Straßenszene in Paris
APA/AFP/Ludovic Marin
Coronavirus

Lockerungen auf dem Prüfstand

Weltweit treten laufend weitere Lockerungen von Anti-Coronavirus-Maßnahmen in Kraft. Doch die Freude darüber ist nicht ungetrübt: Es gibt international auch Warnungen, dass Lockerungen zu früh kommen. Österreichs Regierung setzt im Kampf gegen eine zweite Welle weiter auf die „Stopp Corona“-App und wirbt nun um Nutzer und Nutzerinnen.

Das Zurückfahren der im Zuge der Coronavirus-Krise gesetzten Einschränkungen erfolgt aktuell durchaus zügig: Ab Mitte Juni beschränkt sich etwa die offizielle Maskenpflicht in Österreich auf öffentliche Verkehrsmittel, den Gesundheitsbereich sowie Dienstleistungen, bei denen der Mindestabstand von einem Meter nicht eingehalten werden kann. Schon diese Woche fällt die Maskenpflicht in den heimischen Schulen, es darf auch wieder gesportelt werden.

Die heimischen Landesgrenzen werden ebenfalls durchlässiger: Mitte Juni sollen die Grenzen zu Deutschland, der Schweiz und Liechtenstein wieder vollständig geöffnet werden. Weitere Lockerungen bei den Reisebeschränkungen sind laut Regierung in Vorbereitung und sollen am Mittwoch vorgestellt werden.

Besucher im Gastgarten eines Bistros in Paris
AP/Christophe Ena
In Paris haben Bistros und Restaurants zur Freude der Pariser und Pariserinnen wieder offen

Auch in anderen Ländern fallen immer mehr Beschränkungen: In der Türkei werden seit Montag Inlandsflüge durchgeführt, Restaurants und Cafes sind wieder offen. Auch in Frankreich sind viele Schulen, Cafes und Restaurants wieder geöffnet, in England durften neben Schulen Autohäuser und Märkte aufsperren. Die Italiener dürfen ab Mittwoch wieder reisen. Selbst bei steigenden Fallzahlen wie in Russland wurden Ausgangsperren etwas gelockert, das besonders getroffene Spanien will seinen umstrittenen Notstand allerdings noch etwas verlängern.

Wirtschaft erfreut, aber auch Warnungen

Während die Wirtschaft sich darüber freut, dass nun etwa in Österreich wieder mehr Menschen gleichzeitig und ohne Masken in den Geschäften sein dürfen, Hotels, Thermen und Seilbahnen wieder in Betrieb sind und auch die Gastronomie ab Mitte Juni länger offen haben darf, gibt es international auch Warnungen. Für manche kommen die Lockerungen zu früh – auch weil es erst vor Kurzem noch sehr viel Alarmismus gab.

Schüler und Lehrerin mit Masken während des Unterrichts
APA/Helmut Fohringer
In den heimischen Schulen ist die Maskenpflicht mittlerweile gefallen

Die Regierung argumentiert, dass die gute Entwicklung der Infektionen Grundstein für die Lockerungen sei, Skeptiker befürchten, dass gerade die Lockerungen diese Entwicklung wieder umdrehen könnten – in Israel etwa stiegen die Infektionszahlen nach jüngsten Lockerungen wieder. Mit den sinkenden Fallzahlen falle nicht nur die Bereitschaft der Menschen, die Einschränkungen zu akzeptieren, so das Argument, es wird auch eine gewisse Sorglosigkeit bei der Einhaltung des immer noch empfohlenen Mindestabstands von einem Meter befürchtet.

Die nicht nur in Österreich beschworene Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger wird auch durch mitunter gegenläufige Empfehlungen und Vorschriften erschwert, wie etwa bei der Maskenpflicht. In stark betroffenen Ländern wie England wird von Experten vor Lockerungen ohndies besonders gewarnt: Angesichts von Tausenden Neuinfektionen pro Tag brauche es unbedingt ein funktionierendes System zur Testung und Kontaktverfolgung, sagte etwa der Direktor des Wellcome Trust, Jeremy Farrar: „Covid-19 breitet sich zu schnell aus, um den Lock-down in England aufzuheben“, so Farrar vergangene Woche.

Regierung wirbt um Nutzer für „Stopp Corona“-App

Österreich setzt gegen die Gefahr eines neuerlichen Anstiegs und einer zweiten Welle auf „Kontaktpersonen-Management“ mittels „Stopp Corona“-App, die vom Roten Kreuz initiiert wurde. Sie wurde laut Bundesrettungskommandant Gerry Foitik bisher rund 600.000-mal heruntergeladen, aktive Nutzer gebe es derzeit etwa 300.000. Die Nutzerzahlen sollen nun gesteigert werden, damit das Prinzip auch funktioniert, hieß es am Dienstag bei einer Pressekonferenz.

Rudolf Anschober, Thomas Szekeres und Gerry Foitik
APA/Robert Jäger
Die Regierung setzt auf die „Stopp Corona“-App, um eine neuerliche Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern

Es sei ja schwierig, „sich zu erinnern, wen man vor drei Tagen vor oder neben sich gehabt hat“, sagte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) zur Grundidee der App. Zwar könne sie kein Ersatz für ein manuelles Konaktpersonenmanagement sein, sie wäre aber „eine deutliche Unterstützung“. „Die App funktioniert nur, wenn möglichst viele Menschen sie heruntergeladen haben. Das tut nicht weh, das schadet nicht“, rief auch Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres zur Nutzung auf.

Die Nutzung der App soll weiter freiwillig sein. Die Diskussion über eine verpflichtende Nutzung sei „längst vom Tisch“, sagte Anschober, der aber einräumte, dass die Diskussion darüber „die Menschen verunsichert hat“. Auf Freiwilligkeit setzt Foitik auch bei der künftigen Weiterentwicklung der App. So sei geplant, Mitte Juli eine Plattform zu gründen, die eine möglichst breite Beteiligung der Gesellschaft, aber auch der technischen Community sicherstellen soll.

„Babyelefant“-Pappaufsteller für Wahrung des Abstands

Anschober betonte einmal mehr, dass es neben dem Tracking auch weiterhin notwendig sei, alle anderen grundlegenden Maßnahmen zur Eindämmung des Virus aufrechtzuerhalten. Dazu zählte er sowohl Hygiene- wie auch Abstandsregeln, aber auch eine mögliche Rücknahme von Lockerungsschritten, sollte es zu einem neuerlichen Anstieg kommen. Der berühmte „Babyelefant“ als Abstandsmesser war in zweifacher Ausfertigung als lebensgroßer Pappaufteller präsent – und sorgte für ausreichend Abstand zwischen Anschober, Foitik und Szekeres.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober
APA/Robert Jäger
Zur Demonstration des Mindestabstands von einem Meter wurden „Babyelefanten“ als Pappaufsteller angefertigt

Szekeres warnte ebenfalls davor, anzunehmen, die Pandemie in Österreich sei schon überwunden: „Jetzt sind wir in einer Situation, dass wir vorsichtig sein sollten, den Erfolg nicht zu konterkarieren. Das Virus gibt es noch, das Virus wird auch übertragen.“ Ohne Vorsicht und Umsicht könne man ein plötzliches Ansteigen der Infiziertenzahlen nicht verhindern. Und es gelte auch weiterhin der Appell, vorsichtig zu sein, Distanz zu halten, sich häufig die Hände zu waschen und in geschlossenen Räumen Masken zu tragen.

Unterdessen startet am Dienstag auch Italien mit einer App im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie. Die kostenlose Applikation mit dem Namen „Immuni“ soll Bürgern einen Hinweis senden, wenn sie sich in der Nähe eines Infizierten aufgehalten haben. Ab kommendem Montag würden die Funktionen aktiviert, allerdings zunächst nur in vier von 20 Regionen Italiens, teilte das Gesundheitsministerium in Rom mit. Auch andere Länder, darunter Deutschland, wollen eine Warn-App nutzen und prüfen einen Einsatz.