Präsidentin der EU-Kommission Ursula Von Der Leyen
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750-Milliarden-Programm

Brüssels Plan für den Wiederaufbau

Die EU-Kommission schlägt einen Wiederaufbaufonds in Höhe von 750 Milliarden Euro vor. Diese Zahl gab EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch in Brüssel bekannt – der Großteil davon nicht als Kredite, sondern in Form von Zuwendungen. Parallel dazu sieht die EU-Behörde angesichts der Coronavirus-Krise für die Jahre 2021 bis 2027 ein EU-Budget in Höhe von 1,1 Billionen Euro vor.

Der Wiederaufbauplan verwandle die Herausforderungen der Krise in eine Chance, sagte von der Leyen. „Dies ist Europas Moment.“ Insgesamt soll damit der EU eine „Feuerkraft“ von 1,85 Billionen Euro zur Verfügung stehen, um den Motor der europäischen Wirtschaft wieder anzuwerfen.

Von den 750 Milliarden Euro sollen 500 Milliarden als nicht rückzahlbare Zuwendungen und 250 Milliarden als Kredite fließen, wie die EU-Kommission am Mittwoch in Brüssel mitteilte. Mehr als 300 Milliarden Euro sind allein für die Krisenländer Italien und Spanien reserviert. Finanziert werden soll das Programm über Schulden im Namen der Europäischen Union. Diese würden dann zwischen 2028 und 2058 über den EU-Haushalt getilgt werden.

Damit fällt von der Leyens Vorschlag noch deutlich größer aus als die deutsch-französische Initiative für ein 500-Milliarden-Euro-Paket. Daneben will von der Leyen einen regulären mehrjährigen Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 im Umfang von 1,1 Billionen Euro vorschlagen. Die 27 EU-Staaten müssten dem Gesamtpaket einstimmig zustimmen.

Schulden gemeinsam zurückzuzahlen

Mit dem Wiederaufbauplan soll die schlimmste Rezession in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg bewältigt werden. Wegen des zeitweiligen Stillstands während der Coronavirus-Pandemie wird die Wirtschaft in der EU nach einer offiziellen Prognose dieses Jahr um 7,4 Prozent schrumpfen. Einige Länder wie Italien, Spanien und Griechenland sind besonders hart getroffen. Die EU-Staaten haben bereits ein gemeinsames Sicherheitsnetz mit Kredithilfen von bis zu 540 Milliarden Euro gespannt.

Brüssels Plan für den Wiederaufbau

Nach monatelangem Zwist hat die EU-Kommission am Mittwoch ihren Vorschlag für den Haushalt für die kommenden sieben Jahre vorgestellt. Sie will im Kampf gegen die Coronavirus-Krise knapp zwei Billionen Euro einsetzen.

Das Programm zur wirtschaftlichen Erholung im Rahmen des Haushaltsplans ist der nächste Schritt. Das Neue: Die über Kredite finanzierten Mittel sollen überwiegend als Zuwendungen an die EU-Staaten vergeben werden, die nicht die Empfänger, sondern alle gemeinsam zurückzahlen.

Nach einer internen Aufstellung der EU-Kommission sind allein knapp 173 Milliarden Euro als Zuwendungen und Kredite für Italien reserviert. Spanien könnte bis zu 140 Milliarden Euro bekommen. Zum Vergleich: Für Deutschland sind bis zu 28,8 Milliarden Euro vorgesehen, ausschließlich als Zuwendungen. Für Frankreich wären es knapp 39 Milliarden Euro, ebenfalls komplett als Zuwendungen.

Brüssel orientiert sich am deutsch-französischen Vorschlag

Vorige Woche hatten Deutschland und Frankreich vorgeschlagen, die EU-Kommission solle mit Hilfe von Garantien der EU-Staaten 500 Milliarden Euro Kredit aufnehmen und als Zuwendungen an Krisenstaaten und -branchen vergeben. Von der Leyens Wiederaufbauplan ähnelt dem deutsch-französischen Konzept.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel während einer Videokonferenz mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron
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Merkel und Macron schlugen eine Summe von 500 Mrd. Euro vor – Brüssel will noch mehr Geld in die Hand nehmen

Auch die Kommissionspräsidentin will das Programm mit Krediten finanzieren. Dafür sollen die EU-Staaten mit Beitragszusagen zum Haushalt garantieren. Die Eigenmittelobergrenze soll drastisch erhöht werden. Die Schulden sollen über Jahrzehnte aus dem EU-Budget abgestottert werden. Dabei sollen nach dem Willen der EU-Kommission neue eigene Einnahmen für die EU aus Steuern und Abgaben helfen. Im Gespräch ist eine Ausweitung des Europäischen Emissionshandels sowie eine Digitalsteuer oder eine Plastikabgabe.

Österreich und drei Staaten mit Gegenentwurf

Dass aus Krediten stammendes Geld als Zuwendung und nicht nur als rückzahlbares Darlehen an Krisenstaaten fließen soll, stößt bei einigen EU-Ländern auf Widerstand. Österreich, die Niederlande, Schweden und Dänemark haben gemeinsam Einspruch erhoben und am Wochenende einen gemeinsamen Gegenentwurf vorgelegt.

Bundeskanzler Sebastian Kurz, Schwedens Ministerpräsident Stefan Löfven, der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte und Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen im Gespräch mit dem Präsidenten des Europäischen Rates Charles Michel und der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen
Reuters/Virginia Mayo
Kanzler Sebastian Kurz, der niederländische Premier Mark Rutte, Schwedens Regierungschef Stefan Löfven, Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen (v. l.) mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel: Die vier Länder wollen die Nothilfe befristen

Die Hilfe soll nach den Vorstellungen der Staaten, die sich selbst als die „sparsamen vier“ bezeichnen, strikt zweckgerichtet verwendet werden: „Das Geld muss für den Wiederaufbau und die Widerstandsfähigkeit des Gesundheitssektors und der Wirtschaft eingesetzt werden“, hieß es in Hinblick auf das Papier im Bundeskanzleramt. Als Bereiche zur Förderung werden auch Forschung und Innovation und der „grüne Übergang“ im Einklang mit den EU-Klima-, Wachstums- und Digitalzielen genannt.

Das zweiseitige Positionspapier der vier Nettozahlerländer lässt die Gesamtsumme der Coronavirus-Nothilfen offen. Betont werden auch die Rechtsstaatlichkeit und der Schutz vor Betrug. Der temporäre Charakter sollte nach dem Willen der vier Nettozahler durch eine ausdrückliche Verfallsklausel gewährleistet sein, damit die Nothilfen für zwei Jahren befristet bleiben.

Italien sieht „sehr gutes Signal“

Der italienische Premier Giuseppe Conte begrüßte den Wiederaufbauplan der EU-Kommission mit dem 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds. „Sehr gute Signale aus Brüssel. Die EU geht in die Richtung, die Italien gezeigt hat“, kommentierte Conte auf Facebook. „Wir sind als Visionäre bezeichnet worden, weil wir von Anfang an daran geglaubt worden. Jetzt müssen wir die Verhandlungen beschleunigen und die Ressourcen lockermachen“, so Conte.

Spaniens Regierung begrüßte den Vorschlag als „gute Verhandlungsbasis“. Madrid sei zuversichtlich, dass EU-Ratspräsident Charles Michel Konsultationen mit den EU-Mitgliedsländern aufnehme, um „so bald wie möglich eine Einigung zu erzielen“.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron begrüßte die Pläne ebenfalls. Auf Twitter sprach der Staatschef von einem „essenziellen Tag für Europa“. „Das deutsch-französische Abkommen hat diesen Fortschritt ermöglicht. Wir müssen schnell handeln und ein ehrgeiziges Abkommen mit allen unseren europäischen Partnern verabschieden“, so Macron weiter. Zustimmung zum Plan der Kommission kam weiters auch von den großen Fraktionen im Europaparlament.

Kurz: „Startpunkt für Verhandlungen“

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sieht im Vorschlag der EU-Kommission einen „Startpunkt für die Verhandlungen“. „Positiv ist anzumerken, dass die Zahlungen aus dem Wiederaufbaufonds zeitlich befristet sein sollen und sichergestellt ist, dass es dadurch keinen Einstieg in eine dauerhafte Schuldenunion gibt“, sagte Kurz am Mittwoch.

„Was noch verhandelt werden muss, das ist die Höhe sowie das Verhältnis zwischen Zuschüssen und Krediten“, so Kurz in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber der APA weiter. Laut dem Plan der EU-Kommission sollen zwei Drittel der Hilfen als Subventionen und ein Drittel als rückzahlbare Kredite gewährt werden.

„Es ist naheliegend, dass die Südländer möglichst viel einfordern, dass die Visegrad-Staaten darauf schauen, dass Geld auch in den Osten Europas fließt. Genauso gibt es die Länder, die zahlen müssen, wie die Niederlande, die Schweden, die Dänen und wir. Wir sprechen uns daher aus Verantwortung gegenüber unseren Steuerzahlern klar für Kredite aus“, so Kurz.

Niederlande: Vorschlag nicht konsensfähig

Auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel erwartet langwierige Diskussionen über das Wiederaufbauprogramm. „Dass das jetzt noch schwierige Verhandlungen werden, ist klar“, sagte sie. „Die werden auf dem nächsten EU-Rat nicht abgeschlossen werden.“ Der nächste EU-Gipfel ist für den 18. und 19. Juni angesetzt. Ziel müsse es sein, „dass wir im Herbst genügend Zeit finden für die nationalen Parlamente und für das europäische Parlament, die Dinge zu beraten“, sodass das Wiederaufbauprogramm zum Jahreswechsel in Kraft treten könne, sagte Merkel. Daran wolle Deutschland während seiner EU-Ratspräsidentschaft mitwirken. Diese beginnt am 1. Juli und dauert bis zum Jahresende.

Die Niederlande sehen den EU-Vorschlag dagegen als nicht konsensfähig unter den Mitgliedsstaaten an. „Die Positionen liegen weit auseinander“, sagte ein niederländischer Diplomat in Brüssel. Es sei schwer vorstellbar, dass der Vorschlag am Ende der Verhandlungen so angenommen werde. „Die Verhandlungen werden Zeit brauchen“, sagte er. Der Kommissionsvorschlag müsse detailliert analysiert werden, so der Diplomat. Er verwies darauf, dass die Niederlande klargemacht hatten, dass sie es ablehnen, dass gemeinsam aufgenommene Gelder als nicht zurückzahlbare Zuschüsse vergeben werden.

Kommission will weiter Rabatte gewähren

Die EU-Kommission will einzelnen EU-Ländern weiterhin Rabatte im EU-Budget gewähren. In der derzeitigen Situation würde ein Auslaufen der Rabatte in der Periode 2021 bis 2027 zu einem „unverhältnismäßigen Anstieg der Beiträge für bestimmte Mitgliedstaaten führen“, erklärte die EU-Kommission.

Um das zu verhindern, sollten die Rabatte länger als bisher verlängert werden. Ursprünglich wollte die EU-Kommission die Beitragsrabatte mit dem Wegfall des Rabatts der Briten im Zuge des Brexit ganz auslaufen lassen. Die Beibehaltung eines Beitragsrabatts entspricht einer Forderung der österreichischen Bundesregierung.