Screenshot zeigt Video auf Twitter
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Proteste in USA

Neues Polizeivideo heizt Konflikt weiter an

In den USA ist es von Samstag auf Sonntag das fünfte Mal in Folge zu Protesten und erneut schweren Zusammenstößen gekommen. In zahlreichen Städten wurden Ausgangssperren verhängt, längst haben sich die Massenproteste quer über die USA ausgebreitet, und es droht eine weitere Eskalation: Inmitten der aufgeheizten Stimmung tauchte ein Video auf, das zeigt, wie zwei Streifenwagen in New York während einer Demonstration auf Menschen losfahren.

Das Handyvideo war Sonntagfrüh in US-Medien aufgetaucht. Es zeigt, wie Demonstrantinnen und Demonstranten – laut Berichten in der Stadt New York – sich mit einem Sperrgitter offenbar einem Polizeifahrzeug in den Weg stellen. Später kommt ein zweiter Streifenwagen hinzu, plötzlich fährt einer los und direkt in die Menge, Menschen schreien und stürzen zu Boden. Es sei nicht klar, ob es bei dem Vorfall am Samstag Verletzte gegeben hat, hieß es etwa vom TV-Sender CNN, der das Video, 27 Sekunden lang und zuerst auf Twitter gepostet, veröffentlichte.

Der Vorfall bedeute weiteres Öl in den aktuellen Konflikt, heize die negative Stimmung zwischen der Polizei und den Menschen, die diese beschützen sollte, weiter an, kommentierte CNN. Die Proteste, die sich mittlerweile auf das ganze Land ausgedehnt haben, seien das Resultat der Wut, die nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einem Polizeieinsatz in Minneapolis (Minnesota) am Überkochen sei.

Bilder aus New York „verstörend“

New Yorks demokratischer Bürgermeister Bill de Blasio erklärte, der Vorfall werde untersucht. Er nannte das Video laut CNN „verstörend“ und sagte: „Ich wünschte, die Beamten hätten das nicht getan.“ De Blasio relativierte aber auch und sagte, er kenne den genauen Kontext der Szenen nicht, vielleicht hätten die Besatzungen der Streifenwagen keine andere Wahl gehabt bzw. hätten die Demonstranten die Situation eskalieren lassen. Die Fahrzeuge wurden zuvor mit Gegenständen und Müll beworfen. In New York war es zuletzt zu heftigen Protesten gekommen, ähnlich wie in zahlreichen anderen US-Metropolen auch.

Ausgangssperren in Dutzenden Städten

Bis Sonntagfrüh hatten mindestens 25 Städte Ausgangssperren verhängt. Trotzdem gingen landesweit Menschen auf die Straße, um gegen Polizeigewalt und Rassismus zu demonstrieren, erneut kam es zu teils schweren Zusammenstößen. Nach zwei Dutzend anderen Städten quer über die USA habe als letzte San Francisco (Kalifornien) eine nächtliche Ausgangssperre verhängt, berichtete CNN am Sonntag. Mehr als zehn Bundesstaaten hätten inzwischen die Nationalgarde (USNG), die Reserve der Armee, mobilisiert bzw. in Bereitschaft.

Brennendes Polizeiauto in Pittsburgh
AP/Pittsburgh Tribune-Review/Nate Smallwood
Immer wieder werden Streifenwagen angezündet

Die „New York Times“ berichtete nach der fünften Protestnacht von schweren Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften in mehreren Städten, erneut vor allem in Minneapolis (Minnesota), wo nach Inkrafttreten der Ausgangssperre am Abend Polizei und Nationalgarde Tränengas und Gummigeschoße eingesetzt hätten, wie auch schon in der Nacht zuvor. Das Vorgehen der Sicherheitskräfte sei mittlerweile deutlich härter geworden, schrieb die US-Zeitung. Es gab zahlreiche Festnahmen.

Sonntagfrüh (Ortszeit) wurde in Minneapolis zudem in der Nähe eines brennenden Wagens ein Toter entdeckt. Die Leiche weise deutliche Anzeichen von Verletzungen auf, sagte Polizeisprecher John Elder. Sie sei gegen 4.00 Uhr (Ortszeit) entdeckt worden, nachdem die Feuerwehr wegen des brennenden Fahrzeugs verständigt worden sei. Die Mordkommission habe die Ermittlungen übernommen. Zur Identität des Toten machte die Polizei keine Angaben. Ob der Todesfall mit den Protesten zusammenhängt, war ebenfalls zunächst unklar.

Eine „weitere Nacht des Zorns“

Minnesota hatte am Samstag zusätzlich mehr als 1.000 Nationalgardisten als Verstärkung einberufen. Sie würden die 700 Soldaten unterstützen, die wegen der Proteste bereits im Einsatz seien, erklärte die USNG in Minnesota via Twitter. Es handle sich um den größten Einsatz der Einheit in ihrer 164-jährigen Geschichte. Auch Einheiten der Militärpolizei wurden in Alarmbereitschaft versetzt. Eine „weitere Nacht des Zorns“, schrieb CNN.

Plünderungen eines Geschäfts in Philadelphia
AP/The Philadelphia Inquirer/Jessica Griffin
Ein geplündertes Geschäft in Philadelphia

Nächtliche Ausgangsverbote gibt es inzwischen unter anderem auch in Los Angeles (Kalifornien), Chicago (Illinois), Philadelphia (Pennsylvania) und Miami (Florida). Es kam zu Tumulten; in Nashville (Tennessee), in der Hauptstadt Washington und anderen Städten wurden Gebäude und Fahrzeuge angezündet, in Ferguson (Missouri) brannte ein Polizeigebäude. In Indianapolis (Indiana) kam es laut „New York Times“ zu Schießereien mit mindestens einem Toten. Der Bezirk Los Angeles erklärte den Notstand.

Trump droht mit der Armee

US-Präsident Donald Trump drohte via Twitter mit dem Einsatz der „unbegrenzten Macht des Militärs“. Der Gouverneur von Minnesota, Tim Walz, erklärte, 80 Prozent der „Randalierer“ in Minneapolis kämen von außerhalb des Bundesstaates, Trump teilte dessen Meinung. Walz machte Drogengangs sowie anarchistische und rassistische weiße Gruppierungen für die Gewalt verantwortlich, Trump „Plünderer und Anarchisten“. Medien wie CNN, die „New York Times“ und die „Washington Post“ machte er – wie gewohnt – für „Fake News“ verantwortlich.

Trump will nun die Antifa-Bewegung in Amerika als Terrororganisation einstufen, wie er auf Twitter ankündigte. Weitere Einzelheiten nannte er nicht. Wie das mangels Organisationsstrukturen des losen Bündnisses funktionieren soll, blieb offen.

Demonstrant in Austin
AP/Austin American-Statesman/Ricardo B. Brazziell
Schwer bewaffnete Sicherheitskräfte stehen in Austin (Texas) Protesten gegenüber

„Ich kann nicht atmen“

Auslöser für die inzwischen landesweiten Proteste von New York bis Kalifornien war der Tod Floyds, der am Montag wegen eines mutmaßlichen Betrugsdelikts festgenommen worden war. Dabei hatte ihn ein weißer Beamter minutenlang – laut veröffentlichtem Haftbefehl acht Minuten und 46 Sekunden – mit dem Knie auf dem Hals zu Boden gedrückt und auch dann nicht von ihm abgelassen, als dieser mehrfach um Hilfe flehte und stöhnte, er bekomme keine Luft. „Ich kann nicht atmen“ („I can’t breathe“) wurde inzwischen zum Slogan bei den Protesten.

Nach Polizeiangaben starb der 46-Jährige wenig später in einem Krankenhaus in Minneapolis. Er soll an anderen gesundheitlichen Problemen gelitten haben, die gemeinsam mit der Festsetzung und möglicherweise Rauschmitteln in seinem Blut vermutlich zu seinem Tod geführt hätten, so die Obduktionsergebnisse. Der Vorfall wurde von Augenzeugen mit einer Handykamera festgehalten. Der Polizist wurde zwar umgehend entlassen, aber erst Tage später festgenommen und des Mordes angeklagt.

Anwälte zweifeln Obduktionsergebnis an

Die Anwälte von Floyds Familie meldeten Zweifel an den Obduktionsergebnissen an und wollen eine eigene Untersuchung in Auftrag geben. Man habe bereits in anderen Fällen gesehen, dass Menschen, die mit den Behörden zusammenarbeiteten, Dinge präsentierten, die eine „Illusion“ seien. „All diese Dinge wie Asthma oder Herzprobleme spielen keine Rolle, solange sie (die Opfer) leben, atmen, gehen, reden. Alles ist in Ordnung – bis die Polizei sie anspricht.“

Demonstration in New Orleans, Louisiana
Reuters/Jonathan Bachman
„Keine Gerechtigkeit – kein Friede“

Biden fordert Kampf gegen „systematischen Rassismus“

Trumps wahrscheinlicher Herausforderer bei der Präsidentschaftswahl im November, der Demokrat Joe Biden, forderte einen entschlossenen Kampf gegen „systematischen Rassismus“ in den USA. „Leute: Wir müssen aufstehen. Wir müssen uns bewegen. Wir müssen uns ändern.“ In einer solchen nationalen Krise brauche Amerika keine „aufwieglerischen Tweets“, sondern „wirkliche Führung“.

Polizisten und Demonstranten in Chicago
AP/Sun-Times/Ashlee Rezin Garcia
Zusammenstöße in Chicago

US-Stars melden sich zu Wort

Auch mehrere US-Stars aus der Film- und Musikwelt nahmen an Kundgebungen teil bzw. meldeten sich via Internet zu Wort, teils auch mit Kritik an Trump. Oscar-Preisträger Jamie Foxx („Ray“) hatte sich am Freitag in Minneapolis einer Kundgebung angeschlossen. Sänger John Legend verlinkte auf Twitter Worte des schwarzen Bürgerrechtlers Martin Luther King, dass nur mit sozialer Gerechtigkeit und Fortschritt Aufstände zu vermeiden seien.

Sängerin Taylor Swift wandte sich per Kurznachrichtendienst Twitter direkt an US-Präsident Donald Trump. „Nachdem du während deiner gesamten Präsidentschaft die Feuer der weißen Vorherrschaft und des Rassismus angefacht hast, hast du jetzt die Nerven dazu, moralische Überlegenheit vorzutäuschen und dann mit Gewalt zu drohen?“, schrieb Swift. „Wir werden dich im November aus dem Amt wählen.“

Wegen der Unruhen verschiebt der US-Technologiegigant Google nun auch die Vorstellung der neuesten Version seines Betriebssystems Android. „Wir freuen uns darauf, Euch mehr über Android 11 mitzuteilen, aber jetzt ist nicht die Zeit zum Feiern“, teilte Google am Wochenende auf seiner Website mit.