Israels Premierminister Benjamin Netanyahu erscheint mit Gesichtsmaske vor Gericht
Reuters/Ronen Zvulun
Anklage wegen Betrugs und Untreue

Prozess gegen Netanjahu eröffnet

Der rechtspopulistische israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist am Sonntag zum Auftakt des mit Spannung erwarteten Korruptionsprozesses im Jerusalemer Bezirksgericht erschienen. Er ist wegen Betrugs, Untreue und Bestechlichkeit angeklagt. Wie bereits im Vorfeld wies er alle Vorwürfe zurück und sprach von einer „lächerlichen“ und „fabrizierten“ Anklage.

Er erscheine „erhobenen Hauptes“ vor den Richtern, sagte Netanjahu beim Betreten des Gerichtssaals. Er wurde von Leibwächtern, Anwälten und Ministern seiner Likud-Partei begleitet und trug eine Schutzmaske. Der Prozess gegen ihn solle „live und unzensiert“ übertragen werden, damit die Öffentlichkeit sich selbst eine Meinung bilden könne. Netanjahu ist der erste amtierende Ministerpräsident Israels, dem wegen Korruption der Prozess gemacht wird.

Die Anklage hat es in sich – immerhin geht es um drei Fälle: Netanjahu und seine Familie werden verdächtigt, Luxusgeschenke wie Zigarren, Champagner und Schmuck im Wert von mehr als 700.000 Schekel (rund 185.000 Euro) von reichen Privatpersonen angenommen zu haben. Im Gegenzug soll Netanjahu den Gönnern finanzielle oder persönliche Vorteile verschafft haben.

Illegale Einflussnahmen auf Medien?

Ein zweiter Vorwurf bezieht sich auf ein angebliches Angebot, das Netanjahu dem Verleger der regierungskritischen Zeitung „Jediot Ahronot“ gemacht haben soll, um sich eine positivere Berichterstattung zu sichern. Demnach soll Netanjahu dem Verleger eine Schwächung der Gratiszeitung „Israel Hajom“ – dem wichtigsten Konkurrenzblatt von „Jediot Ahronot“ – in Aussicht gestellt haben.

Am gravierendsten sind die Vorwürfe gegen Netanjahu in der als „Fall 4000“ bekannten Besek-Affäre. Darin geht es um Vorwürfe, wonach Netanjahu dem israelischen Telekommunikationsunternehmen Besek rechtliche Vorteile gewährt haben soll – im Gegenzug für eine positive Berichterstattung der zum Konzern gehörenden Nachrichtenwebsite Walla.

Israels Premierminister Benjamin Netanyahu mit Gesichtsmaske vor Gericht
AP/Pool Photo/Ronan Zvulun
Netanjahu erschien mit Maske zum Gerichtstermin und bezeichnete die Anklage als „lächerlich“

Prozess nach einer Stunde vertagt

Netanjahus Anwälte bestätigten dem Gericht am Sonntag, dass sein Mandant die Anklageschrift gelesen und verstanden habe. Auch beantragten sie einen mehrmonatigen Aufschub, um nach der Verlesung der Anklage mehr Zeit zur Vorbereitung zu haben. Die Staatsanwaltschaft forderte dagegen, die Zeugen möglichst rasch anzuhören. Die Richter wollen nun über die Anträge entscheiden.

Nach einer Stunde vertagten die Richter den Prozess, ein neuer Termin wurde dabei nicht genannt. Mit Netanjahu sind weitere Personen angeklagt. Drei Kronzeugen – ehemalige enge Mitarbeiter – sollen gegen Netanjahu aussagen. Sollte Netanjahu wegen Bestechlichkeit verurteilt werden, drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft.

Korruptionsprozess gegen Netanjahu eröffnet

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wies beim Prozessbeginn – wie bereits im Vorfeld – alle Vorwürfe zurück und sprach von einer „lächerlichen“ und „fabrizierten“ Anklage.

300 Zeugen sollen befragt werden

Bei einer Verurteilung wegen Betrugs und Untreue wäre die Höchststrafe drei Jahre Gefängnis. Mit dem Verfahren befassen sich drei Richter, gut 300 Zeugen sollen befragt werden. Richterin Rivka Feldman-Friedman hat schon Erfahrung mit Korruptionsverfahren: Sie war auch Teil eines Richtergremiums, das 2015 einen von Netanjahus Amtsvorgängern, Ex-Ministerpräsidenten Ehud Olmert, verurteilt hatte.

Es handle sich um den Versuch, „einen starken amtierenden Regierungschef der Rechten zu stürzen“, so Netanjahu. Er war erst vergangenen Sonntag erneut vereidigt worden. Seine fünfte Amtszeit ist wegen des Prozesses äußerst umstritten. Zurücktreten müsste Netanjahu aber erst im Fall einer rechtskräftigen Verurteilung – er ist Israels am längsten amtierender Ministerpräsident.

Israels Verteidigungsminister und Premierminister Benjamin Netanyahu bei der ersten Kabinettssitzung
Reuters/Abir Sultan
Netanjahu (r.) und Verteidigungsminister Benni Ganz bei der ersten Kabinettssitzung – wenig später musste Netanjahu zum Gerichtstermin

Der Oppositionspolitiker Jair Lapid warf Netanjahu vor, er versuche, in Israel einen Bürgerkrieg zu entfachen, um einer Verurteilung zu entgehen. Die israelische Gesellschaft ist in der Meinung zum Ministerpräsidenten des Landes jedenfalls gespalten: So nahmen in Jerusalem am Sonntag Hunderte Menschen an Demonstrationen für und gegen Netanjahu teil, auch vor dem Gericht.

Tim Cupal (ORF) über den Prozess gegen Netanjahu

ORF-Korrespondent Tim Cupal berichtet über den Korruptionsprozess gegen den israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu.

Erste Kabinettssitzung von Netanjahu und Ganz

Unmittelbar vor dem Gerichtstermin hielt Netanjahu noch die erste gemeinsame Kabinettssitzung mit seinem neuen Partner Benni Ganz ab. „Diese Regierung vertritt das ganze Volk Israel“, sagte Netanjahu. Eine der wichtigsten Aufgaben sei der Kampf gegen das Coronavirus. Bei der Sitzung im Parlament wurde unter anderem die Zusammensetzung verschiedener Ausschüsse festgelegt. Im Zuge einer Rotation soll Netanjahu zunächst für eineinhalb Jahre Regierungschef sein und danach von Ganz vom Mitte-Bündnis Blau-Weiß abgelöst werden.