Frauen mit leeren Wasserflaschen
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Beispiel Indien

Hitzewelle Vorbote von heiklem Sommer

Eine schwere Hitzewelle hat diese Woche Indien überzogen. In manchen Gegenden zeigte das Thermometer über 50 Grad Celsius. Zu Beginn des Wochenendes ließ die Hitze etwas nach. Das heiße Wetter zeigte aber deutlich, welche zusätzlichen Herausforderungen extreme Temperaturen in Zeiten einer Pandemie mit sich bringen – und das nicht nur in Indien.

Längerfristige Wettervorhersagen sind immer eine schwierige Angelegenheit. Das weiß man auch bei der Weltorganisation für Meteorologie (WMO). Dennoch gab die Sonderorganisaiton der Vereinten Nationen diese Woche eine deutliche Prognose ab: Dieses Jahr sei mit „einer weiteren Rekordhitzesaison auf der nördlichen Erdhalbkugel“ zu rechnen. Schon in den Anfangsmonaten des Jahres deute alles darauf hin, dass 2020 eines der heißesten Jahre seit Beginn der Messungen werde, sagte WMO-Sprecherin Clare Nullis Kapp in Genf.

Mit der Warnung ging ein eindringlicher Appell einher: Städte und Gemeinden müssten sich jetzt vorbereiten, um Menschen zu schützen – auch wenn die Coronavirus-Pandemie das komplizierter mache. In anderen Jahren sei Menschen in überhitzten Wohnungen empfohlen worden, zum Beispiel gekühlte Einkaufszentren aufzusuchen. Nachbarn wurden aufgefordert, Alleinlebende und möglicherweise Gefährdete regelmäßig zu besuchen. Dagegen sprächen nun viele Coronavirus-Ratschläge, so die WMO. Zudem könnten sich Krankenhäuser weniger gut auf Patienten mit Hitzschlag einstellen, weil sie Coronavirus-Patienten behandeln müssen.

Hitze legte sich über das Land

Die Kombination aus Pandemie und Hitze bekam diese Woche bereits Indien zu spüren. Als ob das Coronavirus nicht genug wäre, kämpfte das Land mit sengenden Temperaturen. In der Hauptstadt Neu-Delhi stiegen die Temperaturen Mitte der Woche auf 47,6 Grad Celsius. Damit verzeichnete die Metropole laut der nationalen Wetterbehörde den heißesten Mai-Tag seit 18 Jahren. Im Wüstenbundesstaat Rajasthan zeigte das Thermometer sogar 50 Grad Celsius. Dazu kam die schlimmste Heuschreckenplage seit Jahrzehnten.

Mann verkauft Ventilatoren
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Mundschutz und Hitze können eine unangenehme Kombination sein

Mit ausgelöst hatte die Hitzewelle der Zyklon „Amphan“. Das gewaltige Sturmtief zog Mitte Mai über den – ungewöhnlich warmen – Golf von Bengalen. Der Sturm saugte dabei feuchte Luft aus große Teilen des Subkontinents regelrecht ab. Zurück blieben trockene, heiße Winde – und Temperaturen deutlich jenseits der 40 Grad Celsius.

Die extremen Temperaturen erreichten Indien zu einem Zeitpunkt, als das öffentliche Leben nach wochenlangen harten Einschränkungen schrittweise wieder in die Gänge kommen sollte. Anfang Mai wurde die strenge Ausgangssperre teilweise gelockert. Für Ende Mai hatte die Regierung weitere Erleichterungen in Aussicht gestellt. Doch die hohen Temperaturen drohen die Herausforderungen bei der Eindämmung des Virus weiter zu verschärfen.

Warnung vor vielen Hitzetoten

Mediziner warnten bereits davor, dass die Hitze mehr Menschenleben fordern könnte als die Pandemie. „Wenn wir die Sterblichkeitsraten in der Vergangenheit betrachten, werden mehr Menschen in der Hitzewelle sterben als am Coronavirus“, sagte etwa Dileep Mavalankar, Direktor des indischen Instituts für öffentliche Gesundheit in Gandhinagar, gegenüber dem britischen „Telegraph“.

Feuerwehr spritzt Wasser in Bäume damit Flughunde nicht verdursten
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Auf dem Unicampus in der Millionenstadt Ahmedabad verschaffen Feuerwehrleute Flughunden eine Abkühlung

Laut Malavankar war in Indien bereits in der Vergangenheit ein Großteil der hitzebedingten Todesfälle unerkannt geblieben. Denn nur rund ein Viertel aller Todesfälle in dem Land werde auch medizinisch bestätigt, so der Mediziner. Nach den offiziellen Zahlen kamen in den vergangenen fünf Jahren in Indien rund 3.500 Menschen durch Hitzewellen ums Leben.

Gefährliche Ausnahmesituation

In Zusammenhang mit den derzeitigen Extremtemperaturen meldete Indien noch keine Todesopfer. Doch für viele Menschen ist in in der aktuellen Situation die Gefahr noch größer als üblich. Zuvorderst gilt das für viele der Millionen Wanderarbeiter, die sich nach Beginn der Ausgangsbeschränkungen Ende März auf den Weg nach Hause machten. Eine große Zahl versuchte die oft Hunderten Kilometer zu Fuß zurückzulegen – ohne Unterkunft und oft auch ohne Wasser. Zwar setzte die Regierung Sonderzüge und Busse ein, um die Menschen nach Hause zu bringen. Viele von ihnen sind aber immer noch unterwegs beziehungsweise auf halbem Weg gestrandet.

Menschen stellen sich mit Kanisters für Wasser an
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Viele Inderinnen und Inder müssen sich um Wasser anstellen

Teile Indiens leiden überdies unter chronischer Wasserknappheit, Millionen Menschen haben keinen Zugang zu fließendem Wasser. In Neu-Delhi und anderen Städten kommt es regelmäßig zu einem Handgemenge, wenn Tanklaster frisches Trinkwasser liefern. Auch besitzen in Indien nur sehr wenige eine Klimaanlage. Die heißen und stickigen Wohnungen sollen aber aufgrund der Pandemie nur im Ausnahmefall verlassen werden. Das könne dazu führen, dass noch mehr Menschen einen Hitzschlag erleiden würden, so Mavalankar.

Überforderte Krankenhäuser

Dazu kommt, dass Indiens Krankenhäuser bereits mit der Behandlung von Covid-19-Patienten gefordert – bisweilen auch überfordert – sind. Für die Versorgung von Menschen mit akuten Herz-Kreislauf-Problemen oder anderen von der Hitze hervorgerufenen Erkrankungen könnten die Kapazitäten fehlen, so die Befürchtungen.

„In diesem Jahr sind die Gesundheitssysteme nach Covid-19 schlechter als in anderen Jahren auf Hitzschläge und andere saisonale Probleme vorbereitet“, sagte Yogesh Jain laut „Telegrahph“. Der Experte für öffentliche Gesundheit in ländlichen Gebieten rechnet mit mehr Toten aufgrund hitzebedingter Erkrankungen – „als Kollateralschaden durch Covid-19“. Die Hitze in Indien könnte auch noch im Juni andauern. Die heißesten Monate in dem Land sind üblicherweise April, Mai und Juni. Danach bringt der Monsun tiefere Temperaturen.