Plastikflaschen im Supermarkt
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Plastikverpackungen

Recycling wird zur Gretchenfrage

Am Dienstag lädt das Klimaschutzministerium zu einem runden Tisch. Zentrales – und heiß diskutiertes – Thema wird die mögliche Einführung eines Pfands auf Einwegflaschen aus Plastik sein. Dabei ist die Pfandfrage nur die Spitze eines Eisbergs, der beim Thema Plastik und Recycling weit in die Tiefe reicht.

Gut möglich, dass es am Dienstag im Klimaschutzministerium lauter wird. Am Vormittag findet im Haus nahe der Wiener Urania ein runder Tisch zum Thema Kunststoffgetränkeverpackungen – vulgo Plastikflaschen – statt. Rund 40 Vertreterinnen und Vertreter aus der Zivilgesellschaft, der Politik, des Handels, der Entsorgungswirtschaft und der Wissenschaft werden an dem Treffen teilnehmen. Sie sollen über „Möglichkeiten zur Vermeidung von Plastikmüll und zur Erreichung der EU-Plastiksammelziele“ diskutieren, so die offizielle Wortwahl des Ministeriums.

Konkret wird sich die Diskussion aber vor allem um eines drehen: die mögliche Einführung eines Pfands auf Einwegflaschen. In neun Jahren sollen zumindest 90 Prozent der Getränkeflaschen aus Kunststoff nicht im Restmüll oder im Straßengraben landen – sondern für das Recycling gesammelt werden. Auf dieses Ziel haben sich die EU-Staaten in der Single-Plastic-Use-Richtlinie geeinigt. Für das Erreichen der Vorgabe fehlt Österreich aber noch ein gutes Stück. Die Sammelquote für Getränkeflaschen liegt zurzeit bei rund 70 Prozent.

Plastikverpackung und Plastikmüll
ORF.at/Dominique Hammer
Getränkeflaschen aus Einwegplastik werden zurzeit in Österreich gemeinsam mit anderem Kunststoffmüll gesammelt

Noch unter Ressortchefin Elisabeth Köstinger (ÖVP) gab das Umweltministerium deshalb eine Studie in Auftrag. Als das Papier heuer Ende Jänner präsentiert wurde, stand dem – inzwischen zum Klimaschutzministerium angewachsenen – Ressort bereits Leonore Gewessler (Grüne) vor. Und die ehemalige Global-2000-Geschäftsführerin nahm das Ergebnis vermutlich wohlwollender auf als ihre Vorgängerin. Denn die Autorinnen und Autoren kamen zu dem Schluss: Ein Pfandsystem sei die geeignetste Möglichkeit, um die EU-Vorgaben zu erfüllen.

Kritik von ARA – und an ARA

Umweltorganisationen aber auch Teile der Abfallwirtschaft, wie etwa die österreichischen Abfallwirtschaftsverbände, sahen sich dadurch bestätigt. Wirtschaftskammer und Handel warnten hingegen umgehend vor hohen Kosten und Mehraufwand. Aber auch die Altstoff Recycling Austria (ARA) tritt seit jeher als dezidierter Gegner eines Pfandsystems auf. Kritiker wie die Umwelt-NGO Global 2000 werfen Österreichs größtem Sammel- und Verwertungsunternehmen dabei vor allem wirtschaftliche Eigeninteressen vor. Bisher hat die ARA die Sammlung und Verwertung eines Großteils der PET-Flaschen über. Das könnte sich durch ein Einwegpfandsystem ändern.

Aus Restmüll sammeln?

Die ARA, aber auch Wirtschaftskammer und Handel plädieren für ein System, bei dem zusätzlich zur getrennten Sammlung Flaschen aus dem Restmüll sortiert werden. Ob das laut der Richtlinie überhaupt erlaubt ist, muss die EU-Kommission aber erst entscheiden.

Die ARA selbst argumentiert damit, dass ein Pfandsystem negative Folgen für die restliche Kunststoffsammlung hätte. Andere Plastikverpackungen würden dann weniger stark getrennt werden, so die vorgebrachte Befürchtung. Die ARA verweist dabei immer wieder auf die Recyclingquote. Die liegt für Kunststoffverpackungen in Österreich derzeit bei knapp über einem Viertel. Laut den – diesmal im Kreislaufwirtschaftspaket der EU festgeschriebenen – Vorgaben müssen daraus in den kommenden zehn Jahren 55 Prozent werden.

„Wir sind auf der Suche nach 90.000 Tonnen Steigerung im Bereich des Recyclings von Kunststoffverpackungen, um die EU-Ziele zu erreichen. PET-Flaschen bringen neun Prozent davon“, ließ ARA-Vorstand Werner Knausz vor wenigen Tagen per Aussendung ausrichten. „Die Beschäftigung mit Einzelthemen darf nicht den Blick auf das Gesamtbild Kreislaufwirtschaft verstellen“, so Knausz.

Herausforderung für alle EU-Länder

Den Verweis auf die Recyclingquote kann grundsätzlich auch Walter Hauer nachvollziehen – immerhin Hauptautor der Studie zum Einwegpfand, die seit Ende Jänner für Aufregung sorgt. Die Steigerung der Quote auf das Doppelte sei eine enorme Herausforderung, sagt er gegenüber ORF.at. Das gelte nicht nur für Österreich. „Die EU hat sich die Latte hoch gelegt. Alle Mitgliedsländer müssen sich anstrengen“, so der Umwelttechniker, der bei der Studie mit Forschern für Abfallwirtschaft an der Montanuniversität Leoben und der Uniuversität für Bodenkultur (BOKU) Wien zusammengearbeitet hat.

Eine Flaschensammlung per Pfandsystem würde laut Hauer aber den EU-Vorgaben zu den Recyclingquoten nicht entgegenlaufen. „PET-Flaschen liefern einen wesentlichen Beitrag zum Recyclingziel“, sagt er. Und die Anlagen, in denen zurzeit die Flaschen aus dem restlichen Kunststoffmüll aussortiert werden, hätten dann Platz, um auch andere Kunststoffverpackungen zu erfassen.

Aus technologischer Sicht hält der Umwelttechniker die Recyclingquote für problemlos steigerbar. Allerdings bringe jedes Prozent mehr höhere Kosten mit sich. Es sei daher eine „legistische Herausforderung, den Übergang in die Wege zu leiten“. Mit anderen Worten: Die Politik muss die Vorgaben schaffen, nach denen sich dann die Wirtschaft richten kann. Laut Hauer beschränkt sich das aber nicht auf die Abfallwirtschaft. So müsste die Industrie Verpackungen eigentlich bereits seit 1997 möglichst „verwertungsgerecht“ gestalten. „Das hat man aber nicht so genau genommen“, sagt er.

Kritik am „Recyclingmythos“

Freilich ist Recycling innerhalb einer Kreislaufwirtschaft immer erst der letzte Schritt im Zyklus. Davor steht die möglichst häufige Wiederverwendung eines Produkts. Auf den Punkt machen auch Umweltorganisationen gerne aufmerksam – und fordern unter anderem den Ausbau von Mehrwegverpackungen. Greenpeace etwa sieht bei Einwegplastik überhaupt einen „Recyclingmythos“ und wirft der Getränke- und Kunststoffindustrie vor, dem Kunststoff ein „grünes Mäntelchen“ umzuhängen.

Die Umweltschutzorganisation weist zum Beispiel darauf hin, dass in Österreich nur rund ein Viertel aller weggeworfenen Getränkeflaschen wieder zu Flaschen verarbeitet wird. Das hat zum einen damit zu tun, dass – Stichwort Sammelquote – noch immer rund ein Drittel der Einwegflaschen im Restmüll landet und mit diesem verbrannt wird. Aber auch ein Teil der gesammelten Flaschen rutscht entweder in den Sortieranlagen durch oder eignet sich nicht mehr für das weitere Recycling. Sie landen ebenfalls in den Müllverbrennungsanlagen.

Plastikmüll im Entsorgungsbetrieb Brantner (Sortieranlage)
APA/Herbert Pfarrhofer
Der gesammelte Plastikmüll wird in eigenen Anlagen sortiert und entsprechend weiterverarbeitet – oder verbrannt

Von den Flaschen, die dann tatsächlich geschreddert und eingeschmolzen werden, wird wiederum nicht einmal die Hälfte zu neuen PET-Flaschen. Der Rest wird zu anderen Plastikprodukten verarbeitet. Vieles davon, wie etwa Verpackungsfolien für Lebensmittel lassen sich dann selbst am Ende ihres Lebenszyklus nicht mehr erneut aufbereiten und werden verbrannt.

Gefragter Rohstoff

Darüber hinaus geht die Produktion von recyceltem PET mit deutlichem Materialverlusten einher. Für eine Tonne recyceltes PET-Granulat braucht es fast eineinhalb Mal so viel Flaschenabfall. Das ist einer der Gründe, warum recyceltes PET teurer ist als neu produzierter Kunststoff. Zugleich sorgt aber auch die hohe Nachfrage nach dem Rohstoff für hohe Preise – und macht das Recycling zu einem guten Geschäft. Wenn auch die Coronavirus-Krise zurzeit für einen merklichen Dämpfer sorgt.

Bisher war die Nachfrage jedenfalls so groß, dass über ein Drittel des Mülls der hierzulande im Recycling wieder zu PET verarbeitet wurde, gar nicht aus Österreich kam. Ein Großteil der Importe wurde aus Italien eingeführt. Die Transportwege könnten teilweise aber noch deutlich weiter sein, sagt Greenpeace. Eine Schiffsladung PET-Müll, die im vergangenen Jahr zum Recycling in Österreich landete, ließ sich laut der NGO bis nach Taiwan nachverfolgen.

Mehr Mehrweg, weniger Plastikverpackung

„Recycling wird von der Industrie als Allheilmittel für den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen dargestellt“, sagt denn auch Lisa Panhuber, die bei Greenpeace Österreich für Konsumfragen zuständig ist. Viele Konzerne wollten weiterhin billige Plastikeinwegprodukte verkaufen. „Die Politik muss diesen Profitinteressen einen Riegel vorschieben und durchsetzen, dass Verpackungsmüll vermieden und Plastik wiederverwertet wird“, so Panhuber.

Lebensmittelhandel will Plastik vermeiden

Der Lebensmittelhandel versucht dem Plastik den Rücken zu kehren. Doch das ist nicht einfach, weil Kunststoff extrem weit verbreitet ist.

Grundsätzlich finden solche Forderungen auch im aktuellen Regierungsprogramm ihren Niederschlag – wenn auch in einer anderen Tonalität. „Verbindliche gesetzliche Rahmenbedingungen inklusive konkreter Ziele für den Ausbau von Mehrwegsystemen, insbesondere auch für Getränkeverpackungen“: das haben ÖVP und Grüne in ihrem Programm für die kommenden vier Jahre als Ziel definiert. Und auch eine „gesetzliche Verankerung des Reduktionsziels von Plastikverpackungen um 20 Prozent“, hat Eingang in das Regierungsprogramm gefunden. Das Einsparungsziel datiert dabei noch aus der Zeit vor der aktuellen Koalition. Ausgegeben wurde es bereits unter der ÖVP-FPÖ-Regierung.

Grenzen des mechanischen Recyclings

„Kunststoffabfälle sind sichtbarer Ausdruck eines mittlerweile dysfunktionalen Wirtschaftssystems.“ Dieser Satz stammt weder von der Sprecherin einer Umwelt-NGO noch einem ATTAC-Aktivisten – sondern von Reinhold Lang, Professor für Kunststofftechnik und Leiter des Institute of Polymeric Materials and Testing an der Linzer Johannes Kepler Universität. Der Wissenschaftler verteufelt nicht den Rohstoff an sich. Und er gibt im Gespräch mit ORF.at zu bedenken: Vielleicht sollte der kritische Blick öfters auf das verpackte Produkt als auf die Verpackung fallen.

Sehr wohl benennt der Uniprofessor aber die Grenzen des momentanen Systems – und verweist etwa auf eine Studie des Beratungsunternehmens denkstatt GmbH. Laut diesem ist das mechanische Recycling von Kunststoffen nur bis zu einer Quote von rund 50 Prozent ökologisch sinnvoll. „Ab dann kippt die Bilanz“, sagt Lang. Zwar könnte man einwenden, dass die Studie von der Plastikindustrie in Auftrag gegeben wurde. Aber die Zahlen seien belastbar, sagt Lang.

Andere Möglichkeiten

Das würde zum einen bedeuten, dass die Vorgaben, die sich die EU-Staaten im Hinblick auf das Plastikrecycling gesetzt haben, sehr ambitioniert sind. Zum anderen stellt sich die Frage, was den restlichen Kunststoffabfällen passiert, die sich aufgrund ihrer Beschaffenheit – grob gesagt – nicht einfach schreddern und wieder einschmelzen lassen.

„Sie müssen sich anschauen, welche Recyclingoptionen sind denkbar“, sagt Lang. Neben dem bisher beschrittenen Weg lässt sich Plastik auch chemisch aufbereiten. Dabei wird Kunststoff wieder auf seine molekularen Bausteine hinuntergebrochen. Das kann durch Lösungsmittel, hohe Temperaturen, aber auch auf biologischem Weg – etwa durch Enzyme – geschehen. Gemeinsam ist all diesen Verfahren aber, dass sie sich bisher wirtschaftlich nicht rechnen.

Blick über den Plastiktellerrand

Als dritte Option lasse sich Plastik auch thermisch-energetisch recyceln, sagt Lang. Das klingt erst einmal nach einer schönfärbenden Umschreibung für Verbrennen. Und so wie es momentan praktiziert wird, stimmt das auch. Wenn Plastikabfall in Fernheizkraftwerken oder in Anlagen der Chemie- oder Zementindustrie verbrannt wird, dann ist er dort zwar ein hochwertiger, aber eben immer noch fossiler Brennstoff. Und mit jeder Tonne Plastik, die verbrannt wird, gelangen mehr als zweieinhalb Mal so viel Tonnen CO2 in die Luft.

Betonwerk
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In der Zementproduktion wird bereits jetzt Plastikabfall als Brennstoff eingesetzt

Doch was wäre, wenn man das CO2, das dabei entsteht wieder auffangen würde? In der Zementindustrie zum Beispiel würde sich das besonders anbieten. Denn bei der Herstellung von Zement werden auch abseits der Verbrennung große Mengen an CO2 freigesetzt. Carbon Capture lautet der englische Fachbegriff dafür. In den Medien begegnet er meist noch mit dem Wort Storage hinten angehängt. Die Abtrennung und langfristige Speicherung von CO2 in unterirdischen Lagern ist eine heftig und kontrovers diskutierte Maßnahme im Kampf gegen den menschgemachten Klimawandel.

In dem Modell, das Lang (und nicht nur ihm) vorschwebt, wird das CO2 nicht gespeichert – zumindest nicht für lange Zeit. Vielmehr soll das Treibhausgas mithilfe von Wasserstoff wieder in Kohlenwasserstoffe umgewandelt werden – und damit zu den Bausteinen, aus denen sich dann wieder neues Plastik herstellen lässt. Wichtige Voraussetzung dafür ist freilich, dass der Wasserstoff mithilfe erneuerbarer Energien gewonnen wird.

Das wäre ein „moderner Gedanke“, sagt Lang; wenngleich auch einer, der zurzeit noch Zukunftsmusik ist. Doch genau um solche Ansätze werde es in Zukunft gehen: Eine „nachhaltige“ Kunststoffkreislaufwirtschaft müsse eben auch andere Aspekte berücksichtigen, zum Beispiel, dass unser Energiesystem auf Erneuerbare Energien umgestellt wird, so der Uniprofessor. Ein runder Tisch zum Thema Plastikabfall müsste dann wohl noch ein Stück größer ausfallen.