Peter Pongratz’ Gemälde „Schutzengel“ von 1971 ist die Vergrößerung eines Kitschmotivs seiner KindheitALBERTINA, Wien –The ESSL Collection © Bildrecht, Wien, 2020
Albertina Wien/The ESSL Collection/Bildrecht/Wien/2020
Albertina modern

Frischer Blick auf Österreichs Moderne

Endlich: Die Albertina modern öffnet im renovierten Künstlerhaus ihre Pforten. Die Einweihungsschau „The Beginning“ rollt die heimische Kunstgeschichte von 1945 bis 1980 so auf, wie sie zuvor noch nicht zu sehen war. Während die männliche Nachkriegsavantgarde auf den Faschismus reagierte, probten Künstlerinnen ab den 70er Jahren den Aufstand gegen das Patriarchat. Bunt wird es mit Pop-Art.

Hohe Kosten, Bauverzögerung und eine verhinderte Eröffnung: Die Albertina modern erlebte in den letzten drei Jahren viele unangenehme Überraschungen. 57 Millionen Euro kostete die Renovierung und Adaptierung des Wiener Künstlerhauses, die der Bauunternehmer Hans Peter Haselsteiner gestemmt hat.

Der Verkauf der Sammlung Essl war der Stein, der die Albertina-Filiale ins Rollen brachte. Aufgrund des finanziellen Niedergangs seiner Marktkette Baumax musste Karl-Heinz Essl seine Sammlung 2014 an Haselsteiner verkaufen. Der Bautycoon wollte das Museum Essl jedoch nicht erhalten. Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder schlug Haselsteiner schließlich das marode Künstlerhaus als neuen Standort vor.

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Maria Lassnig „Mit einem Tiger schlafen“, 1975
Albertina Wien/Leihgabe der Österreichischen Nationalbank
Maria Lassnig, „Mit einem Tiger schlafen“, 1975
Franz Ringel „Brief an meine Freunde in Wien“, 1973 The ESSL Collection © Franz Ringel
Albertina/The ESSL Collection/Franz Ringel
Franz Ringel, „Brief an meine Freunde in Wien“, 1973
VALIE EXPORT „Aktionshose: Genitalpanik“, 1969/2001
Albertina Wien/The ESSL Collection/Bildrecht/Wien/2020
Valie Export, „Aktionshose: Genitalpanik“, 1969/2001
Gottfried Helnwein „Der höhnische Arzt“, 1973
Albertina/Leihgabe aus Privatsammlung/Bildrecht/Wien/2020
Gottfried Helnwein, „Der höhnische Arzt“, 1973
Christian Ludwig Attersee „Torte mit Speisekugeln und Speiseblau“, 1967 Familiensammlung Haselsteiner© Bildrecht, Wien, 2020
Familiensammlung Haselsteiner/Bildrecht/Wien/2020
Christian Ludwig Attersee, „Torte mit Speisekugeln und Speiseblau“, 1967
Günter Brus: „Selbstbemalung II“, 1965
Albertina/The ESSL Collection/Günter Brus
Günter Brus, „Selbstbemalung II“, 1965
Robert Klemmer: „Laufender Klemmer“, 1969
Albertina/Estate/Robert Klemmer
Robert Klemmer, „Laufender Klemmer“, 1969

Verschiebung in letzter Sekunde

Die Erwartungen waren entsprechend groß, als die Dependance Mitte März aufsperren sollte, aber die Coronavirus-Krise sorgte für eine Absage in letzter Minute. Dank „neuer Normalität“ darf die Öffentlichkeit nun endlich in die Eröffnungsschau „The Beginning“. Die rund 400 Exponate stammen aus der Albertina und der Sammlung Essl ebenso wie von Leihgebern wie dem Wien Museum und dem Privatmuseum Liaunig.

Darunter befinden sich etliche Namen, die in der heimischen Kunsthistorie bisher ignoriert wurden, zum Beispiel Gemälde des 1971 jung verstorbenen Robert Klemmer, von dem das poppige Plakatsujet eines rennenden Mannes im gelb-rosa Anzug stammt.

Wider den Faschismus

Wer das Künstlerhaus nicht kennt, der könnte beim Eintritt verwirrt werden. Zur Albertina modern geht es nämlich nicht über die Treppe mit den aufwendig renovierten Deckengemälden – oben residiert die Gesellschaft bildender Künstlerinnen und Künstler Österreichs. Vielmehr heißt es, seitlich an der Stiege vorbeizugehen, um dahinter zu den insgesamt 2.000 Quadratmetern ebenerdiger Ausstellungsfläche zu gelangen. Die Eröffnungsschau versucht, alle wichtigen Strömungen der österreichischen Kunst von 1945 bis 1980 zu zeigen, darunter auch die Art Brut und die Konkrete Kunst.

Ausstellungshinweis

„The Beginning. Kunst in Österreich 1945 bis 1980“, Albertina modern, 27.5. bis 15.11., täglich 10.00 bis 18.00 Uhr; Katalog erschienen im Hirmer Verlag, 608 Seiten, 49,90 Euro.

„Wir zeigen Erneuerer, die Grenzen überschritten haben“, betonte der Albertina-Chef, der als Kokuratoren Brigitte Borchhardt-Birbaumer, Berthold Ecker und Angela Stief ins Boot holte. Schröder erinnerte an die NS-Propagandaschau „Entartete Kunst“, die 1939 im Künstlerhaus die Massen anzog. Der Hass auf die Moderne hallte hierzulande noch Jahrzehnte nach.

Er selbst hätte die Verunglimpfung noch in seiner Jugend 1974 im Zuge der Einweihung eines Brunnens in Linz gehört, erzählte der Museumsdirektor. Mit einem neuen Kanon möchte er demonstrieren, dass die Abrechnung mit dem Faschismus und die Aufarbeitung der Kriegstraumata nach 1945 eine größere Rolle spielen, als es lange den Anschein hatte.

Geschundene Leiber

Das zeigt schon der Raum jener Kunstrichtung, die nach dem Krieg die meiste Popularität genoss: Im Phantastischen Realismus wurde vor allem die Verbeugung vor den alten Meistern herausgestrichen. Die Darstellung ausgemergelter oder sich auflösender Leiber bei Ernst Fuchs und Rudolf Hausner entsprang jedoch auch dem Krieg.

„Hausner schilderte einmal, dass er als Soldat auf der Flucht mit seinem Stiefel im Körper eines Verwesenden einsank“, erklärte Schröder zu dem surrealistischen Gemälde „Die Arche des Odysseus“ aus den 1950er Jahren. Es zeigt neben Hausners Alter Ego „Adam“ auch einen Kopf, aus dessen Augenhöhlen Figuren kriechen.

Hrdlickas Kraftlackl

Die abstrakte Kunst, die sich international ab 1910 ausbreitete, spielte in Österreich vor 1945 kaum eine Rolle. Der erste, etwas gar dichte Ausstellungsabschnitt zeigt den Clash von Figuration und Abstraktion, wobei die Skulptur viel Raum einnimmt. Von Alfred Hrdlicka stammt ein Kraftlackl aus Untersberger Marmor, der die rechte Faust seines überlangen Arms ballt. Die Statue entstand als Hommage an den US-Boxer Sonny Liston, der 1965 gegen seinen Gegner Muhammad Ali in die Knie ging.

Diesem Kämpfer stehen in der Schau Oswald Oberhubers Drahtgeflechte, die Gerümpelskulpturen der Wiener Aktionisten und die Assemblagen des viel zu wenig gewürdigten Padhi Frieberger gegenüber, welche die klassische Figur hinter sich ließen.

Unbekannter Austropop

In „The Beginning“ wechseln Einzelpräsentationen – etwa zu Hundertwasser, Arnulf Rainer, Günter Brus und Maria Lassnig – mit thematischen Schwerpunkten ab. So weit, so erwartbar. Ein Coup ist der Albertina modern hingegen mit dem Hauptsaal gelungen, wo starke Farben von gelben Wänden leuchten.

Vor der Frage, welche Pop-Art Österreich hervorgebracht hat, dürften bisher selbst Kunstkenner kapituliert haben. Kein Wunder, denn die Bilder, die die Kärntner Künstlerin Kiki Kogelnik ab 1963 in New York malte, wurden kaum gewürdigt. Was hier bunt und lustig erscheint, hat es in sich. So spielt das Bild „Death with Sunglasses“ auf Atomtests an, und „Transparent Woman“ zeigt einen kopflosen Körper, der technoid überformt ist.

Sex, Kitsch und Konditorei

Auch der Maler Jorg Hartig nahm in den Sixties die konsumaffine Kunstströmung auf und brachte zerquetschte Eisbecher monumental auf die Leinwand. Der nunmehr 88-Jährige verwendete als einer der ersten Künstler hierzulande Acrylfarben. Sein heute ebenso vergessener Kollege Robert Lettner beschäftigte sich mit der Black-Panther-Bewegung und malte Handgranaten und Springmesser als Stillleben.

Dieses Umfeld schärft den Blick auf bekannte Positionen von Christian Ludwig Attersee, dessen hintergründige Malereien Motive aus Sex, Kitsch und Konditorei verwursten, und Peter Pongratz’ Großformat „Schutzengel“, das einst Essl erwarb.

Kläffende Schäferhunde

Das letzte Ausstellungskapitel wird in der neuen Kellergalerie aufgeschlagen. Mit Valie Export, die vor Kurzem ihren 80. Geburtstag gefeiert hat, macht die wichtigste heimische Medienkünstlerin den Anfang. Ihre radikal-feministischen Performances, in denen sie selbst nackt auftrat, attackieren ein faschistisch strukturiertes Patriarchat – so etwa bei der als Fotoserie erhaltenen Aktion „Kausalgie“, wo Valie Export den Schatten eines Soldaten verwendete, oder in den Videos kläffender Schäferhunde, die in der Installation „I beat it“ die am Boden gefesselte Künstlerin umzingeln.

Zum Glück fehlte es den Feministinnen nicht an (Galgen-)Humor. Der spricht aus Lieselott Beschorners ausgestopften Strümpfen ebenso wie aus den übermalten Schnullern von Renate Bertlmann oder aus Friederike Pezolds Busenballet in „Brustwerk“. Höchste Zeit auch, dass die von der Privatsammlung Verbund wiederentdeckte Auguste Kronheim, Jahrgang 1937, zu musealen Würden kommt. Ihre Holzschnittzyklen „Frau und Mutter“ (1970) und „Morgen bist Du Hausfrau“ (1978/79) erinnern auf den ersten Blick an alte Grafiken. Wie böse Kronheim darin Motive von Geburt und Weiblichkeit mit einem patriarchalen Pandämonium verknüpft, lohnt schon alleine den Besuch der Albertina modern.