Menschen auf Straße in Dakar, Senegal
APA/AFP/John Wessels
Coronavirus

„Andere Richtung“ in Afrika

In Afrika scheint die Coronavirus-Pandemie eine „andere Richtung“ einzuschlagen. Diese offizielle Stellungnahme der Regionalstelle der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Afrika vor einigen Tagen überraschte. Denn vor Wochen wurde der Kontinent als „tickende Zeitbombe“ bezeichnet, Forscher skizzierten ein Horrorszenario mit Millionen Toten. Doch bisher blieb das aus. Das hat mehrere Gründe.

Bisher seien dem Kontinent mit knapp 1,3 Milliarden Menschen die hohen Todeszahlen erspart geblieben, sagte Matshidiso Moeti, WHO-Regionaldirektorin. Einer ersten Analyse zufolge könnte das mit der demografischen Struktur des Kontinents zu tun haben. Mehr als 60 Prozent aller Afrikaner und Afrikanerinnen sind jünger als 25 Jahre, sie gehören also nicht zur Risikogruppe. Die Bevölkerung in der EU ist beispielsweise nicht so jung. Ältere Menschen tragen aber ein höheres Risiko, nach einer Infektion ernsthaft zu erkranken und zu sterben.

Die Afrikanische Zentren für Krankheitsbekämpfung und Schutzmaßnahmen (Africa CDC) zählen drei Monate nach dem ersten bestätigten Fall auf dem Kontinent derzeit 125.000 Infektionen, knapp 52.000 Genesungen und fast 3.700 Tote. Als die WHO 100.000 Coronavirus-Fälle in Europa gemeldet hatte, gab es dort 4.900 Tote. In Afrika wurden nach 100.000 Infektionen rund 3.100 Todesfälle in Verbindung mit der Lungenkrankheit Covid-19 gemeldet. Mittlerweile wurden in allen Ländern Afrikas Infektionen registriert.

Angst vor großer Welle

Die meisten bestätigten Fälle gibt es in Südafrika, die meisten Todesfälle in Verbindung mit Covid-19 in Ägypten, wie Africa CDC meldete. Den Norden, wo auch der erste Infizierte auf dem Kontinent registriert wurde, hat es auch härter getroffen als etwa den Westen, wo es noch relativ wenig bestätigte Fälle gibt. In vielen Ländern gab es auch erst vor einer Woche Meldungen über Infizierte. „Es ist möglich, dass sich unsere Jugendlichkeit auszahlt und zu weniger Todesfällen führt“, sagte Moeti.

Grafik zeigt Daten zum Coronavirus in Afrika
Grafik: ORF.at; Quelle: Africa CDC

Die Wucht des Coronavirus hat den Kontinent noch nicht in dem Ausmaß erfasst, wie von vielen erwartet wurde. Allerdings dürften sich die afrikanischen Staaten nicht in Selbstzufriedenheit wiegen lassen. Die große Angst bestehe nämlich darin, dass die Gesundheitssysteme in einzelnen Staaten zu fragil seien und man plötzlich auch ein geringe Zunahme von Infektionen nicht mehr bewältigen könnte.

Am Mittwoch wurden zudem erstmals über 5.000 Neuinfektionen pro Tag gemeldet. Von den 5.279 positiv getesteten Personen entfiel fast ein Drittel (1.673) auf Südafrika. Ein Vorfall in Malawi schüre außerdem Angst vor einer schnelleren Ausbreitung: 400 Menschen sind laut den Behörden aus einem Isolationszentrum ausgebrochen. Sie mussten auf ihre Testergebnisse warten, klagten aber über schlechte Bedingungen im Zentrum. Malawi meldete insgesamt 101 Coronavirus-Fälle.

Zu wenige Tests in Afrika

Bei den Zahlen der Infizierten, Genesenen und Toten handelt sich freilich um offizielle Angaben. Die Dunkelziffer könnte – wie auch auf allen anderen Kontinenten – um ein Vielfaches höher sein. Unter den Gesundheitsbehörden herrsche laut BBC etwa Konsens darüber, dass die Testraten zu niedrig sind. Laut einer Auswertung der Johns-Hopkins-Universität breitet sich das Coronavirus in Afrika langsamer aus als auf anderen Kontinenten. Das könnte aber auch an den wenigen durchgeführten Tests liegen, die die Ausbreitung in den afrikanischen Ländern verzerren.

Menschenschlange vor Essensausgabe in Laudium, Südafrika
AP/Themba Hadebe
In Südafrika gibt es derzeit die meisten CoV-Fälle auf dem Kontinent, aber auch die meisten Tests pro 1.000 Einwohnerinnen

Die Regierung handelten nach den ersten Meldungen, dass das Virus auch außerhalb Chinas entdeckt wurde, schneller als in anderen Regionen. In unterschiedlichem Ausmaß stellten die Länder das öffentliche Leben ein – wo es eben möglich war. Südafrika, Kamerun und Teile Nigerias hatten etwa sofort Kampagnen gestartet, in denen Menschen zuerst untersucht wurden, um mögliche Fälle für Tests zu identifizieren. Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa warnte allerdings: „Bevor es besser wird, wird es schlimmer.“

Andere Länder konnten die Zahl der Infektionen gering halten. Die Seychellen meldeten zuletzt Anfang April einen Fall, und die elf bisher bestätigten Coronavirus-Fälle haben sich mittlerweile erholt. Namibia hatte seit mehr als einem Monat keinen Fall mehr, bis zwei Frauen am 21. Mai positiv getestet wurden. Sie befanden sich nach ihrer Ankunft aus dem benachbarten Südafrika in Quarantäne. Auf Mauritius wurden zwei Personen, die aus Indien kamen, positiv getestet – laut BBC die ersten neuen Fälle seit mehr als einem Monat.

Kein Andrang in Krankenhäuser

Die Teststrategien in den Ländern ist unterschiedlich. Südafrika testet am meisten, auch kleinere, wohlhabendere Staaten wie Mauritius haben bereits viele Tests durchgeführt. Am 12. Mai gab die Regierung bekannt, dass mehr als 73.500 Personen getestet wurden, das sind 61 Tests pro 1.000 Einwohner bzw. Einwohnerinnen. Weniger wohlhabende Länder und Länder mit anhaltenden Konflikten haben am wenigsten getestet.

Leere Isolationstation in Machakos, Kenia
Reuters/Baz Ratner
In Kenia ist die Isolationsstation leer. Das Land führt vergleichsweise wenige Tests durch.

Der Tschad führte laut International Rescue Committee (IRC) 0,1 Tests für 1.000 Personen und Mali 0,17 für 1.000 Personen durch. Auch in Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Land und einem der reichsten Länder des Kontinents, pendelt sich die Testrate zwischen 0,1 und 0,3 pro 1.000 Einwohnerinnen und Einwohner ein. Nigeria habe sich verstärkt auf die Cluster konzentriert statt auf Massentests, heißt es. In Tansania wurden Tests ganz eingestellt, weil laut Präsident John Magufuli diese nur zu Panik führten.

Überrascht zeigten sich Fachleute, dass bisher auch der Andrang in den Krankenhäusern ausgeblieben ist. Das bestätigte Mitte Mai John Nkengasong, Direktor des African CDC. Die Krankenhäuser wären von Patienten und Patientinnen überflutet worden, wenn ein Großteil der Infektionen nicht erfasst würde. Es ist aber nicht auszuschließen, dass Gesundheitssysteme Coronavirus-Fälle übersehen. Aufgrund der teils unzureichenden Infrastruktur hat auch nicht jede Person Zugang zu einem Krankenhaus.

„Hinten in der Warteschlange“

Ein Problem sei aber, dass es in manchen Staaten an medizinischen Materialien fehlt, um überhaupt testen zu können. Das sagte jedenfalls der renommierte Mediziner Robin Wood vom Desmond Tutu HIV-Zentrum in Südafrika bereits in April. „Der Westen hat die meisten Materialien für die Tests gekauft …, und wir stehen weiter hinten in der Warteschlange und fragen nach ihnen“, sagte er gegenüber BBC.

Schulkinder an der Elfenbeinküste stellen sich mit Sicherheitsabstand vor Schule an
Reuters/Luc Gnago
Auch für Kinder wurde der Sicherheitsabstand in Schulen verordnet

Außerdem sei die ganze Welt mit dem Virus beschäftigt, was auch dazu geführt habe, dass Hilfsleistungen für Afrika eingestellt wurden. Zwar hätten chinesische Unternehmen den Kontinent mit medizinischer Ausrüstung unterstützt. Für Wood ist aber wesentlich: Der beste Weg für Afrika bestehe darin, selbst Innovationen zu entwickeln, anstatt sich auf Hilfe von außen zu verlassen. Allerdings sei ein Problem, so fürchten Hilfsorganisationen, dass die Ausgangsbeschränkungen zu einigen Kollateralschäden führen könnte.

In vielen afrikanischen Ländern würden durch die weitreichenden „Lock-downs“ etwa Routineimpfungen für Kinder ausfallen. Die direkten Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie würde zu einem Anstieg von anderen Infektionskrankheiten führen. 117 Millionen Kinder in 24 Ländern, der Großteil davon in Afrika, könnten ihre Masernimpfungen nicht erhalten, so die WHO. Auch der Kampf gegen Aids und Tuberkulose wurde teilweise eingestellt. Dass die Lebensmittelpreise zuletzt gestiegen sind, werde zudem die Zahl der hungernden Menschen erhöhen.

„Tendenz zu autoritärer Machtanhäufung“

Auf politischer Ebene könnte die Pandemie in Afrika zur Entstehung von mehr Diktaturen führen. In mehreren afrikanischen Ländern, etwa Uganda, Mali, der Elfenbeinküste und Tansania, gebe es „eine zunehmende Tendenz zu autoritärer Machtanhäufung“, zitierte das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) am Freitag aus einer Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung.

„Mit Rückschritten im Bereich von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit ist im Zuge dieser Entwicklungen zu rechnen“, warnen die Autoren. Parlamente würden ausgeschaltet, Medien unterdrückt und Wahlen verschoben. Gleichzeitig gebe es weitreichende Ermächtigungen für Polizei und Militär, die bereits zu unverhältnismäßiger Gewaltanwendung etwa in Kenia und Südafrika geführt hätten.

Gewalt gegen Einwohner

In Tansania etwa wird Präsident John Magufuli zunehmend für seinen Umgang mit der Pandemie kritisiert. Er hat im Vergleich zu anderen Ländern kaum Maßnahmen verhängt und unter anderem die Ergebnisse des nationalen Labors öffentlich infrage gestellt. Bereits vor der Krise hatten ihm Menschenrechtler eine zunehmende Unterdrückung von Medien und Zivilgesellschaft vorgeworfen. In anderen Ländern kam es im Zuge der Krise zu Gewalt gegen Einwohner. In Kenia etwa tötete die Polizei während der ersten Tage einer Ausgangssperre laut Human Rights Watch mindestens sechs Menschen.