Demonstranten in Los Angeles
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Tod bei Polizeieinsatz

Proteste breiten sich quer über USA aus

In den USA breiten sich die Proteste nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einem Polizeieinsatz aus. Laut Medienberichten gingen zuletzt in mindestens 20 Städten Menschen auf die Straße. In Minneapolis, wo Floyd gestorben war, gab es Festnahmen, die Polizei setzte Gummigeschoße ein. Der Polizist, der den Tod des Afroamerikaners zu verantworten hat, steht unter Mordanklage.

In einigen Städten eskalierten die Proteste. Die „New York Times“ berichtete von Zusammenstößen mit Sicherheitskräften etwa in der texanischen Stadt Houston, von Autobahnblockaden durch Demonstrantinnen und Demonstranten in Los Angeles (Kalifornien) und brennenden Gebäuden in Minneapolis (Minnesota). Dort war es den vierten Abend bzw. die vierte Nacht in Folge zu Kundgebungen gegen rassistische Polizeigewalt gekommen.

Der US-TV-Sender CNN berichtete von zahlreichen Festnahmen in der Stadt am Mississippi, nachdem Demonstranten eine ab 20.00 Uhr geltende Ausgangssperre und Platzverweise ignoriert hätten. Die Polizei sei mit Hunderten Kräften „Straße um Straße“ in Richtung der Kundgebungen vorgerückt, hieß es bei CNN. Es habe eine Warnung gegeben, bevor Sicherheitskräfte schließlich Tränengas und Gummigeschoße eingesetzt hätten, um die Demonstrationen aufzulösen.

Minnesota berief am Samstag zusätzlich mehr als 1.000 Nationalgardisten als Verstärkung ein. Sie würden die 700 Soldaten unterstützen, die wegen der Proteste bereits im Einsatz seien, erklärte die Nationalgarde von Minnesota über Twitter. Es handle sich um den größten Einsatz der Einheit in ihrer 164-jährigen Geschichte.

„Ich bekomme keine Luft!“

Demonstrantinnen und Demonstranten – laut US-Medien schwarz wie weiß – hätten immer wieder den Satz „Ich bekomme keine Luft!“ bzw. „Ich kann nicht atmen!“ („I can’t breathe!“) skandiert. Das ist der Satz, der von Floyd in einem zuletzt publik gewordenen Video des Polizeieinsatzes zu hören gewesen war, als ein weißer Polizist auf seinem Hals bzw. Nacken kniete. Der 46-jährige Afroamerikaner war am Montag bei einem Polizeieinsatz in Minneapolis ums Leben gekommen.

Brennendes Polizeiauto in New York
AP/Khadijah
Brennendes Polizeiauto in New York

Die vier an dem Einsatz beteiligten Polizisten wurden entlassen. Einer von ihnen – jener Beamte, der sein Knie minutenlang an den Hals Floyds gedrückt hatte – wurde inzwischen wegen Mordes angeklagt, nachdem Haftbefehl gegen ihn erlassen worden war. Floyd hatte mehrfach um Hilfe gefleht, bevor er das Bewusstsein verlor, wie in dem Video festgehalten worden war. Er wurde in ein Krankenhaus gebracht und kurz darauf für tot erklärt.

Anklage wegen Mordes gegen Polizisten

In dem am Freitag veröffentlichten Haftbefehl für den Ex-Polizisten hieß es, dieser habe sein Knie insgesamt acht Minuten und 46 Sekunden auf den Nacken Floyds gedrückt. In den letzten zwei Minuten und 53 Sekunden habe dieser keine Lebenszeichen mehr gezeigt. Im Haftbefehl hieß es weiter, der Gerichtsmediziner gehe nach vorläufigen Erkenntnissen davon aus, dass Floyd nicht erstickt sei.

Demonstranten blockieren eine Autobahn in Los Angeles, California
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Feuerwerk auf einer blockierten Autobahn in Los Angeles

Der 46-Jährige habe unter anderen gesundheitlichen Problemen gelitten, die gemeinsam mit der Festsetzung und möglicherweise Rauschmitteln in seinem Blut vermutlich zu seinem Tod geführt hätten. Dem Ex-Polizisten werden Mord und Totschlag vorgeworfen. Ihm drohen nach den Gesetzen in Minnesota insgesamt bis zu 35 Jahre Haft. Die Untersuchungen gegen die drei anderen Polizisten dauern an.

Die Anwälte von Floyds Familie meldeten Zweifel an den Obduktionsergebnissen an und wollen eine eigene Untersuchung in Auftrag geben. Man habe bereits in anderen Fällen gesehen, dass Menschen, die mit den Behörden zusammenarbeiteten, Dinge präsentierten, die eine „Illusion“ seien. „All diese Dinge wie Asthma oder Herzprobleme spielen keine Rolle, solange sie (die Opfer) leben, atmen, gehen, reden. Alles ist in Ordnung – bis die Polizei sie anspricht.“

„Schmerz und Zorn quer durch Amerika“

In der Stadt Atlanta griffen Demonstranten das Hauptquartier von CNN an. Der Sender zeigte Livebilder aus der eigenen Zentrale, auf denen zu sehen war, wie von außerhalb Gegenstände auf Sicherheitskräfte im Eingangsbereich des Senders geworfen wurden. Die Behörden verhängten den Ausnahmezustand über die Stadt im Bundesstaat Georgia. Auch aus Louisville (Kentucky), Phoenix (Arizona), Denver (Colorado), Detroit (Michigan) und weiteren Städten wurden Proteste gemeldet. In Detroit wurde ein Demonstrant aus einem fahrenden Auto erschossen.

In den New Yorker Stadtteilen Manhattan und Brooklyn kam es ebenfalls zu Ausschreitungen. 200 Menschen wurden festgenommen. Auf beiden Seiten soll es Verletzte gegeben haben. Portland in Kalifornien verhängte aufgrund von Plünderungen und Brandstiftungen eine nächtliche Ausgangssperre.

Demonstranten auf dem CNN-Gelände in Atlanta, Georgia
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Das Hauptquartier von CNN in Atlanta wurde gestürmt

Vor dem Weißen Haus in Washington versammelten sich ebenfalls Demonstranten. Einige von ihnen stießen Barrikaden um. In Minneapolis berichtete die Polizei von Schüssen auf Sicherheitskräfte. Die Demonstrationen breiteten sich über das ganze Land aus, hieß es Samstagfrüh bei CNN: „Schmerz und Zorn quer durch Amerika“.

Wenn „das Schießen beginnt“: Trump rudert zurück

US-Präsident Donald Trump hatte sich am Freitag überzeugt gezeigt, dass die inzwischen mobilisierte Nationalgarde weitere Ausschreitungen in Minneapolis verhindern werde. Er sagte im Weißen Haus, er habe mit Angehörigen Floyds gesprochen. „Großartige Leute.“ Trump forderte zugleich ein sofortiges Ende der Ausschreitungen.

Man könne nicht erlauben, dass die Lage weiter in „Anarchie und Chaos“ abgleite, so der Präsident. Er sprach von einer „furchtbaren, furchtbaren Situation“. Am Samstag bot Trump dem Bundesstaat Minnesota die Hilfe des Militärs an. Die Soldaten stünden bereit und könnten „sehr schnell“ an Ort und Stelle sein.

Demonstranten in Dallas
AP/The Dallas Morning News/Tom Fox
Proteste und unfreundliche Gesten gegenüber der Polizei in Dallas

Trump hatte zuvor für eine Kontroverse gesorgt, als er auf Twitter mitteilte: „Habe gerade mit Gouverneur Tim Walz gesprochen und ihm gesagt, dass das Militär ganz an seiner Seite steht. Wenn es Schwierigkeiten gibt, werden wir die Kontrolle übernehmen, aber wenn die Plünderungen beginnen, beginnt das Schießen.“ („when the looting starts, the shooting starts“). Twitter versah den Beitrag mit einem Warnhinweis, weil er gegen das Verbot von Gewaltverherrlichung verstoße.

Mit seinem Satz zu möglichen Schüssen auf Plünderer hatte Trump einen Satz aus dem Jahr 1967 zitiert, mit dem der damalige Polizeichef von Miami ein hartes Vorgehen gegen die schwarze Bevölkerung angekündigt hatte. Trump, der sich derart umso mehr in die Nesseln gesetzt hatte, relativierte seine Aussage dann in einem weiteren Tweet. Er teilte mit, er habe nur gemeint, dass Plünderungen zu Waffengewalt führen könnten, was ein Fakt sei. Später sagte er, er habe das Ursprungszitat aus Miami gar nicht gekannt.

Biden: Brauchen keine „aufwieglerischen Tweets“

Trumps wahrscheinlicher Herausforderer bei der Präsidentschaftswahl im November, Joe Biden, forderte einen entschlossenen Kampf gegen „systematischen Rassismus“ in den USA. „Leute: Wir müssen aufstehen. Wir müssen uns bewegen. Wir müssen uns ändern.“ In einer solchen nationalen Krise brauche Amerika keine „aufwieglerischen Tweets“, sondern „wirkliche Führung“. Die „Ursünde“ der Sklaverei und deren Folgen belasteten das Land bis heute, so Biden in einer Videobotschaft.

US-Stars beteiligen sich an Protesten

Auch mehrere US-Stars aus der Film- und Musikwelt nahmen an Kundgebungen teil bzw. meldeten sich via Internet zu Wort, teils auch mit Kritik an Trump. Oscar-Preisträger Jamie Foxx („Ray“) hatte sich am Freitag in Minneapolis einer Kundgebung angeschlossen. Er sei nicht als Promi, sondern als Bruder gekommen, sagte der Schauspieler vor einer überwiegend schwarzen Menschenmenge. „Wir wollen euch wissen lassen, ihr habt Unterstützung.“

Sänger John Legend verlinkte auf Twitter Worte des schwarzen Bürgerrechtlers Martin Luther King, dass nur mit sozialer Gerechtigkeit und Fortschritt Aufstände zu vermeiden seien. „Hamilton“-Star Lin-Manuel Miranda rief zu Spenden für Organisationen auf, die festgenommenen Demonstranten mit Geld und Anwälten helfen.

Sängerin Taylor Swift wandte sich per Kurznachrichtendienst Twitter direkt an US-Präsident Donald Trump. „Nachdem du während deiner gesamten Präsidentschaft die Feuer der weißen Vorherrschaft und des Rassismus angefacht hast, hast du jetzt die Nerven dazu, moralische Überlegenheit vorzutäuschen und dann mit Gewalt zu drohen?“, schrieb Swift. „Wir werden dich im November aus dem Amt wählen.“

Google verschiebt Event

Auch sieben führende römisch-katholische Bischöfe verurteilten in einer gemeinsamen Erklärung die tödliche Polizeigewalt. „Wir sind untröstlich, angewidert und empört, auf einem Video zu sehen, wie ein afroamerikanischer Mann direkt vor unseren Augen getötet wird“, hieß es in einer Stellungnahme.

Wegen der Unruhen verschiebt der US-Techgigant Google nun auch die Vorstellung der neuesten Version seines Betriebssystems Android. „Wir freuen uns darauf, Euch mehr über Android 11 mitzuteilen, aber jetzt ist nicht die Zeit zum Feiern“, so Google auf seiner Website.