP), schrieb dagegen auf Twitter, der Vorschlag sei „weit weg“ von dem des EU-Parlaments und sei „den Herausforderungen der Zukunft nicht gewachsen“. Die SPÖ-Europaabgeordneten Andreas Schieder und Evelyn Regner kritisierten den Vorschlag als „mutlos und reinen Marketinggag“.

Gerüchte über Beitragsrabatt für Nettozahler

Nicht bestätigt wurden seitens der Kommission Gerüchte, wonach die Nettozahler hinter den Kulissen mit Brüssel über mögliche Beitragsrabatte verhandeln. EU-Ratspräsident Michel hatte beim Budgetgipfel im Februar in einem letzten Papier einen Rabatt unter anderem für Österreich vorgeschlagen. Das Scheitern des Gipfels konnte er damit aber nicht verhindern.

Die Kommission will am Mittwoch neben dem Vorschlag für den Wiederaufbaufonds auch einen an die CoV-Krise angepassten Budgetvorschlag für die Jahre 2021 bis 2027 präsentieren. Auch in diesem soll es dem Vernehmen nach Umschichtungen geben, um den Wiederaufbau nach der Coronavirus-Krise spezifisch zu unterstützen, insbesondere hart getroffene Wirtschaftssektoren.

Nach einem Streit über gemeinsame „Coronabonds“ haben sich die EU-Staats- und Regierungsspitzen darauf verständigt, dass der geplante Wiederaufbaufonds aus Krediten gespeist werden soll, die von der EU-Kommission aufgenommen werden. Um diese Kreditaufnahme zu ermöglichen, soll die EU-Budgetobergrenze für einen begrenzten Zeitraum von derzeit 1,2 auf zwei Prozent der europäischen Wirtschaftskraft angehoben werden.