Arbeiter in Schutzanzügen laden Särge aus Bestattungsfahrzeug
AP/Silvia Izquierdo
Brasilien

Keine Gesamtzahlen zu CoV-Toten mehr

Das brasilianische Gesundheitsministerium veröffentlicht keine Gesamtzahl der Coronavirus-Toten mehr. Öffentlich gemacht werden nur noch die täglichen Opfer. Die kumulativen Daten würden „nicht widerspiegeln, wo sich das Land gerade befindet“, so Präsident Jair Bolsonaro. Die regionalen Behörden werfen der Regierung hingegen vor, die vielen Opfer der Pandemie „unsichtbar“ machen zu wollen.

Zuletzt hatte Brasilien mehr als 672.000 Fälle gemeldet – mehr als jedes andere Land abgesehen von den USA. Die Zahl der in Brasilien an der Lungenkrankheit Covid-19 gestorbenen Menschen überschritt inzwischen die Schwelle von 35.000. Damit ist Brasilien das Land mit der weltweit dritthöchsten Zahl von Coronavirus-Toten nach den USA und Großbritannien. Fachleute gehen aufgrund der geringen Zahl von Tests von einer hohen Dunkelziffer bei Erkrankungen aus.

Seit Freitagabend veröffentlicht das Gesundheitsministerium keine Gesamtopferzahl mehr, sondern meldet nur noch die Opferzahl jedes Tages. Ein ranghoher Regierungsvertreter hatte die von den örtlichen Behörden gemeldeten Coronavirus-Statistiken zuvor als „unzuverlässig und manipuliert“ bezeichnet. Laut Bolsonaro liefen „andere Bemühungen für die Berichterstattung über die Fälle und die Bestätigung der Diagnosen.“

Kritik an „autoritärem“ Versuch

Regional stieß dieser Schritt auf herbe Kritik. Dieser „autoritäre, unsensible, unmenschliche und unethische Versuch, die Covid-19-Toten unsichtbar zu machen, wird nicht funktionieren“, erklärte der Rat der Gesundheitsminister der Regionen.

Bolsonaro steht wegen seines Umgangs mit der Pandemie bei diesem schon länger stark in der Kritik. Er bezeichnete Covid-19 in der Vergangenheit als „kleine Grippe“ und lehnt die von den Bundesstaaten angeordneten Coronavirus-Beschränkungen ab, weil die Wirtschaft darunter leide.

Bolsonaro droht mit WHO-Ausstieg

Ebenfalls für Kritik sorgten Drohungen Bolsonaros über einen möglichen Ausstieg aus der Weltgesundheitsorganisation WHO. Bolsonaro warf der internationalen Organisation „ideologische Voreingenommenheit vor“ und sagte am Freitag vor Journalisten, seine Regierung bewerte derzeit den WHO-Austritt der USA. „Entweder die WHO arbeitet ohne ideologische Voreingenommenheit, oder wir gehen auch. Wir brauchen hier keine Außenstehenden, die ihre Meinung zur Gesundheitslage abgeben“, so Bolsonaro.

Bolsonaro will aus WHO austreten

In Brasilien droht Präsident Bolsonaro inmitten der Coronavirus-Krise mit dem Austritt seines Landes aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Er folgt damit dem Beispiel von US-Präsident Donald Trump.

Der ultrarechte Präsident kritisierte die WHO unter anderem dafür, dass sie die klinischen Studien für das Malaria-Medikament Hydroxychloroquin zur Behandlung von Covid-19 ausgesetzt hatte. Bolsonaro hatte – wie US-Präsident Donald Trump – die umstrittene Einnahme des Medikaments als Präventivmaßnahme wiederholt angepriesen. Auch Trump hatte jüngst den Bruch seines Landes mit der WHO verkündet.

Die WHO und mehrere Länder hatten die Versuche mit Hydroxychloroquin zwischenzeitlich gestoppt, nachdem mehrere Studien Bedenken hinsichtlich seiner Verträglichkeit und Wirksamkeit aufgeworfen hatten. Allerdings wurden vergangene Woche Zweifel an dem zugrundeliegenden Datenmaterial für die Studien publik. Die Autorinnen und Autoren einer der Studien räumten daher Zweifel ein, auch die Fachpublikation „The Lancet“ zog deswegen das Papier zurück – mehr dazu in science.ORF.at. Die WHO kündigte mittlerweile an, dass Tests wieder aufgenommen werden sollen.

Erste Lockerungen füllen Rio

Unterdessen gab es am Wochenende auch in Brasilien erste Lockerungen, etwa in Rio de Janeiro. Gouverneur Wilson Witzel ordnete per Dekret an, dass Bars, Restaurants und Einkaufszentren teilweise wieder öffnen dürfen. Auch einige sportliche Aktivitäten sind wieder erlaubt. Schon am Samstagvormittag strömten wieder viele Menschen an die Strände.

Radfahrer und Läufer in Rio de Janeiro
www.picturedesk.com/Silvia Izquierdo
Die Normalität kehrt auch in Rio langsam zurück

Rio de Janeiro ist mit mehr als 6.400 Todes- und 63.000 Infektionsfällen der am zweitstärksten betroffene Bundesstaat Brasiliens. Die strengen Maßnahmen in Rio hätten mehr als 46.000 Menschen das Leben gerettet, twitterte Witzel, der in der Coronavirus-Pandemie einer der schärfsten Kritiker von Bolsonaro ist.

Angekündigt waren am Sonntag unterdessen wieder Demonstrationen. Bereits am vergangenen Sonntag waren Bolsonaro-Anhänger vor dem Obersten Gerichtshof des südamerikanischen Landes aufmarschiert. Protestiert wurde unter anderem gegen die Justiz und Ermittlungen gegen ein mutmaßliches Netzwerk, dem die Verbreitung von „Fake News“ zugunsten der Regierung vorgeworfen wird. Es kam zu Gegenprotesten von Regierungsgegnern, die von Fußballfans organisiert wurden. Diese richteten sich gegen die aus ihrer Sicht antidemokratischen Tendenzen der Regierung Bolsonaros.