VW-Emblem auf einem Fahrzeug
Reuters/Jonathan Ernst
Deutsches Höchstgericht

VW täuschte Dieselfahrer „arglistig“

Käuferinnen und Käufer manipulierter Dieselautos haben grundsätzlich Anspruch auf Schadenersatz. Sie könnten ihr Fahrzeug zurückgeben und von Volkswagen den Kaufpreis teilweise zurückverlangen, urteilte der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe am Montag in Zusammenhang mit dem VW-Dieselskandal. Das Vorgehen von VW sei „arglistig“ gewesen. Auch für Österreicher und Österreicherinnen ist damit der Weg geebnet, in Deutschland gegen VW vor Gericht zu ziehen.

„Das Verhalten der Beklagten ist als sittenwidrig zu bezeichnen“, sagte der Vorsitzende Richter des 6. Zivilsenats, Stephan Seiters, am Montag in der Begründung der Entscheidung. Volkswagen habe „im eigenen Kosten- und Gewinninteresse durch bewusste Täuschung“ des deutschen Kraftfahrtbundesamts (KBA) gehandelt. Und das Unternehmen habe „systematisch und langwierig Fahrzeuge in Verkehr gebracht“, deren Motorsteuerungssoftware für die Täuschung programmiert worden war.

Der BGH gehe von einer „strategischen Unternehmensentscheidung durch arglistige Täuschung der Genehmigungsbehörde“ aus. „Ein solches Verhalten ist mit den grundlegenden Werten der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren“, sagte Seiters.

Softwareupdate an einem VW-EA189-Motor
APA/dpa/Julian Stratenschulte
Ein Softwareupdate wird nach Aufdecken des Skandals in einer Werkstatt in Deutschland eingespielt

Weichen für weitere Verfahren gestellt

Damit stellte das Gericht auch die Weichen für die vielen tausend noch laufenden Verfahren gegen den Wolfsburger Autokonzern. Bereits in der Verhandlung vor knapp drei Wochen hatten die Richter erkennen lassen, dass VW wohl zu Schadenersatz verpflichtet sein dürfte.

Für den Kläger im konkreten Fall, einen Mann aus dem deutschen Bundesland Rheinland-Pfalz, ist das ein Teilerfolg. Er will den kompletten Preis von knapp 31.500 Euro zurück. Unter der Haube seines gebrauchten VW Sharan steckt ein Dieselmotor vom Typ EA 189 – mit einer Software, die dafür sorgte, dass das Fahrzeug die Abgasgrenzwerte zwar auf dem Prüfstand, nicht aber auf der Straße einhielt. Im Herbst 2015 flog der Betrug im großen Stil auf. Millionen Autos waren betroffen.

Urteilsverkündung am deutschen Bundesgerichtshof in Karlsruhe
APA/Thorsten Gutschalk
Der Gerichtshof in Karlsruhe bei einer Urteilsverkündung

Rund 60.000 VW-Klagen in Deutschland anhängig

Das Oberlandesgericht Koblenz hatte dem Mann 25.600 Euro plus Zinsen gegen Rückgabe seines Autos zugesprochen. Dagegen hatten beide Seiten Revision eingelegt. VW vertritt die Ansicht, dass dem Kläger und allen anderen Dieselkäufern gar kein Schaden entstanden sei. Das Auto sei schließlich jederzeit uneingeschränkt nutzbar gewesen.

Laut VW sind deutschlandweit noch rund 60.000 Klagen bei den Gerichten anhängig. Auch in Österreich sind zahlreiche Gerichte mit dem Abgasskandal beschäftigt. Für einen Großteil dieser Verfahren in Deutschland dürfte das BGH-Urteil eine wichtige Leitlinie sein. Denn die zentrale Frage, ob den Käufern Schadenersatz zusteht oder nicht, wurde von den unteren Instanzen bisher völlig unterschiedlich beantwortet.

VW will Einmalzahlungen anbieten

VW will den verbleibenden Klägern und Klägerinnen Einmalzahlungen anbieten. VW werde mit entsprechenden Vorschlägen auf die Kunden zugehen, so der Konzern am Montag. Einmalzahlungen seien eine „pragmatische und einfache Lösung“. Die Höhe der Angebote hänge vom Einzelfall ab.

VW bezeichnete die Karlsruher Entscheidung als „Schlusspunkt“. Das Urteil schaffe für einen Großteil der derzeit noch anhängigen rund 60.000 Fälle Klarheit. Der Konzern sieht nach eigenen Angaben kaum Anlass für weitere Klagen. „Volkswagen ist nun bestrebt, diese Verfahren im Einvernehmen mit den Klägern zeitnah zu beenden.“ VW verwies dazu unter anderem auf die im Rahmen des Musterfeststellungsverfahrens bereits mit Zehntausenden Kunden – jedoch nur Deutschen – geschlossenen Vergleiche.

Auch andere Fälle werden noch verhandelt

Mit dem Urteil ist aber längst nicht alles entschieden. Andere Fallkonstellationen wird sich der BGH in weiteren Verfahren genauer ansehen – zum Beispiel, ob VW-Kunden auch dann Schadenersatz zusteht, wenn sie ihr Auto erst nach Bekanntwerden des Dieselskandals gekauft haben. Die drei nächsten Verhandlungen zu VW-Klagen haben die Karlsruher Richter und Richterinnen für Mitte und Ende Juli angesetzt.

Auf den Vergleich, den die deutsche Verbraucherzentrale im Namen von mehreren hunderttausend Dieselbesitzern mit VW ausgehandelt hat, haben die Entscheidungen des deutschen Bundesgerichtshofs keine Auswirkungen mehr. An dem Vergleich konnten nur Deutsche teilnehmen, Österreicher waren ausgeschlossen.

Anwalt: Nun können auch Österreicher klagen

Das BGH-Urteil helfe auch österreichischen Betroffenen, so der Anwalt Claus Goldenstein, dessen Kanzlei Goldenstein & Partner für den BGH-Fall verantwortlich ist. Seit Montag können Österreicher in Braunschweig gegen VW vorgehen, so die Kanzlei in einem schriftlichen Statement zur APA. Grundsätzlich sei das seit Beginn des Abgasskandals möglich, da Österreicher im Falle eines Betrugs auch am Gerichtsstand des Betrügers – bei Volkswagen ist dies Braunschweig – klagen könnten. „Zuvor hat dieser Schritt jedoch keinen Sinn ergeben, weil die Braunschweiger Gerichte bis heute kein einziges Urteil gegen den Konzern in dieser Sache gefällt haben“, so Goldenstein. Über die Hintergründe lasse sich nur vermuten.

„Von nun an werden die Richter der Auffassung des BGH auch bei österreichischen Klägern folgen und die Entschädigungszahlung gemäß dem Urteil gewähren müssen. Die Klagen werden entsprechend schnell von Erfolg gekrönt sein“, so der Anwalt.

Vorteil der längeren Verjährungsfrist

In Österreich zu klagen hält der deutsche Rechtsvertreter hingegen für nicht so erfolgversprechend, da es bis zu einer höchstgerichtlichen Entscheidung hierzulande noch lange dauern werde. Österreicher hätten gegenüber deutschen Verbrauchern sogar einen entscheidenden Vorteil: die Verjährungsfrist. In Deutschland sei sie nicht abschließend geklärt, für Österreicher betrage sie bei sittenwidriger Täuschung ganze 30 Jahre – auch vor deutschen Gerichten. „Das hat zur Folge, dass kein berechtigter Fall aufgrund von Verjährung erfolglos bleiben wird.“

Österreicherinnen und Österreicher sollten dennoch mit ihrer Klage nicht zu lange warten, denn je länger die Betroffenen ihr Auto nutzen, desto geringer falle die Entschädigung aus, so Goldenstein. „Für die jeweilige Laufleistung des Pkw wird nämlich eine sogenannte Nutzungsentschädigung abgezogen, die sich negativ auf die Entschädigungssumme auswirkt.“

Auch Kolba wirbt für Klagen

Goldenstein vertritt in der Causa VW-Skandal mehr als 21.000 Mandanten und Mandantinnen. Wie er warb auch der heimische Verbraucherschützer Peter Kolba vom Verbraucherschutzverein (VSV) am Montag erneut für Klagen in Deutschland. „Man kann da einige tausend Euro Schadenersatz erlangen“, so Kolba, dessen Verein gemeinsam mit einem Prozessfinanzierer Individualklagen in Deutschland anbietet. Die Klagen kosteten nichts und würden kein Risiko bergen, im Erfolgsfall bekomme der Prozessfinanzierer 35 Prozent des erstrittenen Betrags. „Jetzt können sich die österreichischen Geschädigten an VW revanchieren“, da der Konzern Österreichern und Südtirolern im Rahmen der Musterfeststellungsklage keinen Vergleich angeboten hat, so Kolba in einer Aussendung.