Felder in Österreich
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Pandemie

Neue Chancen für Kampf gegen Klimakrise

Protestierende „Fridays for Future“-Aktivisten und -Aktivistinnen auf der Straße, Greta Thunberg in Davos, die Buschbrände in Australien – der Beginn des Jahres ist ganz im Zeichen der Klimakrise gestanden. Doch dann kam die Coronavirus-Pandemie und brachte die Welt zum Stillstand. Während sie sich langsam wieder zu drehen beginnt, werden auch Stimmen lauter, die nun einen „grünen Wiederaufbau“ der Wirtschaft fordern. Was bei der Pandemie entscheidend ist, gilt noch viel mehr bei der Klimakrise: „die Kurve flach halten“.

Anfang April, also kurz nach dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie in Europa, warnte die UNO davor, dass die Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft im Kampf gegen die Klimaveränderung nicht nachlassen dürften. Schließlich befürchte man, dass einige Länder ihre Bemühungen zurückfahren werden, hieß es damals.

Die Warnung scheint nicht ganz unerhört geblieben zu sein. Gut zwei Monate später wird auf EU-Ebene darüber nachgedacht, das 750 Milliarden Euro schwere Konjunkturpaket mit Klimaschutzzielen in Verbindung zu bringen. Als neue Einnahmequelle könnte der EU eine CO2-Grenzsteuer dienen.

Hierzulande bemühte man sich, die Rettung der AUA zumindest mit grünen Begleitmaßnahmen zu versehen, indem man diese etwa mit einer Erhöhung der Flugticketabgabe sowie mit einem bundesweiten „Öffi“-Ticket um drei Euro am Tag verknüpfte – für Klimaschützer und Klimaschützerinnen zweifellos zu wenig.

Teilnehmer der Aktion „Earth Strike“ in Wien
APA/Hans Punz
„Fridays for Future“-Aktivisten und Aktivistinnen, die bis März noch auf der Straße demonstrierten, fordern nun einen „Klima-Corona-Deal“

„Jetzt ist der Moment“

Zahlreiche nationale und internationale Experten und Expertinnen aus Bereichen der Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft drängen seit Ausbruch der Pandemie darauf, die Coronavirus-Krise als Wendepunkt im Kampf gegen den Klimawandel zu nutzen und einen „grünen Wiederaufbau“ zu fokussieren. Ob 17-jährige Schülerin, Unternehmer oder Wissenschaftlerin, so unterschiedlich die Verfechter der Botschaft auch sein mögen, der Tenor ist immer der Gleiche:

Es dürfe kein Konjunkturprogramm zur Wiederbelebung der „Wirtschaft von gestern“, kein „Weiter so“ geben, sondern es brauche einen Plan für den Übergang in eine zukunftsfähige Gesellschaft von morgen. Der Einsatz öffentlicher Gelder böte dafür eine historische Möglichkeit, die Zahlung von staatlichen Rettungsgeldern von der Vereinbarkeit mit Klimaschutz abhängig zu machen.

Auch die Kulturwissenschaftlerin Eva Horn zeigt sich im Gespräch mit ORF.at davon überzeugt, dass jetzt der Moment sei, ganz konkrete Maßnahmen durchzusetzen – etwa klimaschonenderen Verkehr, weniger Flüge, Steuern auf CO2 und andere klimaschädliche Produkte wie Fleisch. Und fügt hinzu: „Das wäre kein schlechteres Leben – aber ein anderes“, so Horn, die auch im Vorstand des Climate Change Centre Austria (CCCA) ist.

Klimaökonom: Kein „Klimamascherl“ mehr

Laut dem Klimaökonom und Wissenschaftler des CCCA-Netzwerks, Karl Steininger, könnte ein Konjunkturprogramm, bei dem Infrastrukturen in Gebäuden, Verkehrssystem und Industrie aufgebaut werden, ein bedeutender Schritt zu einer klimaneutralen Wirtschaft sein. „Mindestens genauso wichtig“ seien aber auch ordnungsrechtliche Veränderungen, die sich beispielsweise auf eine Neuregelung des Energie- und Elektrizitätsmarktes beziehen, so Steininger gegenüber ORF.at.

„Grüner Wiederaufbau“?

85 Prozent der Österreicher und Österreicherinnen sprechen sich laut einer Greenpeace-Umfrage für einen Wiederaufbau der Wirtschaft aus, der auch den Klimaschutz berücksichtigt.

Als zentralsten Punkt sieht Steininger allerdings einen „Klimacheck“ für alle öffentlichen Maßnahmen. Es gehe nicht länger darum, Teile des Budgets mit einem „Klimamascherl“ zu versehen, sondern darum, alle Maßnahmen klimafreundlich auszurichten. Das von der Regierung umgesetzte „1-2-3-Ticket“ sowie Pop-up-Radwege seien zwar „wichtige Ausprägungen“, allerdings brauche es eine „systemische gesamthafte Transformation“, wenn das im Regierungsprogramm festgeschriebene Ziel der Klimaneutralität 2040 erreicht werden wolle. Das derzeit laufende Klimavolksbegehren fordert sogar, ein Recht auf Klimaschutz in der Verfassung zu verankern.

Wirtschaftlicher Aufschwung durch Klimaschutz

Klimaschutzmaßnahmen könnten aber nicht nur der Umwelt helfen sich zu erholen, sondern auch der Wirtschaft. In einer von 180 EU-Abgeordneten, Managern, Gewerkschaftern, NGOs und Experten sowie Expertinnen unterzeichneten Erklärung der neu geschaffenen Green Recovery Allicance ist zu lesen: „Nach der Krise wird die Zeit zum Wiederaufbau kommen. Der Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft, der Schutz der Artenvielfalt und die Umgestaltung der Agrar- und Lebensmittelindustrie bieten die Möglichkeit zum schnellen Aufbau von Jobs und Wachstum.“

Leere Donauuferautobahn
Reuters/Lisi Niesner
Im Umwelt- und Infrastrukturministerium will man beim Weg aus der Coronavirus-Krise die Weichen nun „richtig stellen“

Umweltministerium: Klimaschutz als Konjunkturprogramm

Dass auf dem Weg aus der Coronavirus-Krise nun die Zeit sei, die „Weichen richtig zu stellen“, davon zeigt man sich auch im Umwelt- und Infrastrukturministerium überzeugt. So heißt es in einer Stellungnahme gegenüber ORF.at: „Wir werden investieren müssen gegen eine drohende Wirtschafts- und Arbeitsmarktkrise und gegen die drohende Klimakrise.“ Klimaschutz sei dabei „das beste Konjunkturprogramm“. So habe man bereits 300 Millionen Euro in den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, 200 Millionen Euro für den Schutz heimischer Gewässer investiert.

Auch die Arbeiten an einer ökosozialen Steuerreform seien während der Krise weitergegangen, allerdings bleibt man hier beim ursprünglichen Zeitplan: „Umsetzung des ersten Schritts 2021 und dann der Einstieg in die CO2-Bepreisung 2022.“ Insgesamt stünden dem Ministerium rund fünf Milliarden Euro zur Verfügung, 461 Millionen davon belaufen sich auf die Bereiche Klima, Umwelt und Energie.

Die Erhöhung angesichts der Cornavirus-Krise um 160 Millionen für Klimaschutz ist für die Jugendbewegung „Fridays for Future“ allerdings „ein Witz“. Damit könnten die Klimaziele nicht erreicht werden, so die Kritik, die sich auch gegen die staatliche Unterstützung der AUA wandte. Zum Vergleich: Hier sprang die Regierung zur Rettung mit 450 Millionen ein – 300 in Form von Garantien, 150 als Zuschuss.

Eine schriftliche Anfrage an das Finanzministerium zum Thema wirtschaftlicher Wiederaufbau nach der Coronavirus-Krise im Hinblick auf Klimaschutz blieb vorerst unbeantwortet.

Flugzeuge auf einem Flugplatz
ORF.at/Christian Öser
Für die Rettung der AUA kommen 450 Mio. Euro vom Staat. Für den Klimaschutz gibt es aufgrund der Krise 160 Mio. Euro mehr.

Lehren aus der Coronavirus-Krise

Für die Kulturwissenschaftlerin Horn könnte die Pandemie vor allem ein Wendepunkt sein, was den Umgang mit Krisen betrifft: „Krisen, die wir zwar voraussehen konnten, aber an deren Wirklichkeit wir nicht geglaubt haben. Wir müssen endlich lernen zu glauben, was wir wissen“, so Horn, die auch Vergleiche zwischen den beiden Krisen zieht: „Bei Corona mussten in schnellster Zeit und bei unzureichenden Informationen Entscheidungen gefällt werden, die sehr teuer sind – aber richtig. Gerade weil sie so unpopulär und so riskant waren.“

Der Klimawandel sei jedoch ein viel weitreichenderes Problem als die Pandemie – „und auch hier stehen wir unter massivem Zeitdruck“. Denn genau wie bei der Coronavirus-Krise könne es auch bei der ökologischen Krise zum „Kippen“ wichtiger Faktoren kommen – etwa einer zunehmenden Schmelze von Polareis. „Und wenn das geschieht, ist es zu spät“, so Horn.

Eisbär auf einer Eisscholle
AP/TAPIR/Ric Tapia
Wie auch bei der Coronavirus-Krise könnten „Tipping Points“ die Situation zum Kippen bringen. Im Fall der Klimakrise ist das etwa die zunehmende Schmelze des Polareises.

Kein Impfstoff gegen Klimawandel

Ähnlich wie beim Coronavirus gilt es somit auch in der Klimapolitik, die „Kurve abzuflachen“, wie es die Präsidenten von Österreich, Deutschland und der Schweiz in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („FAZ“) kürzlich formulierten. In Fall der Klimakrise bedeute das, den Ausstoß klimaschädliche Emissionen zu reduzieren.

Denn einen Impfstoff als Allheilmittel wird es beim Klimawandel nicht geben. So schreibt auch die Monatszeitung „Le Monde diplomatique“ („LMd"): Während die Menschheit die Pandemie überstehen werde, werden bei der Klimakrise „irreversible Schäden unvermeidbar“ sein. Als Schlussfolgerung ergebe sich daher: „Der Klimawandel zwingt uns, viel mehr noch als Covid-19, unser sozio-ökonomisches System infrage zustellen.“

Aus dem Umweltministerium heißt es dazu: „Jede Krise ist eine Zäsur. Wir haben in der Coronavirus-Krise gesehen, wie sich Krise anfühlt. Wenn die Klimakrise einmal da ist, geht sie nicht mehr weg. Dann wird der Krisenzustand zum Dauerzustand.“ Dennoch habe man gemerkt, was gemeinsam erreicht werden könne, wenn man sich mit „Entschlossenheit und Mut“ einer Herausforderung stelle. „Das können wir sicher für den Kampf gegen die Klimakrise mitnehmen.“

Klimaforscher: Große Krise liegt noch vor uns

Wie dringend gehandelt werden müsste, zeigt nicht zuletzt auch der neue Klimastatusbericht. Laut diesem war 2019 das drittwärmste Jahr in der 250-jährigen Messgeschichte. Auch 2020 fiel bisher rund zwei Grad wärmer aus als die langjährige mittlere Temperatur. Und für den Rest des Jahres stehen die Zeichen vielerorts auf Extremwetter. Daher warnt der Studienleiter Herbert Formayer: „Wenn wir nichts tun, dann sind wir wirklich bald in einer ganz anderen Welt.“

Ähnliches ist auch im offenen Brief des CCCA zu lesen: „Als Klimaforscher und Klimaforscherinnen wissen wir, dass die große Krise noch vor uns liegt.“ Wenn dem Klimawandel nicht jetzt gegengesteuert werde, werde sich dieser „weit katastrophaler entwickeln als alle Szenarien, die im Zusammenhang mit Covid-19 vorgestellt wurden“.