Menschen mit Masken und in Schutzkleidung in Manaus, Brasilien
Reuters/Bruno Kelly
Südafrika bis Brasilien

Coronavirus-Schwerpunkt verlagert sich

Während sich in vielen Teilen Europas das öffentliche Leben wieder den Zeiten vor dem Coronavirus annähert, steigen die Fallzahlen in anderen Teilen der Erde rasant an. Süd- und Mittelamerika liegen bei den Neuinfektionen vorne, Brasilien hat mittlerweile die drittmeisten Todesfälle weltweit. Doch auch in Afrika spitzt sich die Situation zu: In Südafrika stiegen die Fallzahlen zuletzt deutlich.

Die Coronavirus-Pandemie ist nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jedenfalls noch lange nicht überstanden. „Es ist nicht vorbei. Es ist nicht vorbei, solange es das Virus noch an irgendeinem Ort der Welt gibt“, sagte WHO-Sprecherin Margaret Harris am Freitag.

Nach Daten der Johns-Hopkins-Universität gab es seit Anfang Juni weltweit durchschnittlich über 100.000 neue bestätigte Fälle pro Tag. Das ist weiterhin ein deutliches Wachstum – Anfang Mai gab es oft nicht mehr als 85.000 bestätigte Fälle täglich. Neben den bereits bekannten Zentren, in denen sich das Virus weiter ausbreitet, rückten einige weitere Länder in den Fokus.

So vermeldete etwa Südafrika am Donnerstag einen sprunghaften Anstieg der Neuinfektionen. Innerhalb eines Tages wurden über 3.200 neue Fälle registriert – so viele wie noch nie seit Beginn der Pandemie. Mit über 40.000 Fällen liegt Südafrika auch an der Spitze bei der Zahl der bestätigten Infektionen in Afrika – trotz eines rigorosen „Lock-downs“ schon im März, der unter anderem den Verkauf von Alkohol und Tabakprodukten einschränkte, wie die „New York Times“ („NYT“) schrieb. Trotzdem wurden die Verordnungen mittlerweile gelockert – aus wirtschaftlichen Gründen.

Straßenhändler verkauft Masken in Johannesburg
APA/AFP/Michele Spatari
In Südafrika stieg die Zahl der Fälle zuletzt deutlich an

Hohe Sterberate in Ägypten

Im Norden Afrikas verdoppelte sich unterdessen in Ägypten laut „NYT“ die Zahl der Neuinfektionen vergangene Woche. Mit rund 30.000 Fällen liegt man zwar hinter Südafrika und ganz deutlich hinter anderen Ländern der Region wie Saudi-Arabien. Doch: Ägypten verzeichnet die höchste Todesrate in der Region.

Und es ist unklar, wie die Zahl der gemeldeten Fälle im Vergleich zu den tatsächlichen Fällen aussieht. Erst diese Woche warnte der ägyptische Bildungs- und Forschungsminister, dass die tatsächliche Fallzahl in Ägypten weit über 100.000 liegen könnte, wie die „NYT“ berichtete.

Die Kapazitäten im ägyptischen Gesundheitssystem sind jedenfalls knapp, was nicht nur fatale Auswirkungen auf die Patientinnen und Patienten, sondern auch auf das medizinische Personal hat. Bereits über 30 Ärzte sollen gestorben sein – und die größte Ärztegewerkschaft warnt vor einer „Katastrophe“. Die Kritik komme trotz kolportierter Drohungen gegen das Personal aus dem Sicherheitsapparat von Präsident Abdel Fatah al-Sisi, so die „NYT“.

„Andere Richtung“ in Afrika

Von der WHO hieß es zuletzt, dass die Coronavirus-Pandemie in Afrika eine „andere Richtung“ einschlage – das befürchtete Szenario der „tickenden Zeitbombe“ mit möglicherweise Millionen Toten bewahrheitete sich trotz steigender Zahlen bisher nicht. Einer ersten Analyse zufolge könnte das mit der demografischen Struktur des Kontinents zu tun haben. Mehr als 60 Prozent aller Afrikaner und Afrikanerinnen sind jünger als 25 Jahre, sie gehören also nicht zur Risikogruppe. Die Bevölkerung in der EU ist beispielsweise nicht so jung. Ältere Menschen tragen aber ein höheres Risiko, nach einer Infektion ernsthaft zu erkranken und zu sterben.

Die „NYT“ beobachtet vor allem einen Anstieg in dicht besiedelten Ländern mit niedrigem bis mittlerem Einkommen – in erster Linie im Nahen Osten, in Lateinamerika, Afrika und im Süden Asiens. Die Annahme, dass nicht alle Regionen vom Coronavirus betroffen sein werden, bestätigte sich einer Expertin zufolge nicht: „Wir haben bis jetzt keine Hinweise gesehen, dass manche Bevölkerungen verschont werden“, zitierte die „NYT“ eine Biostatistikexpertin aus dem US-Bundesstaat Florida.

Peru trotz früher Beschränkungen stark betroffen

In Südamerika verschärft sich unterdessen in manchen Ländern, in denen schon recht früh Maßnahmen ergriffen wurden, die Situation. So ist etwa Peru stark vom Coronavirus betroffen – aktuell gibt es laut Johns-Hopkins-Universität über 180.000 bestätigte Fälle. Der peruanische Präsident Martin Vizcarra verordnete jedoch als eines der ersten Staatsoberhäupter in Südamerika umfassende Ausgangsbeschränkungen. Weil allerdings der Großteil der Peruaner im informellen Sektor beschäftigt ist und es kaum soziale Absicherung gibt, konnten sich viele Menschen aus wirtschaftlichen Gründen nicht an die Regeln halten und gingen trotzdem zur Arbeit.

Demo von Gesundheitsarbeitern in Lima
AP/Rodrigo Abd
In Lima forderte das medizinische Personal bessere Schutzausrüstung für die Betreuung von Covid-19-Patienten

Alleine in der Hauptstadt Lima wurden rund 110.000 Fälle verzeichnet. Wie in vielen anderen Ländern gerät auch in Peru das Gesundheitssystem an seine Grenzen. Medizinisches Personal beklagte einen Mangel an Schutzausrüstung. Und ausgerechnet Sauerstoff zur Beatmung wird knapp, weshalb die Regierung die Produktion des Gases erhöhen will. „Wir betrachten Sauerstoff als ein Element nationalen Interesses“, sagte Verteidigungsminister Walter Martos am Donnerstag.

Brasilien mit neuem Negativrekord

Mehr Fälle als in Peru gibt es in Südamerika momentan nur in Brasilien. Dort ist die Situation weiterhin nicht unter Kontrolle – mit tragischen Folgen: Am Donnerstag verzeichnete Brasilien einen neuen Rekord bei der Zahl der täglichen Todesfälle, nachdem bereits tags zuvor ein neuer Höchstwert erreicht worden war. Mit über 34.000 Toten liegt man jetzt sogar vor Italien an der dritten Stelle hinter den USA und Großbritannien.

Frauen vor einem geschlossenen Bekleidungsgeschäft in Sao Paulo
AP/Andre Penner
Brasilien stellte am Donnerstag einen neuen Negativrekord auf

Das Coronavirus breitete sich zuletzt auch stärker unter brasilianischen Ureinwohnern aus. Die Todesfälle in diesem Teil der Bevölkerung hätten sich im vergangenen Monat verfünffacht, wie ein Verband der Urvölker mitteilte. Viele Epidemiologen hatten vergebens gehofft, dass die Stämme durch ihre sehr abgelegenen Siedlungsgebiete geschützt würden. Die Ureinwohner litten bereits in der Vergangenheit stark unter eingeschleppten Krankheiten: Die ersten Europäer brachten bei ihrem Vordringen in den Amazonas-Regenwald die Pocken mit, die die Urbevölkerung dezimierten.

Die enormen Zahlen in Brasilien könnten auch Präsident Jair Bolsonaro unter Druck bringen. Er bezeichnete die Lungenkrankheit in der Vergangenheit als „kleine Grippe“. Erst am Dienstag wurde er nach tröstenden Worten gefragt und antwortete „Es tut uns leid für all die Toten, aber das ist jedermanns Schicksal“, zitierte die „NYT“ den Präsidenten. Bolsonaro sprach sich entschieden gegen Ausgangssperren aus – mehrere örtliche Behörden widersetzten sich aber und verhängten dennoch Beschränkungen. Zwei Gesundheitsminister traten mittlerweile zurück – erst am Mittwoch wurde General Eduardo Pazuello zum vorübergehenden Leiter des Ressorts ernannt.