Gesundheitsminister Rudolf Anschober
APA/Hans Punz
CoV-Krise

Anschober rechnet nicht mit zweiter Welle

Der grüne Gesundheitsminister Rudolf Anschober ist bei der Coronavirus-Pandemie „sehr optimistisch, dass es in Österreich zu keiner zweiten Welle kommen wird“. Das sagte er am Samstag in der „Tiroler Tageszeitung“ („TT“). Im Ö1-Mittagsjournal kündigte er ein großes Screening bei Menschen in schwierigen Lebenssituationen an.

Laut Anschober „ist es wichtig, das Virus weiter ernst zu nehmen. Wenn die Sinuskurve regional irgendwo ansteigen soll, müssen wir mutig und rasch dagegenhalten. Wir werden zudem auch die Grippe ernst nehmen müssen. Das Ziel muss sein, dass wir die Grippefälle deutlich reduzieren“, sagte der Gesundheitsminister der „TT“, will dabei aber auf Überzeugungsarbeit statt Impfpflicht setzen.

Für die Zeit nach den Sommerferien stellte Anschober weitere Öffnungsschritte in Aussicht. „Ich gehe davon aus, dass wir im Herbst wieder in Schulen und Universitäten einen gewohnten Alltag haben, zudem sollte es wieder weitgehend Normalität im Kulturbetrieb geben. Dieser Prozess muss aber intensiv begleitet werden“, sagte er. Bei Großveranstaltungen wie einem Open-Air-Konzert mit 20.000 Zuschauern bleibe die Situation „schwierig“.

Großes österreichweites Screening

Im Spätherbst könne es noch einmal zu einer kritischen Situation kommen. „Sobald ein neuer Cluster sichtbar wird, müssen wir in der Lage sein, schnell und effektiv zu handeln. Wir müssen derzeit erkennen, dass besonders prekäre Arbeitsverhältnisse hier ein Problem darstellen können“, so Anschober zur Lehre aus den Infektionsfällen in Post-Verteilzentren.

„Wir haben rasch reagiert (…) und haben es geschafft, dass das Cluster eingegrenzt wird“, sagte der Minister in der Ö1-Sendung „Im Journal zu Gast“. Bereits im Juni sollen daher große österreichweite Screeningmaßnahmen beginnen. Derzeit untersuche man gemeinsam mit dem Arbeitsinspektorat, wo es derartige Firmenstrukturen gebe. Gemeint seien Testungen unter Menschen in einer schwierigen Lebenssituation.

Erhöhung des Arbeitslosengeldes vorstellbar

Sein Ziel sei es, dass aus der akuten Gesundheitskrise nicht eine akute Sozialkrise werde, sagte Anschober. Ihm gehe es dabei vor allem um Jugendliche und Kinder, die in der schwierigsten Situation seien. „Der entscheidende Bereich ist, Menschen aus der Arbeitslosigkeit zu bringen.“ Die Regierung arbeite daher an einem „großen und mutigen Konjunkturpaket“.

Der Sozialminister kann sich auch eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes vorstellen: „Ich bin da absolut gesprächsbereit.“ Man brauche dafür allerdings Mehrheiten in der Koalition mit der ÖVP. Zuletzt hatte sich schon der grüne Sozialsprecher Markus Koza angesichts der Coronavirus-Krise für die Erhöhung ausgesprochen.

„Wir werden das als eines von mehreren Lösungsoptionen miteinander bearbeiten“, so Anschober. „Ich gehe davon aus, dass wir da in den nächsten vier, fünf Wochen zu einer Lösung kommen, mit einem Handlungsvorschlag für jene Menschen, die in Arbeitslosigkeit sind, damit deren Lebenssituation verbessert wird.“

SPÖ ortet Bewegung bei ÖVP

Bisher kam diese Forderung vor allem aus der SPÖ. Diese verlangt seit Langem, die Nettoersatzrate von derzeit 55 auf 70 Prozent zu erhöhen. Arbeitsministerin Christine Aschbacher (ÖVP) sei aber dabei, von einer „einzementierten, dogmatischen Position“ abzurücken, will Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) nach einem Telefonat mit der ÖVP-Politikerin bemerkt haben.

Der Effekt einer Erhöhung der Nettoersatzrate von 55 auf 70 Prozent sei „volkswirtschaftlich und betriebswirtschaftlich sinnvoll“. Und: „Die Rate von 55 Prozent deckt oft nicht einmal die Grundkosten der Betroffenen.“ Auch SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner bekräftigte den Ruf nach einer Erhöhung einmal mehr.

Kritik von FPÖ und NEOS

„Die soziale Krise in Österreich ist schon längst existent“, kritisierte FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch Anschobers Aussagen und verwies auf knapp 520.000 Menschen ohne Beschäftigung, 1,3 Millionen in Kurzarbeit und über 1,8 Millionen mit deutlich geringerem Einkommen. „Ich weiß nicht, in welcher Welt der grüne Minister lebt“, sagte Berlakowitsch. Es gehe nicht um „schöne Worte“, sondern darum, ein höheres Arbeitslosengeld in der Koalition rasch durchzusetzen.

NEOS-Gesundheitssprecher Gerald Loacker sagte, Anschober habe von seinem Koalitionspartner eindrücklich gelernt, viel zu reden und wenig zu sagen, und mahnte den Gesundheitsminister, nicht auf seine eigentliche Aufgabe zu vergessen. Denn dafür, dass auf die Gesundheitskrise keine soziale Krise folgt, müsse Arbeitsministerin Aschbacher sorgen, nannte Loacker unter anderem als Beispiel.

„Nicht alles immer gut gelaufen“

Dass nicht alles immer gut gelaufen sei, räumte Anschober ein und nannte als Beispiel die Ausrüstung von Schutzkleidung. „Wir müssen hier selbständiger werden“, um Abhängigkeiten zu vermeiden, sagte Anschober. „Sehr, sehr gut gelaufen“ ist für ihn, dass es gelungen sei, ein Grundgefühl der gemeinsamen Verantwortung in der Bevölkerung zu verankern. „Ein Staat hat nichts verloren im privaten Bereich“, so Anschober zum vermeintlichen Verbot privater Treffen. Der Staat könne nur Empfehlungen geben.

Es geht um „Bewusstmachung“

Zum Thema „Angstmache“ durch die Regierung sagte der Gesundheitsminister, dass seine Wortwahl immer in Richtung Bewusstmachung gegangen sei: „Ich erachte es als notwendig, aufzuzeigen, was passiert, wenn nicht konsequent reagiert wird“, sagte Anschober mit Blick auf die Krisensituation in Italien, wo die Spitalsstruktur zusammenbrach.

Wichtig sei, „dass man dazu bereit ist, ehrlich zu kommunizieren, dass Fehler passiert sind, und daraus zu lernen“, so Anschober. Der Zeitdruck sei enorm gewesen. Er sei froh, den richtigen Zeitpunkt getroffen zu haben, da war nicht nur Wissen, sondern auch Glück dabei.

Sympathie für Südtirols Vorschlag

Zum Thema Reisefreiheit verwies Anschober darauf, dass Österreich seine Grenzen zu allen Nachbarstaaten außer Italien geöffnet habe. Bei Italien sei die Situation sehr differenziert. „Wir haben drei Regionen, wo die Situation weiter bedenklich ist“, sagte Anschober. Sein Ziel sei eine Öffnung, aber unter gesicherten Bedingungen.

Ihm gefalle der Vorschlag von Südtirols Landeshauptmann Arno Kompatscher, regionale Unterschiede zu machen. Eine technische Lösung dafür werde noch gesucht. Ist diese gefunden, „wird es keine Verzögerung mehr geben“, versprach Anschober. „Das Virus ist nicht auf Urlaub, es ist noch da“, wiederholte er.