Lkw und Schilder an der tschechischen Grenze zu Österreich
AP/CTK/Vaclav Pancer
Schengen-System

Ruf nach Rückkehr zu freien Grenzen

Österreichs Grenzen zu den Nachbarländern sind nun wieder vollständig offen – alle bis auf Italien. Das Heer zieht die Milizsoldaten vom Grenzeinsatz ab. Auch viele andere europäische Länder beenden ihre Beschränkungen, Österreichs östliche Nachbarn öffneten schon am Freitag. EU-Abgeordnete fordern nun die Wiederherstellung des Schengen-Systems.

Am Donnerstag wurde die Einreise nach Österreich aus allen Nachbarländern außer Italien wieder ohne Einschränkungen möglich. Das heißt, es entfallen von österreichischer Seite Grenz- und Gesundheitskontrollen bei Einreisen aus Deutschland, Liechtenstein, der Schweiz, der Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn. Wegen der Öffnungen werden auch 600 der insgesamt 1.400 Milizsoldaten, die insgesamt im pandemiebedingten Einsatz waren, abgezogen. Sieben Kompanien blieben noch im Einsatz, so Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) am Donnerstag im Ö1-Mittagsjournal.

Am Freitag öffneten Slowenien, Ungarn, Tschechien sowie die Slowakei wiederum ihre Grenzen für österreichische Reisende. Nach Tschechien dürfen Österreicher seit 12.00 Uhr einreisen, in die anderen Nachbarländer wurden die Grenzen bereits um 8.00 Uhr geöffnet. Weder Virustests noch Quarantäne sind für Reisen in die vier Länder mehr nötig.

EU schlägt Ende der Beschränkungen vor

Die EU-Kommission plädierte für die Aufhebung aller Reisebeschränkungen innerhalb der Europäischen Union bis Ende Juni. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson kündigte an, sie wolle den Innenministern bei deren Beratungen am Freitag die Abschaffung aller wegen des Coronavirus eingeführten Einreisebeschränkungen und Grenzkontrollen bis Monatsende vorschlagen.

Grafik zu Reiseeinschränkungen in Europa
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Johansson begründete ihre Position damit, dass sich die Infektionslage in vielen EU-Ländern „rasch verbessert“. Sie zeigte sich „sehr glücklich“ darüber, dass einige Staaten bereits mit der Lockerung und Aufhebung von Einreisebeschränkungen begonnen haben.

Kontrollen nur „zeitlich klar befristet“

Angesichts der Entwicklungen forderten am Donnerstag auch österreichische Europaabgeordnete eine Wiederherstellung des grenzkontrollfreien Schengen-Raums. „Sobald es die Sicherheit für die Menschen in Europa und deren Gesundheit erlaubt, muss der freie Personenverkehr wieder gewährleistet sein“, sagte der ÖVP-Europaabgeordnete Lukas Mandl vor Verabschiedung einer Resolution zum Schengen-Raum im Justiz- und Innenausschuss des EU-Parlaments.

Grenzöffnungen zu Nachbarländern

An Österreichs Grenzen zu Tschechien und Slowenien gibt es keine Kontrollen mehr. Auch in die Slowakei und nach Ungarn dürfen Österreich wieder reisen.

„Unter besonderer Berücksichtigung der Ausbreitung des Virus muss die EU-Kommission als Hüterin der Verträge die volle Wiederherstellung der Reisefreiheit vorantreiben“, forderte auch die SPÖ-Europaparlamentarierin Bettina Vollath. Sie betonte, es sei „unerlässlich, dass die innereuropäischen Grenzkontrollen nur zeitlich klar befristet und nach nachvollziehbaren gemeinsamen Kriterien“ ablaufen dürfen.

Debatte über Grenze zu Italien

Noch ist die Reisefreiheit nicht wiederhergestellt, etwa für Reisende, die aus Italien kommen. Das führte zu Kritik, Italiens Außenminister Luigi Di Maio sagte, das „individuelle Verhalten“ verletze „den europäischen Geist“ und schade „Europa und dem gemeinsamen Markt“. Er sehe aber Dialogmöglichkeiten.

Die FPÖ sah in der Entscheidung Österreichs, an der Grenze zu Italien weiterhin zu kontrollieren, einen „Verrat Südtirols“ durch die Volkspartei. Es habe sich gezeigt, „dass die Autonomie Südtirols im Ernstfall keinen Pfifferling wert ist, ebenso wenig wie das Papier, auf dem die Europaregion geschrieben steht“, sagte der freiheitliche Südtirol-Sprecher und Nationalratsabgeordnete Peter Wurm laut Aussendung.

Anzeige gegen Österreich

Der italienische Konsumentenschutzverband Codacons zeigte Österreich sogar beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) an. „Österreichs Verhalten verletzt alle europäischen und internationalen Verträge. Der einseitige Beschluss, die Grenzen zu Italien nicht zu öffnen, ist gravierend und illegal, denn es benachteiligt auf vollkommen ungerechtfertigte Weise Italien und seine Bürger“, so Codacons-Präsident Carlo Rienzi in einer Presseaussendung am Donnerstag.

ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg wies Kritik das zurück. „Eine Diskriminierung ist es nicht, weil Diskriminierung bedeutet, dass man zwei gleichwertige Situationen unterschiedlich behandelt, und das ist in diesem Fall einfach nicht zutreffend, weil die Pandemiesituation und die Zahlen in Italien einfach noch andere sind als in den anderen Nachbarstaaten Österreichs“, sagte Schallenberg am Donnerstag im Ö1-Morgenjournal.

Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) hielt zumindest eine partielle Öffnung der österreichischen Grenzen zu Italien, insbesondere zu Südtirol, im Laufe des Monats Juni für möglich. „Es ist nicht ausgeschlossen, dass man im Laufe des Juni eine Öffnung vornehmen kann“, sagte sie der Südtiroler Zeitung „Dolomiten“ (Freitag-Ausgabe).

Virologe gegen Öffnung zu Italien

Der angesehene italienische Virologe Andrea Crisanti lobte Österreichs Kurs. „Österreich tut gut, die Grenze nach Italien nicht zu öffnen. Es gibt noch viele Fälle. Auch Italien sollte Kontrollmaßnahmen gegenüber jenen Länder ergreifen, in denen die Epidemie noch aktiv ist, wie die USA und Lateinamerika“, sagte Crisanti, Virologie-Direktor an der Universität Padua.

„Ich würde klare Kriterien feststellen: Wer nach Italien kommt, muss sich Temperaturkontrollen unterziehen. Abstriche sollen genommen werden. Wer positiv ist, muss in Heimisolierung, man kann nicht einfach alles öffnen“, sagte Crisanti im Interview mit RAI 3.

Weiterhin Quarantäne auch für Reisende aus Kroatien

Auch für Personen, die aus nicht angrenzenden Ländern nach Österreich einreisen, gelten nach wie vor besondere Regeln, konkret wurden Einreisen aus Kroatien als Beispiel genannt. „Wenn man z. B. in Kroatien gewesen ist und z. B. über Slowenien wieder nach Österreich einreist, ist im Moment weiterhin ein Gesundheitsattest oder eine 14-tägige Heimquarantäne erforderlich“, hieß es.

Auch Kroatien zeigte sich nicht erfreut über Österreichs Lösung. Die Tageszeitung „Vecernji list“ ortete einen Kampf, „um Österreicher zu Hause zu halten“. Der kroatische Tourismusminister Gari Cappelli schloss sich dieser Interpretation an: Jeder schütze seine Wirtschaft, sagte der Minister mit Blick auf die bevorstehenden Feiertage in Österreich. „Ich verstehe sie vollkommen. So muss man aber auch uns verstehen, als wir gesagt haben, dass wir die Grenze für zehn Länder öffnen. Ich denke aber, dass sich alles bis zum 15. Juni auf der EU-Ebene herauskristallisieren und lösen wird“, so Cappelli.