Demonstranten in New York City
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US-Behörden

Sorge vor CoV-Ausbreitung bei Unruhen

Seit über einer Woche dauern die Unruhen ausgelöst von der Tötung des Afroamerikaners George Floyd in den USA bereits an. Bei den Behörden nimmt indes die Sorge zu, dass es dadurch zu einer Verschlimmerung der nach wie vor andauernden Coronavirus-Krise kommen könnte.

Am Montag vergangener Woche wurde Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis getötet. Seither wird täglich in Dutzenden US-Städten, manche darunter befinden sich noch im „Lock-down“, gegen Rassismus und Polizeigewalt demonstriert. Die US-Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) gab bereits an, die Demonstrationen zu beobachten, weil das Nichteinhalten eines gewissen Mindestabstands die Menschen gefährde.

Die britische „Financial Times“ („FT“) berichtete mit Verweis auf Public-Health-Expertinnen und -Experten, dass es jedenfalls derzeit noch nicht möglich sei, das Ausmaß der Folgen der Unruhen festzustellen – offizielle Testergebnisse gibt es nicht.

Polizisten setzen Demonstranten in Detroit fest
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Behörden zeigen sich besorgt, dass es durch die Ausschreitungen zu einem starken Anstieg der CoV-Infektionen kommen könnte

New Yorker Gouverneur: „Was tun wir?“

Die ehemalige demokratische Gesundheitsministerin Kathleen Sebelius, zeigte sich besorgt, dass es zu einem Anstieg an Erkrankungsfällen kommen könnte: „Es könnte sehr verheerend sein, von Gemeinde zu Gemeinde.“ Demonstrierende, so Sebelius, sollten sich testen lassen, damit sie ihre Familien und Freunde nicht infizieren. Auch die Bürgermeister von Atlanta und Washington riefen Demonstrierende dazu auf, Testungen durchführen zu lassen.

Der New Yorker Gouverneur Andew Cuomo befürchtete zudem, dass die Proteste weitere größere Ausbrüche zur Folge haben könnten, noch bevor die Metropole erste Schritte in Richtung Rückkehr zur Normalität in der kommenden Wochen setze. „Man sieht diese Massenversammlungen, die möglicherweise Hunderte und Hunderte und Hunderte Menschen infizieren könnten, nach allem was wir getan haben. Da muss man sich fragen: Was tun wir?“

Noch zu früh für Prognosen

Der „FT“ zufolge hätten Simulationsexperten ihre Prognosen zum Coronavirus in den USA noch nicht verändert, sie seien damit beschäftigt, die unterschiedlichen Variablen in puncto Ausbreitung abzuwägen. Laut Alex Gandy, Mathematik-Professor am Imperial College London, sei es noch zu früh, um feststellen zu können, inwieweit sich die Proteste auf die Ausbreitung des Virus auswirken. Allerdings: „Die Epidemie in den USA befindet sich momentan in einem kritischen Stadium.“

Afroamerikaner von CoV besonders betroffen

Und freilich befinden sich zahlreiche Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner unter den Demonstrierenden, die ohnehin bereits besonders von der Krise betroffen sind. Erkrankungen wie Herzkrankheiten und Diabetes seien bei Afroamerikanern häufiger zu verzeichnen und erschweren den Ausbruch auch, sagte etwa der Direktor des Nationalen Instituts für Infektionskrankheiten, Anthony Fauci. Strukturelle Ungleichheiten wie Armut und fehlende Absicherung durch eine Krankenversicherung tragen nach Ansicht von Fachleuten wahrscheinlich ebenfalls dazu bei.

Die Unruhen nach dem Tod Floyds werfen ein Schlaglicht auf die Benachteiligung von Schwarzen in den USA, die auch die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte Michelle Bachelet kritisierte. Das betreffe Bereiche wie Gesundheit, Bildung und Arbeit und zeige, dass dort Menschen aufgrund von Herkunft oder Hautfarbe diskriminiert würden, teilte Bachelet am Dienstag in Genf mit.

Große Nähe, Rufe und Gesang als Risikofaktoren

Es gibt laut der Zeitung auch ein paar potenziell lindernde Faktoren: Die Proteste finden draußen statt, wo das Infektionsrisiko geringer ist; viele der Demonstrierenden tragen Masken; und manche friedliche Demonstration sorge dafür, dass die Teilnehmer genügend Platz haben, um Abstand zu halten. Problematisch wird es in puncto Mindestabstand aber, wenn die Proteste gewaltsam werden und es zu Ausschreitungen kommt. Auf der Hand liegt auch, dass die Rückverfolgung einer Infektionskette bei einer Demonstration nur schwer bis gar nicht möglich ist.

Das Infektionsrisiko scheint auch größer, wenn Demonstrierende singen oder rufen. Im Bundesstaat Washington habe eine infizierte Person im Zuge einer Chorprobe 87 Prozent der restlichen Teilnehmer laut CDC angesteckt, heißt es in der Zeitung. „Das Mitbringen von Lautsprechern oder Trommeln oder von etwas, das viel Lärm macht, minimiert das Risiko“, zitierte die „FT“ den Direktor des Johns Hopkins Center for Health Security, Tom Inglesby.

Demo in New York City
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Bei vielen Demonstrationen wird darauf geachtet, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausreichend Abstand zueinander einhalten können

Fachleute: Augenmerk auf Aerosole legen

Eine wesentliche Rolle für die potenzielle Ausbreitung des Virus bei den Demonstrationen spielen feinste Schwebeteilchen in der Luft, die Aerosole. Im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus sprachen sich Experten wie der deutsche Virologe Christian Drosten zuletzt dafür aus, ein stärkeres Augenmerk auf diese Aerosole zu legen.

Drosten verwies im Deutschlandfunk auf wissenschaftliche Erkenntnisse und sagte, es verstärke sich der Eindruck, dass es zusätzlich zur Tröpfcheninfektion – etwa eine Infektion durch Niesen oder Husten – eine deutliche Komponente von Aerosol-Infektionen gebe. Die Übertragung des Virus hänge der US-Professorin Linsey Marr zufolge davon ab, wie lange sich Demonstrierende in der Nähe voneinander befinden – in puncto Infektionsgefahr bestehe ab 15 bis 30 Minuten ein gewisses Risiko. „An jemandem vorbeizugehen ist wahrscheinlich nicht genug“, so Marr.

Die USA sind aktuell das Land mit den meisten bestätigten Coronavirus-Fällen weltweit. Am Mittwochabend waren mehr als 1,8 Millionen Infizierte in den USA gezählt. Zudem wurden mehr als 106.000 Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus gemeldet.