Boris Johnson und Dominic Cummings
APA/AFP/Daniel Leal-Olivas
„Lock-down“ missachtet

Cummings-Affäre bringt Johnson unter Druck

Der britische Premierminister Boris Johnson hat mit seiner Rückendeckung für Chefberater Dominic Cummings einen Sturm der Entrüstung ausgelöst und gerät selbst zunehmend unter Druck. Viele Torys, die Opposition, Geistliche und Ärzte forderten den Rücktritt Cummings’, weil er gegen den „Lock-down“ verstoßen hat. Doch an einen Rückzug denkt Cummings nicht – er selbst gab in einer Erklärung an, „korrekt gehandelt“ zu haben und „nichts zu bereuen“.

Dem Johnson-Berater wird vorgeworfen, Ende März mit seiner an Covid-19 erkrankten Frau und seinem vier Jahre alten Sohn von London in die rund 430 Kilometer entfernte nordostenglische Grafschaft Durham zu seinen Eltern gefahren zu sein – angeblich weil er die Betreuung für seinen Sohn gewährleisten wollte. Gemäß den Richtlinien zur Eindämmung der Pandemie waren zu diesem Zeitpunkt Reisen nur aus unverzichtbaren Gründen erlaubt.

In einer Erklärung im Garten der Downing Street 10 nahm Cummings zu den Vorwürfen Stellung: Es sei ihm klar, was die Krise für Millionen Menschen im Land bedeutet habe. Auch sei ihm klar, dass viele Menschen wütend seien. Doch habe er sich Sorgen wegen der Betreuung seines Sohnes gemacht, weil er besorgt gewesen sei, dass sowohl seine Frau als auch er erkrankt seien. In London habe es keine Möglichkeit gegeben, für die Betreuung zu sorgen.

„Bereue die Entscheidung nicht“

Aus diesem Grund habe er es für die beste Idee gehalten, die Fahrt auf das Anwesen des Vaters anzutreten – auch, um niemanden zu gefährden. Mit Johnson sei das nicht abgesprochen gewesen. In Durham habe auch er Symptome gehabt und sein Sohn habe sich ebenfalls krank gefühlt. Erst nachdem er sich besser gefühlt habe, sei er zurück nach London gefahren – 15 Tage nach Auftreten der Symptome.

Dominic Cummings
AP/Jonathan Brady
Cummings bei seiner Erklärung im Garten der Downing Street 10

Auch nahm er zu Berichten Stellung, am 12. April in Barnard Castle unweit von Durham gesehen worden und von einem Anrainer angezeigt worden zu sein. Die 30-minütige Fahrt habe er unternommen, um zu testen, ob seine Sehkraft für eine Fahrt nach London gut genug sei, wie er mehrfach sagte. Letztlich bereue er die Entscheidung nicht, trotz des Ausgangsverbots die gesamte Reise unternommen zu haben – es sei für alle „am sichersten“ gewesen, auch in Durham habe die Familie mit niemandem Kontakt gehabt.

Erster Rücktritt aus Protest

Doch wirklich für Ruhe sorgten die Ausführungen nicht: Aus Protest gegen Cummings’ Verhalten trat Staatssekretär Douglas Ross zurück. Cummings’ Interpretation der Ausgangsbeschränkungen „können die meisten Menschen, die die Regeln der Regierung befolgen, nicht nachvollziehen“, schrieb Ross am Dienstag an Premier Johnson. In Johnsons Konservativer Partei hatte es schon zuvor scharfe Kritik an Cummings gegeben.

Britische Kommentatoren schließen weitere Rücktritte nicht aus. „Ich habe Wähler, die sich nicht von ihren Liebsten verabschieden konnten, Familien, die nicht zusammen trauern konnten, Menschen, die nicht ihre kranken Verwandten besuchten, weil sie die Regeln der Regierung befolgten“, so der Staatssekretär für Schottland. Er könne doch nicht allen sagen, sie lägen falsch und Cummings richtig.

Kritik von Geistlichen: „Behandelt Menschen wie Trottel“

Bereits seit Tagen steht Cummings dafür in Großbritannien im Kreuzfeuer der Kritik. Im Vorfeld kochte die Kritik von vielen Seiten noch einmal hoch – und war immer stärker auch gegen Johnson gerichtet: Der Premierminister behandle die Menschen „wie Trottel“ und „ohne Respekt“, twitterte der Bischof von Leeds, Nicholas Baines. Außer ihm kritisierten noch viele andere Vertreter der Kirche von England das Verhalten Johnsons und seines Beraters.

„Zum Gespött gemacht“

Auch vonseiten der eigenen Partei bröckelt die Unterstützung für Johnson und seinen Chefberater. Der frühere Staatssekretär Paul Maynard nannte Cummings’ Verhalten „völlig unhaltbar“. Mindestens 15 konservative Abgeordnete sprachen sich für Cummings’ Absetzung aus, wie der „Guardian“ berichtete – weitere forderten eine Entschuldigung. Der Abgeordnete David Warburton sagte im Interview mit der BBC, Cummings „schädigt die Regierung und das Land“.

Die Polizei fürchtet Folgen für ihre Arbeit: Der Chefberater habe durch sein Verhalten die Durchsetzung der Pandemiemaßnahmen zum Gespött gemacht, sagte ein Vertreter der Polizei in der südenglischen Grafschaft Gloucestershire. Der Mediziner Dominic Pimenta twitterte ein Foto von sich in voller Schutzausrüstung und schrieb: „Wenn er (Cummings) nicht aus dem Dienst ausscheidet, dann mache ich das.“

„Instinkten eines jeden Vaters gefolgt“

Und Johnson stellte sich am Sonntag hinter seinen Chefberater: Cummings sei „den Instinkten eines jeden Vaters gefolgt“, so Johnson. Dafür könne er ihn nicht an den Pranger stellen. Nach den Worten Johnsons habe sein Chefberater „in jeder Hinsicht verantwortlich, legal und mit Integrität“ gehandelt.

Mehrere Experten, die nach eigenen Angaben die Regierung bisher beraten hatten, äußerten sich sehr besorgt. Innerhalb von Minuten habe Johnson „alle Ratschläge, wie man Vertrauen aufbaut und das Einhalten der Maßnahmen sicherstellt, die für die Kontrolle von Covid-19 notwendig sind, in die Tonne getreten“, twitterte Psychologe Stephen Reicher von der St.-Andrews-Universität in Schottland.

„Auf welchem Planeten leben die eigentlich?“

Die Zeitung „Daily Mail“ titelte am Montag zu Bildern von Johnson und Cummings: „Auf welchem Planeten leben die eigentlich?“ Der Chef der Oppositionspartei Labour, Keir Starmer, sagte der BBC: „Das war ein großer Test für den Premierminister, und er ist gerade durchgefallen.“

Großbritannien hat offiziellen Statistiken zufolge die höchste Zahl an Todesfällen durch die Coronavirus-Pandemie in Europa. Bis Samstag starben dort knapp 36.800 Menschen, nachdem sie positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Inzwischen ist die Zahl der täglich neu gemeldeten Infektionen und Todesfälle zurückgegangen. Doch es wird befürchtet, dass die Epidemie wieder an Fahrt aufnehmen könnte, wenn die Regeln zur Kontaktbeschränkung nicht mehr eingehalten werden sollten.