Soldaten vor dem Lincoln Memorial in Washington
Reuters/James Harnett
Nach Trump-Drohung

1.600 Soldaten nach Washington verlegt

Das US-Militär hat nach eigenen Angaben rund 1.600 Soldaten auf Militärstützpunkte rund um Washington verlegt. Bereits am Montag hatte Präsident Donald Trump den Demonstrierenden, die sich gegen Polizeigewalt und Rassismus stark machen, mit dem Einsatz des Militärs gedroht.

Die Militärpolizisten und Infanteristen stünden bereit, um gegebenenfalls unterstützend einzugreifen, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums am Dienstagabend (Ortszeit). Minister Mark Esper habe die Verlegung der Soldaten angeordnet, hieß es weiter.

Der Einsatz von Berufssoldaten im Inland sollte nur das „letzte Mittel“ in den „dringlichsten und äußersten Situationen“ sein, sagte Esper am Mittwoch im Pentagon. „Wir befinden uns derzeit nicht in einer solchen Situation.“ In Washington ließen sich die Demonstrierenden am Dienstag von all dem nicht beeindrucken und gingen auch nach der Ausgangssperre um 19.00 Uhr auf die Straße.

Demonstranten vor dem Lincoln Memorial
APA/AFP/Getty Images/Win Mcnamee
Dutzende Demonstrantinnen und Demonstranten lassen sich von Soldaten vor dem Lincoln Memorial in Washington nicht beeindrucken

Die Nachrichtenagentur AP berichtete zuvor, dass Espers Ministerium Pläne dazu, wie aktive Militärangehörige entsandt werden könnten, ausgearbeitet habe. Jene Pläne hätten gezeigt, dass Soldaten der Armee das Weiße Haus und andere Bundesgebäude schützen sollten, falls sich die Situation in Washington DC verschlimmere und die aus Reservisten bestehende Nationalgarde den Schutz nicht gewährleisten könne. AP berichtete aber auch, dass das Interesse an einem Militäreinsatz im Weißen Haus nach Kritik und Bedenken aus den eigenen Reihen wieder abgenommen habe.

Trump drohte mit Einsatz „Abertausender Soldaten“

Trump hatte zuletzt angekündigt „Abertausende“ Berufssoldaten – und damit nicht mehr „nur“ Reservisten – einsetzen zu wollen, um Ausschreitungen am Rande der friedlichen Proteste nach der Tötung des Afroamerikaners George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis einen Riegel vorzuschieben.

Trump könnte für einen Militäreinsatz auf ein Gesetz aus dem Jahr 1807, den „Insurrection Act“, zurückgreifen. Dieses erlaubt dem Präsidenten unter Umständen den Einsatz der Streitkräfte, um Aufstände und Unruhen im Land unter Kontrolle zu bringen. Fachleute sind sich uneins, ob der Präsident etwa auch ohne Zustimmung eines Gouverneurs militärisch einschreiten darf. Angewandt wurde das Gesetz zuletzt im Jahr 1992, als es nach einem Freispruch für vier weiße Polizisten, die den Schwarzen Rodney King zusammengeschlagen hatten, in Los Angeles zu schweren Unruhen kam.

Trump wegen Vorgehens stark unter Druck

Ein Einsatz des hochgerüsteten US-Militärs im Land wäre allerdings sehr ungewöhnlich. Mehrere Bundesstaaten haben zur Unterstützung Soldaten der Nationalgarde aktiviert. Diese werden in den USA häufiger bei Naturkatastrophen und anderen Großlagen eingesetzt.

Von vielen Seiten wird Trump derzeit vorgeworfen, durch seine Äußerungen die Spannungen nach der Tötung Floyds durch einen Polizisten weiter gezielt zu verschärfen – auch die Drohung mit dem US-Militär sorgte für heftige Kritik. Der Präsident forderte wiederholt ein hartes Vorgehen gegen Randalierer. Auf die Umstände der Tötung – der Polizist kniete minutenlang mit dem Knie auf Floyds Nacken – ging Trump kaum ein.

Großteils friedliche Märsche

Unterdessen fanden große Märsche in diversen anderen US-Städten statt, unter anderem in Los Angeles, Philadelphia, Atlanta und New York. Auf dem Hollywood Boulevard in Los Angeles füllten Hunderte von Menschen die Straßen und marschierten an berühmten Sehenswürdigkeiten der Stadt vorbei. Andere versammelten sich vor der Hauptpolizeistation in der Innenstadt, umarmten Polizistinnen und Polizisten und reichten einander die Hände als Zeichen des Friedens.

Los Angeles’ Bürgermeister Eric Garcetti und Polizeibeamte knieten in einer symbolträchtigen Geste nieder, als sie sich mit Demonstranten trafen. Der Kniefall wird von vielen Protestteilnehmern praktiziert. Die Geste geht auf den Football-Star Colin Kaepernick zurück, der damit 2016 während des Spielens der Nationalhymne gegen Polizeigewalt demonstriert hatte.

Protest vor dem Weißen Haus in Washington
APA/AFP/Andrew Caballero-Reynolds
Auch vor dem Weißen Haus versammelten sich erneut Hunderte Menschen – trotz der Ausgangssperre

In New York marschierten Tausende friedlich die 86th Street hinauf, hielten Schilder mit der Aufschrift „Keine Gerechtigkeit, kein Frieden“ und skandierten „Sag seinen Namen – George Floyd“, gefolgt von einer stillen Mahnwache. In Floyds Heimatstadt Houston versammelten sich 60.000 Menschen zu einem von seinen Freundinnen und Freunden und seiner Familie organisierten Marsch.

Mutter von Floyds Tochter fordert Gerechtigkeit

In Minneapolis forderte Roxie Washington, die Mutter von Floyds sechsjähriger Tochter Gianna, Gerechtigkeit und sagte, Floyd sei ein guter Vater und guter Mensch gewesen, der es nicht verdient habe, unter dem Gewicht von drei Polizisten mit dem Gesicht nach unten auf dem Gehsteig zu sterben. „Am Ende des Tages können sie nach Hause gehen und bei ihren Familien sein“, sagte Washington. „Gianna hat keinen Vater mehr. Er wird sie nicht aufwachsen sehen, nicht bei ihrem Schulabschluss dabei sein. Er wird sie nie als Braut zum Altar führen können.“

Nach Einbruch der Dunkelheit schlugen die friedlichen Demonstrationen trotz der Ausgangssperre teilweise in Gewalt um: Es kam in mehreren Städten zu Ausschreitungen, Vandalismus, Brandstiftung und Plünderungen. Demonstrierende zertrümmerten Fenster und plünderten Luxusgeschäfte in der Fifth Avenue in New York und setzten ein Einkaufszentrum in Los Angeles in Brand.

In einigen Städten wurden Polizeibeamte mit Steinen und Gegenständen beworfen. In zwei Städten wurden nach offiziellen Angaben fünf Polizisten von Schüssen getroffen, einer wurde schwer verletzt. Vor dem Weißen Haus protestierten Hunderte und skandierten Slogans wie „Wir bewegen uns nicht“ und „Scheiß auf eure Ausgangssperre“.

Polizei in Minneapolis: Praktiken werden untersucht

Nach der Tötung von Floyd wird die Polizei in Minneapolis einer eingehenden Untersuchung wegen möglicher diskriminierender Praktiken unterzogen. Der Gouverneur des Bundesstaats Minnesota, Tim Walz, teilte am Dienstag (Ortszeit) mit, die Menschenrechtsabteilung seiner Verwaltung habe eine Bürgerrechtsklage gegen die Polizeibehörde der Großstadt eingebracht. Nun würden deren Richtlinien, Verfahren und Praktiken der vergangenen zehn Jahren untersucht, um herauszufinden, ob die Polizei in Minneapolis systematisch Minderheiten diskriminiert habe.

Demonstranten in Los Angeles
AP/Mark J. Terrill
Demonstrantinnen und Demonstranten in Los Angeles kurz vor ihrer Verhaftung wegen des Bruchs der Ausgangssperre

Laut einer am Dienstag veröffentlichten Reuters-Ipsos-Umfrage sympathisiert eine Mehrheit von 64 Prozent der US-Bürgerinnen und -Bürger mit den Protesten. Mehr als 55 Prozent der Befragten gaben an, dass sie den Umgang von US-Präsident Donald Trump mit den Protesten missbilligten, darunter 40 Prozent, die sein Vorgehen „stark“ missbilligten. Ein Drittel der Befragten steht laut der Umfrage hinter Trump.

Biden: „Weckruf für die Nation“

Der designierte Präsidentschaftskandidat der US-Demokraten, Joe Biden, kritisierte den Umgang von Amtsinhaber Trump mit der Tötung von Floyd durch einen Polizisten scharf. In seiner ersten großen Rede seit dem Vorfall in Minneapolis und den landesweiten Protesten gegen Rassismus sprach er von einem „Weckruf für die Nation“.

US-Präsidentschaftskandidat Joe Biden
AP/Matt Rourke
Biden: Trump hat „dieses Land in ein Schlachtfeld verwandelt, das von alter Verbitterung und neuen Ängsten getrieben wird“

Trump habe „dieses Land in ein Schlachtfeld verwandelt, das von alter Verbitterung und neuen Ängsten getrieben wird“, sagte der Ex-Vizepräsident am Dienstag bei einer Ansprache in Philadelphia. Trump glaube, dass ihm „Spaltung“ nütze. „Wir befinden uns in einer Schlacht um die Seele dieser Nation“, sagte Biden und wiederholte damit einen seiner Wahlkampfslogans. Für den Fall eines Sieges bei der Präsidentschaftswahl im November kündigte der einstige Stellvertreter von Präsident Barack Obama an, den „systemischen Rassismus“ im Land zu bekämpfen. Notwendig sei unter anderem eine Polizeireform.

Biden versucht, sich als Gegenpol zu Trump zu positionieren. Er beschwört die Einheit des Landes, sucht den Dialog mit Afroamerikanern und versucht sich mitfühlend zu zeigen. Bei afroamerikanischen Wählern hat er großen Rückhalt – insbesondere wegen seiner acht Jahre als Vizepräsident Obamas. Umfragen sehen ihn fünf Monate vor der Wahl vor Trump, allerdings sind solche Zahlen nur bedingt aussagekräftig.

Papst verurteilt Rassismus und Gewalt

Papst Franziskus verurteilte darüber hinaus am Mittwoch bei der Generalaudienz die Unruhen in den USA. In einem Appell an die „Brüder und Schwestern in den USA“ sagte der Papst, dass er „mit großer Sorge die schmerzhaften sozialen Unruhen“ nach dem Tod Floyds verfolge. Jede Form von Rassismus und Ausgrenzung sei unerträglich und nicht tolerierbar.

Er plädiere für den Schutz des menschlichen Lebens, sagte der Papst bei der Generalaudienz, die er von seiner Bibliothek im Apostolischen Palast sprach. Zugleich verurteilte er die „destruktive und zerstörerische Gewalt“ der letzten Tage in den USA. „Mit Gewalt verdient man nichts, man verliert aber viel“, so der Pontifex. Er sagte, er bete für die Seele von Floyd und all jener, die wegen der „Sünde des Rassismus“ gestorben sind. Franziskus plädierte für Gebete für die „nationale Versöhnung und den Frieden“ in den USA – mehr dazu in religion.ORF.at.

Trump-Besuch von Papst-Denkmal in der Kritik

Auch der jüngste Besuch Trumps bei einer kirchlichen Einrichtung, einem Schrein für Papst Johannes Paul II. in Washington, stieß nun auf scharfe Kritik. Der Erzbischof von Washington, Wilton Gregory, sagte am Mittwoch, er finde es „verwerflich“, dass eine katholische Einrichtung auf diese Weise missbraucht und manipuliert werde. Johannes Paul II. sei ein Verfechter von Menschenrechten gewesen, betonte der afroamerikanische Geistliche.

Donald Trump und Melania Trump
AP/Patrick Semansky
Donald und Melania Trump vor einer Statue von Papst Johannes Paul II.

Trump und First Lady Melania hatten am Dienstag einen Kranz am Denkmal des verstorbenen Papstes niedergelegt. Bezugnehmend auf den umstrittenen Auftritt Trumps vor der St.-John’s-Kirche sagte Gregory, Johannes Paul II. hätte den Einsatz von Tränengas gegen Demonstrantinnen und Demonstranten für einen Fototermin vor einer Kirche sicherlich nicht gutgeheißen.

Die Bischöfin der Episkopaldiözese Washington, Mariann Edgar Budde, hatte Trumps Vorgehen bereits am Montagabend kritisiert. Sie sagte dem Sender CNN, der Präsident habe eine der Kirchen ihrer Diözese „ohne Erlaubnis als Hintergrund für eine Botschaft verwendet, die den Lehren Jesu und allem widersprechen, wofür unsere Kirchen stehen“. Er habe den Einsatz von Tränengas gebilligt, um den Weg zur Kirche zu räumen, und er ignoriere den Schmerz der Menschen im Land.