SOKO-„Tape“-Leiter Andreas Holzer
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„Ibiza“-U-Ausschuss

Zündstoff für Disput zwischen Ermittlern

Befangenheit, Ermittlungsmängel, Misstrauen: Die Vorwürfe gegen die „SoKo Ibiza“ sind enorm – und zuletzt lauter geworden. Insbesondere nach dem Fund des vollständigen „Ibiza“-Materials Ende April war die SoKo mit Kritik konfrontiert. Am Mittwoch widersprach der Leiter der Sonderkommission, Andreas Holzer, der Sichtweise eines Oberstaatsanwalts der WKStA. Eine Gegenüberstellung steht im Raum.

Am Dienstag hatte sich der Oberstaatsanwalt der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), Matthias Purkart, punktuell über das Vorgehen der „SoKo Ibiza“ im Zuge der Ermittlungen in der „Ibiza“-Affäre und der Causa Casinos beklagt. Die Sonderkommission führt unter der Leitung von Holzer 40 Verfahren. Neben Mängeln bei der Beschlagnahmung von Beweismaterial – etwa von Chatprotokollen und Tagebüchern – wurde auch eine Befangenheit eines Beamten der SoKo geortet. Dieser hatte eine „Kopf-hoch-SMS“ an den damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache nach dessen Rücktritt geschrieben.

Die „SoKo Ibiza“ wurde Ende Mai 2019 im Bundeskriminalamt eingerichtet. Sie soll der WKStA und der Staatsanwaltschaft (StA) Wien zuarbeiten – die WKStA ermittelt wegen möglicher Korruptionsdelikte, die StA Wien gegen die mutmaßlichen Hinterleute des „Ibiza-Videos“. Am 20. April fanden die SoKo-Ermittler das ganze „Ibiza“-Material in einer Wohnung in Wiener Neustadt. Gleich darauf informierten sie die StA Wien, die die Hausdurchsuchung bewilligte. Die WKStA wurde darüber allerdings nicht informiert. Der zuständige Oberstaatsanwalt Purkart sagte im Ausschuss, man sei „brüskiert“ gewesen.

Blick ins Ausschusslokal VII
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Im U-Ausschuss ging es am vierten Tag heiß her: Der „SoKo Ibiza“-Leiter Holzer widersprach einem WKStA-Oberstaatsanwalt

Debatte über Zuständigkeiten

„Ich empfinde es nicht als brüskierend, wenn man Anordnungen umsetzt. Es gab die Anordnung an meine Beamten, Aktenteile nicht von einer Anklagebehörde an die andere weiterzugeben“, sagte Holzer in Reaktion auf Purkarts Aussagen vom Vortag den Abgeordneten des Ausschusses. Es habe viele Besprechungen gegeben, wer wem was zur Verfügung stellt und welche Anklagebehörde wen informiert. Darum sei man davon ausgegangen, dass die StA Wien die WKStA informieren werde. Ob etwas davon verschriftlicht wurde, ist unklar. „Sichergestellt wurde das Video im Zuge des Verfahrens der StA Wien“, so Holzer.

SPÖ-Fraktionschef Kai Jan Krainer wollte das nicht wahrhaben. Warum gibt die SoKo nur einer Staatsanwaltschaft das Video, wenn beide den Auftrag zur Beschlagnahmung erteilt hatten? „Die SoKo ist ja eine Einheit“, sagte Krainer und ergänzte, dass die Vorgehensweise einer „Schizophrenie einer Behörde (der Polizei, Anm.)“ gleiche, die man nicht regeln könne. Ausschussvorsitzender Wolfgang Sobotka (ÖVP) sagte sinngemäß: Das sei die Folge, wenn sich WKStA und StA Wien nicht einig sind.

Von „Bauchweh“ und „Auffassungsunterschieden“

WKStA-Oberstaatsanwalt Purkart hatte das in seiner Befragung anders dargestellt. Dass die WKStA von der SoKo nicht über den Videofund informiert wurde, sei „nicht vertrauensbildend“ gewesen – der „Hausverstand sagt, dass wir das als Leiterin des Verfahrens hätten erfahren müssen“, so der Oberstaatsanwalt. Die WKStA hatte im Mai 2018 den Auftrag dazu erteilt und ein Jahr später öffentlich bekanntgegeben, dass sie vom Videofund erst am 27. Mai aus den Medien erfahren habe. Überhaupt sei das Verhältnis zwischen WKStA und der „SoKo Ibiza“ schon davor nicht ganz friktionslos gewesen. Die Zusammenarbeit habe Purkart anfänglich „Bauchweh“ bereitet.

„Es gab Auffassungsunterschiede“, bestätigte der SoKo-Leiter. Allerdings konnten diese seiner Meinung nach „jedes Mal ausgeräumt“ werden. Das liege auch daran, dass sich die „SoKo Ibiza“ als „Verbindungsglied“ zwischen den Verfahren der StA Wien und der WKStA sehe – was aber „innerhalb der Justiz vorgeht, ist nicht Sache der Kriminalpolizei“, sagte Holzer und betonte, dass die WKStA im Besitz von Akten sei, die der „SoKo Ibiza“ nicht vorlägen. „Es ist aber nicht möglich, dass die ‚SoKo Ibiza‘ Dokumente besitzt, die die WKStA nicht hat.“

Scan schlecht lesbar, Original lesbar

Für Verwunderung sorgte zuletzt eine von der FPÖ benannte „Schattenaffäre“: Ein Scan einer beschlagnahmten Notiz war laut Purkart von der Sonderkommission unleserlich an die WKStA übermittelt worden. Die Qualität sei schrecklich gewesen, „da hat es uns die Augen rausgehaut“, sagte der Oberstaatsanwalt. „Im Original war das aber sehr wohl lesbar.“ Das unter dem Schatten bzw. durch den Scanvorgang Verdeckte sei ein Termin – von Casinos-Aufsichtsratspräsident Walter Rothensteiner verschriftlicht – von Casinos-Aufsichtsratspräsident-Stellvertreter Josef Pröll und Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gewesen. Es soll um den Casinos-Vorstand gegangen sein.

Eva Holzleitner (SPÖ)
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SPÖ-Mandatarin Eva-Maria Holzleitner wollte mehr über die Sicherstellung von Handys wissen

Um welchen Scanner es sich genau gehandelt habe, entziehe sich seiner Kenntnis, sagte Holzer. Er versuchte, die „Schattenaffäre“ aufzuklären: Die Notiz von Rothensteiner habe man in Papierform bei einer Hausdurchsuchung sichergestellt. Die WKStA wollte die Notiz in digitaler Form, also musste man das Dokument einscannen. Holzer sei von seinen Beamten und Beamtinnen informiert worden, dass man der WKStA mitgeteilt hatte, dass der Scan schlecht lesbar sei, weshalb man das Original der Korruptionsstaatsanwaltschaft angeboten und übergeben habe.

Holzer wiederholte mehrmals, dass die Originale übergeben wurden und diese lesbar gewesen seien. „Alles andere ist eine Verschwörungstheorie“, sagte er. Über das Treffen zwischen Pröll und Kurz ist bisher noch wenig bekannt. Es wurde schon einmal in Medien thematisiert, war also nicht neu. Ende Juni ist der Bundeskanzler vor den Ausschuss geladen, dann wird es wohl auch um Fragen zu der Notiz von Rothensteiner gehen.

„SoKo Ibiza“ laut Holzer zu 100 Prozent objektiv

Holzer wies auch den Vorwurf zurück, dass der mittlerweile ausgeschiedene „SoKo-Ibiza“-Beamte Niko R. befangen gewesen sei. Er hielt fest, dass seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu 100 Prozent objektiv seien. Grüne und NEOS konnten das im Ausschuss nicht nachvollziehen – ins Treffen geführt wurde also die „Kopf-hoch-SMS“ von R. Allerdings habe eine Überprüfung des Beamten gezeigt, dass eine Anscheinsbefangenheit nicht vorliege – damit widersprach Holzer der Darstellung, dass dieser parteiisch sei. Der SoKo-Mitarbeiter soll Strache damit aufgemuntert haben, nach Publikwerden des „Ibiza-Videos“ von einem Rücktritt abzusehen.

Nationalratspräsident Werner Sobotka im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss
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Ausschussvorsitzender Sobotka führte am Mittwoch eine etwas laute Debatte über die Zulässigkeit von Fragen

Auf direkte Nachfrage bei Niko R. habe er, Holzer, erfahren, dass dieser kein freundschaftliches Verhältnis mit Strache pflege. Der SoKo-Leiter versicherte, dass sich seine Personalauswahl „rein nach Qualität und Expertise“ orientiere. Das „Ibiza“-Verfahren sei komplex und benötige Fachleute. Er sei an R. herangetreten, und dieser habe bereits beim Rekrutierungsgespräch über die SMS informiert. R. habe sich aber nicht mehr an den Inhalt der SMS erinnern können, so Holzer, den Wortlaut habe er nicht vorgelesen bekommen. Für eine Befangenheit reiche eine SMS aber nicht.

BMI-Generalsekretär Tomac: Abgegebenes Bild nicht optimal

Der Generalsekretär im Innenministerium, Helmut Tomac, sprach in der ZIB2 über die Zusammenarbeit zwischen Justiz und Innenministerium bei den Ermittlungen in der „Ibiza“-Aufarbeitung.

Niko R. ermittelte auch in der „Schredderaffäre“. Nach der Veröffentlichung des „Ibiza-Videos“ ließ ein Kabinettsmitarbeiter von Kurz Festplatten vernichten. Die WKStA vermutete einen Zusammenhang mit der „Ibiza-Affäre“ und ließ ermitteln. R. hatte aber weder das Handy des Kurz-Mitarbeiters beschlagnahmt noch die freiwillige Nachschau in der ÖVP-Zentrale durchgeführt. Seine Begründung: „Da bei der persönlichen Kontaktaufnahme mit dem Beschuldigten mehrere ÖVP-Mitarbeiter vom Einschreiten Kenntnis erlangten, wurde von einem weiteren Einschreiten Abstand genommen.“ Das Verfahren wurde von der StA Wien eingestellt. Laut Holzer wurde alles mit der WKStA abgesprochen.

Flugmodus aus, Bildschirmsperre ein

Eine weitere Konfliktlinie entstand offenbar bei der Hausdurchsuchung bei Ex-Vizekanzler Strache. Laut Purkart gab es Mängel bei der Sicherstellung des Handys. Das sei das „Herz“ der Sache gewesen, deshalb habe man sogar einen Leitfaden dazu erarbeitet, sagte der Oberstaatsanwalt der WKStA. Schließlich sei dieser aber überflüssig gewesen, weil Strache zwar ein entsperrtes Handy übergeben hatte, die „SoKo Ibiza“ sich aber darum nicht gekümmert habe und das Handy deshalb wieder automatisch gesperrt wurde.

David Stögmüller (Grüne)
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Grünen-Mandatar David Stögmüller warf Holzer vor, ein paar Sachen verschwiegen zu haben

Holzer gab dem Oberstaatsanwalt recht, widersprach aber auch gleichzeitig. Der Auftrag sei gewesen, bei Straches Handy den Flugmodus einzuschalten, um eine Datenlöschung zu verhindern. Der Einsatz sei aus Sicht der Polizei und der WKStA als sehr gut bewertet worden, so Holzer. Die darauffolgende Bildschirmsperre habe man schließlich mit Straches Entgegenkommen entsperren können. Dafür mussten Chatprotokolle mit dessen Anwalt gelöscht werden, was wiederum die „SoKo Ibiza“ nicht gewusst haben soll – die WKStA laut Holzer schon.

Grünen-Mandatar David Stögmüller zitierte anschließend aus dem WKStA-Leitfaden, wonach die „SoKo Ibiza“ nicht nur den Flugmodus einzuschalten, sondern auch die automatische Bildschirmsperre zu deaktivieren habe. Das habe Holzer nicht dazugesagt, so Stögmüller. Holzer sagte: Das Smartphone sei entsperrt sichergestellt worden.