Bücher auf einem Teppich
ORF.at/Lukas Krummholz
Sommerbücher 2020

Die Krimis und Thriller für den Sommer

Mit viel Spannung, Gesellschaftskritik und interessanten Erzählperspektiven locken die Krimis und Thriller dieser Saison. Von Nigeria über die USA bis nach Italien, von Dänemark über Südkorea bis ins Wiener Milieu werden Mörder gejagt und Serienmorde verübt.

Serienmorde mit Schwesternpower

Als „Granatenbuch: scharf, explosiv, wahnsinnig komisch“ hat die „New York Times Book Review“ das für den Booker Prize nominierte Debüt der Nigerianerin Oyinkan Braithwaite bezeichnet. Im Zentrum stehen zwei gegensätzliche Schwestern, die eine sexy und männermordend, die andere Krankenschwester und praktisch veranlagt. Bei der Leichenbeseitigung wird aus Geschwisterrivalität solidarisches Saubermachen. Krimi, Satire und Familienroman in einem, überzeugt die Story mit coolen Protagonistinnen und Einblicken in die nigerianische Gesellschaft. (Paula Pfoser, für ORF.at)

Oyinkan Braithwaite: Meine Schwester, die Serienmörderin. Aus dem Englischen von Yasemin Dincer. Blumenbar, 240 Seiten, 20,60 Euro.

Bücher auf einem Holztisch
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Killer mit philosophischem Instinkt

Noch ein Krimi aus Serienmörderperspektive, diesmal mit philosophischen Einsprengseln und einer genialen Erzählidee: Der 70-jährige Serienmörder Kim hat Alzheimer und schreibt in Tagebucheinträgen gegen das Vergessen an. Der letzte Mord ist 25 Jahre her, jetzt aber ist seine Tochter in Gefahr. Für Kim die letzte Aufgabe: seinen Serienmörder-Rivalen zur Strecke zu bringen, bevor ihm die Kontrolle entgleitet. Autor ist der Koreaner Kim Young-ha, einer der populärsten seines Landes. (Paula Pfoser, für ORF.at)

Kim Young-ha: Aufzeichnungen eines Serienmörders. Aus dem Koreanischen von Inwon Park. Cass Verlag, 152 Seiten, 20,60 Euro.

Kopflos in Bologna

Commissario de Luca hätte lediglich eine Schwarzmarktrazzia leiten sollen. Dass er dabei nicht nur Würste, Zigaretten und Kaffee, sondern auch einen Toten ohne Kopf findet, kommt ungelegen, die Leichenschauhäuser von Bologna sind wegen eines Bombenangriffs der Alliierten voll. Es ist Juli 1943, in wenigen Tagen wird Mussolini abgesetzt, die folgenden Wochen sind chaotisch und potenziell tödlich: „Hundechristus“ ist ein dicht gewebter Krimi vor dem zeitgeschichtlich turbulenten Panorama des Hochsommers 1943 und der sechste Krimi um den Starermittler mit der feinen Nase. (Magdalena Miedl, für ORF.at)

Carlo Lucarelli: Hundechristus. Ein Commissario-de-Luca-Krimi. Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl. Folio, 272 Seiten, 18 Euro.

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Fesselndes Gerichtsdrama

Wie weit würde man gehen, um seine intimsten Geheimnisse zu bewahren? In Angie Kims Debütroman „Miracle Creek“ geht eine Scheune in Flammen auf, zwei Menschen sterben bei dem Unglück. Eine schuldige Person ist schnell gefunden, die Beweise sind erdrückend. Während die Zeugen vor Gericht aussagen, wird jedoch schnell klar: Hier hat jeder etwas zu verbergen. Es entspinnt sich ein Netz aus Lügen und Intrigen, das die Lesenden bis zum Schluss nicht loslässt: Was ist wirklich passiert? Und warum? Eine Mischung aus spannendem Gerichtsthriller und tragischer Familiengeschichte. (Sonia Neufeld, ORF.at)

Angie Kim: Miracle Creek. Aus dem Amerikanischen von Marieke Heimburger. Hanserblau, 512 Seiten, 22,70 Euro.

Ein Auto voller Drogen

Wie jede Saison liefert der Verlag polar auch diesmal wieder packende Noir- und Hardboiled-Krimis mit viel Gegenwartsbezug. Drei davon empfiehlt ORF.at. Erstens: Katherine Faws „Young God“. Die junge Nikki hat ein paar klitzekleine Probleme. Der Freund ihrer toten Mutter will etwas von ihr, woraufhin sie sein Auto voller Drogen stiehlt und damit zu ihrem Vater, der gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde, flieht. Und das ist erst der Anfang dieses etwas anderen Thrillers im Drogenmafia-Milieu. Die Bong auf dem Cover ist Programm. (Simon Hadler, ORF.at)

Katherine Faw: Young God. Aus dem Amerikanischen von Alf Mayer. Polar, 200 Seiten, 12,50 Euro.

Schuld, Sühne und ein Doppelmord

Die zweite Empfehlung aus dem polar Verlag: „Todesmörder“. Der Titel ist nur auf den ersten Blick doppelt gemoppelt. Varg Veum ist ein Detektiv vom Typ „einsamer Wolf“ aus der zweitgrößten norwegischen Stadt Bergen. Seine Vergangenheit als Sozialarbeiter holt ihn ein. Kämpft ein bemitleidenswerter Bub, mit dem er damals zu tun hatte, heute als Erwachsener mit einem Doppelmord um seinen Glauben an das Leben selbst? Und was hat das mit Veum zu tun? Als es zu einer Geiselnahme kommt, beginnt der Detektiv an der Schuld des jungen Mannes zu zweifeln. Ein Skandinavien-Krimi in bester Tradition. (Simon Hadler, ORF.at)

Gunnar Staalesen: Todesmörder. Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs und Nils Schulz. Polar, 420 Seiten, 22,70 Euro.

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Rassismus und Verbrechen in Trumps Amerika

Die dritte Empfehlung aus dem polar Verlag: Attica Locke ist kein unbeschriebenes Blatt. Ihr erstes Buch über den afroamerikanischen Texas Ranger Darren Mathews führte in Deutschland die Krimi-Bestsellerliste an. In Teil zwei, „Heaven, My Home“, geht es erneut um Rassismus, Verbrechen und die Verstrickungen der Politik in beide. Diesmal wird die (im Roman erst angehende) Präsidentschaft Donald Trumps zum Thema. Eine arische Bruderschaft will sich am vermeintlichen Mörder eines Buben rächen. Matthews muss einschreiten – und herausfinden, wer hinter dem Mord steht. Doch die Leiche fehlt – der Bursch könnte auch entführt worden sein. Ein Wettrennen gegen die Zeit beginnt. (Simon Hadler, ORF.at)

Attica Locke: Heaven, My Home. Aus dem Amerikanischen von Susanna Mende. Polar, 338 Seiten, 22,50 Seiten.

Laster und Mord im maroden Wien

Wien während der ersten Jahre nach dem Ersten Weltkrieg. Die Monarchie ist Geschichte, der Sommer lässt Wien ächzen, und die Armut grassiert in der maroden, aber immer noch „kaiserlichen“ Stadt. Mittendrin ermittelt August Emmerich in gewohnter Manier in einem mysteriösen Todesfall. Zwei junge Nackttänzerinnen wurden brutal ermordet, und es gibt keine Spur zum Mörder. Doch Emmerich wird von dem Fall abgezogen, weil er wieder einmal zur Obrigkeit frech war. Alex Beer auf der Höhe ihrer Kunst, ganz so (ein wenig zu sehr so?), wie man das aus den ersten drei Emmerich-Bänden kennt. (Antonia Skolle, ORF.at)

Alex Beer: Das schwarze Band. Ein Fall für August Emmerich. Limes, 352 Seiten, 20,60 Euro.

Hochspannende Bilder im Kopf

Endlich gibt es eine neue weibliche Ermittlerfigur im US-Polizeikrimi. Renee Ballard, strafversetzt in die Nachtschicht des LAPD, ist Einzelgängerin, Surferin, begabt, ehrgeizig und unbestechlich. Autor Michael Connelly, Erfinder von Detective Harry Bosch, lässt Ballards ersten Fall im Nachtclub- und Prostituiertenmilieu von Los Angeles spielen. Wenn man mit dem Pageturner fertig ist, weiß man nach ein paar Tagen nicht mehr, ob man die Geschichte gelesen oder als Serie gesehen hat, so eindrücklich prägen sich die Bilder, die Connelly geschaffen hat, ins Gedächtnis ein. (Sonia Neufeld, ORF.at)

Michael Connelly: Late Show. Renee Ballard – Ihr erster Fall. Aus dem Amerikanischen von Sepp Leeb. Kampa, 432 Seiten, 20,50 Euro.

Der Mörder mit dem Lastenrad

In Katrine Engbergs Kopenhagen-Krimi „Glasflügel“ entsorgt der Mörder seine Opfer mit dem Fahrrad. Zwölf Schnitte finden die Ermittler an den Leichen, die ausgeblutet in städtischen Brunnen liegen. Eine Todesart, die an den Suizid des magersüchtigen Mädchens Pernille erinnert. Will sich jemand an ihren Betreuern rächen? Engberg springt gekonnt zwischen verschiedenen Schauplätzen, erzählt vom Sex im Alter, von postnataler Depression, vom Patchwork in neuen Beziehungen, von der schwierigen Arbeit mit psychisch kranken Jugendlichen – und von der Mörderjagd. Klug, spannend, weltoffen – ein Krimi, wie ihn dieser Sommer braucht. (Maya McKechneay, für ORF.at)

Katrine Engberg: Glasflügel. Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg. Diogenes, 426 Seiten, 20,60 Euro.

Supersauber in Ottakring

Die Sympathien sind klar verteilt: „Kieberer“ sind grundsätzlich Rassisten, Frauen prinzipiell die interessanten Menschen, und auf verkrachte Poetinnen mit Hang zum Nachmittagsrausch ist fast immer Verlass. In „Zu viele Putzfrauen“ wird eine alte nette Dame mit einer Krücke erschlagen aufgefunden, die Polizei verdächtigt Dragica, die immer für sie einkaufen war und zwei kriminelle Brüder hat, aber das ist halt doch zu schlicht gedacht. Ein dialektlastiger Krimi mit großem Potenzial zur Tschocherl-Lektüre. (Magdalena Miedl, für ORF.at)

El Awadalla: Zu viele Putzfrauen. Ein Wiener Krimi. Milena, 160 Seiten, 19 Euro.