Entfernung der Statue von Robert Milligan in London
Reuters/John Sibley
Sturz der Statuen

Debatte über Protest und Symbolpolitik

Im Zuge der Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus sind bereits zahlreiche Statuen in den USA und der ganzen Welt demontiert worden. Die Demonstrierenden verliehen damit ihrem Zorn Ausdruck, dass rassistische historische Figuren wie Sklavenhändler geehrt wurden. Nun sollen auch Denkmäler im US-Kongress fallen.

Enthauptet, heruntergerissen beschmiert: Wut und Frustration bei den weltweiten Protesten gegen Rassismus entladen sich an Denkmälern. Im Zuge der Proteste gegen die Tötung des Afroamerikaners George Floyd durch einen weißen Polizisten hatten Demonstranten begonnen, Denkmäler für Rassisten, Sklavenhändler und Kolonialisten anzugreifen.

Im britischen Bristol wurde am vergangenen Wochenende die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston (1636–1721) vom Sockel gerissen und ins Hafenbecken geworfen. Eine Statue des ehemaligen britischen Premierministers Winston Churchill gegenüber dem Parlament und ein Kriegsdenkmal in der Londoner Innenstadt wurden am Freitag zum Schutz vernagelt. In London sind in den kommenden Tagen große Proteste angekündigt. Die Statue war zuvor bereist beschmiert worden, Churchill sei ein Rassist gewesen.

Menschen demonstrieren vor Statue von Winston Churchill in London
Reuters/Peter Nicholls/John Sibley
Vorher und nachher: Churchills Statue wurde im Vorfeld der angekündigten Demos vor Angriffen geschützt

Premier Boris Johnson zeigte sich empört: Es sei „absurd und beschämend“, dass heutzutage ein Bildnis Churchills von „gewalttätigen Demonstranten angegriffen“ werden könne. Churchill habe Großbritannien und ganz Europa von der Tyrannei der Nazis befreit. „Ja, er hat manchmal Meinungen vertreten, die inakzeptabel waren und sind, aber er war ein Held und er hat dieses Denkmal verdient“, sagte Johnson. „Diese Statuen lehren uns etwas über unsere Vergangenheit, mit all ihren Fehlern.“ Er warnte vor Versuchen, „unsere Vergangenheit umzuschreiben oder zu zensieren“.

Vorwürfe gegen Pfadfindergründer

Die britische Debatte erreichte auch den Gründer der Pfadfinderbewegung, Robert Baden-Powell. Er war Ende des 19. Jahrhunderts als Offizier für das britische Empire im Krieg gegen die Buren im südlichen Afrika im Einsatz. Baden-Powell wird vorgeworfen, rassistische und homophobe Ansichten vertreten sowie freundschaftliche Beziehungen zu Vertretern der Hitlerjugend unterhalten zu haben.

Statue von Robert Baden-Powell im Hafen von Poole
AP/PA/Andrew Matthews
Baden-Powell gründete die Pfadfinder. Er ist keine unumstrittene Figur.

Zudem gibt es den Vorwurf, Baden-Powell sei im heutigen Simbabwe an der unrechtmäßigen Hinrichtung von Kriegsgefangenen bei der Niederschlagung eines Aufstands der heimischen Bevölkerung beteiligt gewesen. Nun entfernten die lokalen Behörden die Statue aus Sorge vor Beschädigung vorübergehend, weil sie auf einer Liste möglicher Ziele von Demonstranten stehe, wie es hieß.

Colston-Statue landet im Fluss

In Bristol warfen Demonstranten eine Statue ins Wasser

Stadt entfernt Statue von Namensgeber

Auch in der ehemaligen britischen Kolonie Neuseeland sind Rassistenstatuen Thema: Am Freitag entfernte die Stadt Hamilton die Statue ihres eigenen Namensgebers aus der Kolonialzeit. Ein Kran hob die Bronzeskulptur des britischen Militärkommandanten John Fane Charles Hamilton vom Stadtplatz, nachdem Maori-Vertreter darum gebeten hatten.

Der Stadtrat von Hamilton hatte die Statue als ein „Symbol für kulturelle Zwietracht und Unterdrückung“ bezeichnet. „Wir können nicht ignorieren, was überall auf der Welt geschieht, und das sollten wir auch nicht“, sagte Bürgermeisterin Paula Southgate. In einer Zeit, in der versucht werde, Toleranz und Verständnis aufzubauen, helfe die Statue nicht, „diese Kluft zu überbrücken“.

Statue von Captain John Fane Charles Hamilton in Neuseeland wird entfernt
APA/AFP/Michael Bradley
Hamilton wird abtransportiert: Die Stadt in Neuseeland wendet sich von ihrem Namensgeber ab

Hamilton war ein Marinekommandant, der gegen die einheimischen Maori kämpfte, die im 19. Jahrhundert ihr Land gegen die britische Kolonialexpansion verteidigten. Er starb 1864 in der Schlacht von Pukehinahina, als eine Gruppe von Maori die britischen Truppen zurückdrängte. Die Statue war erst 2013 aufgestellt worden.

Belgiens König, „der Henker“

Die grausame Kolonialzeit beschäftigt heute auch Belgien wieder. Seit Beginn der Proteste wurden etliche Statuen und Büsten des früheren Königs Leopold II. beschmiert. Im Namen der „Zivilisationsmission“ Belgiens im Kongo hatte Leopold II. Ende des 19. Jahrhunderts ein Kolonialregime errichtet, das von Historikern als eines der gewalttätigsten der Geschichte bezeichnet wird. Rohstoffe wie Kautschuk plünderten die belgischen Kolonialherren durch Sklaverei und Gewalt systematisch aus. Die Verbrechen gegen die Bevölkerung im Kongo gelten als besonders grausam und unmenschlich. Das Andenken an den damaligen Monarchen ist daher seit Langem umstritten, aber wenig aufgearbeitet. Nun entfernten die Behörden in Antwerpen eine Statue Leopolds II. Sie soll nun im Depot eines örtlichen Museums aufbewahrt werden. In Brüssel wurde eine Statue von Demonstranten vom Sockel geholt.

Verbrannte Statue von König Leopold II in Antwerpen
APA/AFP/Jonas Roosens
Leoppold II. ist stark umstritten. Die Auseinandersetzung mit den von ihm angeordneten Verbrechen wird gefordert.

Die Gruppe Reparons L’Histoire (Dt.: „Reparieren wir die Geschichte“), die sich für die Aufarbeitung der belgischen Kolonialverbrechen einsetzt, forderte die Entfernung aller Denkmäler für Leopold II., der Belgien von 1865 bis 1909 regierte. Sie bezeichnete den König, „der für einige ein Held“ sei, als „Henker, der zehn Millionen Kongolesen getötet hat“.

Vor der Brüsseler Kathedrale wurde in der Nacht zudem außerdem ein Denkmal für König Baudouin, der von 1951 bis zu seinem Tod 1993 auf dem belgischen Thron saß, mit roter Farbe übergossen.

Südstaatengeneral als Held verklärt

In den USA wird die Debatte über Gedenken an Rassisten seit dem Tod Floyds freilich ebenso geführt. Einige Statuen fielen bei Demonstrationen durch die Teilnehmer, andere durch Behörden. Der Gouverneur des Bundesstaates Virginia, Ralph Northam, hatte vergangene Woche etwa die Entfernung eines Denkmals für den Südstaatengeneral Robert E. Lee in Richmond angeordnet. Lee wird von der rechten Szene in den USA als Held verklärt. Denkmäler wie das in Richmond sehen viele US-Amerikaner als Symbole für Rassismus, obwohl der General persönlich die Sklaverei ablehnte.

Statue von Robert E. Lee in Richmond, Virginia
AP/J. Scott Applewhite
Robert E. Lee: Für manche Amerikaner ein Held, für andere ein Symbol des Rassismus

Ziel des Zorns vieler Demonstranten sind Denkmäler von Christopher Kolumbus. In Boston wurde eine Statue des Seefahrers enthauptet, in Miami eine solche beschädigt. In Richmond wurde eine Kolumbus-Statue in einen See geworfen. Kritiker argumentieren, der Seefahrer habe mit seiner Ankunft auf dem amerikanischen Kontinent der Kolonialisierung und Tötung zahlloser Indigener den Weg bereitet. Eine Gruppe von Demonstranten demontierte im US-Bundesstaat Minnesota eine Statue von Kolumbus. Die über drei Meter hohe Bronzefigur wurde in Saint Paul in der Nähe von Minneapolis von mehreren Dutzend Menschen von ihrem Granitsockel gestoßen. „Es war das Richtige und es war der richtige Zeitpunkt“, sagte der Demonstrant Mike Forcia der Nachrichtenagentur Reuters am Donnerstag.

Polizisten stehen vor gestürzter Statue von Christopher Kolumbus in St. Paul, Minnesota
AP/Star Tribune/Leila Navidi
Auch Kolumbus fällt: Der Mann, der als Entdecker Amerikas gilt, wird zum Ziel von Angriffen

„Vom Winde verweht“ nur noch kommentiert

Die Debatte betrifft aber nicht nur Statuen und Denkmäler. Die beliebte Motorsportserie Nascar verbot etwa den künftigen Einsatz der Kriegsflagge der Konföderierten bei ihren Rennen. „Die Anwesenheit der Konföderiertenflagge bei Nascar-Veranstaltungen widerspricht unserer Verpflichtung, ein inklusives Umfeld für alle unsere Fans, Teilnehmer und unsere Industrie zu bieten“, hieß es in einer Stellungnahme. Der US-Streaminganbieter HBO max nahm den Filmklassiker „Vom Winde verweht“ aus dem Programm.

Das zu Warner Media gehörende Unternehmen wolle dem Film Erklärungen zu dessen rassistischen Vorurteilen und der problematischen Darstellung von Sklaverei zur Seite stellen, erklärte ein Sprecher. „Er wird mit einer Erläuterung seines historischen Kontexts und einer Distanzierung von den rassistischen Darstellungen ins Programm wiederaufgenommen werden“, hieß es laut „Hollywood Reporter“ in einem Statement des Unternehmens.

Die Konföderierten

Die Konföderierten (Südstaaten) hatten im Amerikanischen Bürgerkrieg (1861–1865) gegen den Norden gekämpft und sich gegen die Abschaffung der Sklaverei und gegen mehr Rechte für Schwarze gewehrt.

Auch die US-Militärbasen sind Gegenstand der Debatte. Der zivile Leiter der Army, Ryan McCarthy, zeigte sich offen dafür, über die Umbenennung von zehn Stützpunkten und Einrichtungen zu diskutieren, die nach militärischen Führern der Konföderierten Staaten benannt sind. US-Präsident Donald Trump erteilte diesem Ansinnen eine Abfuhr. „Es wurde vorgeschlagen, dass wir zehn unserer legendären Militärbasen umbenennen, wie Fort Bragg in North Carolina, Fort Hood in Texas, Fort Benning in Georgia etc. Diese monumentalen und sehr mächtigen Stützpunkte sind Teil eines großartigen amerikanischen Erbes geworden und einer Geschichte des Gewinnens, Sieges und der Freiheit“, schrieb Trump am Mittwoch auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Trump nannte die Einrichtungen „heilige Stätten“, in denen „Helden“ ausgebildet worden seien. „Deswegen wird meine Regierung nicht einmal über die Umbenennung dieser herrlichen und sagenumwobenen militärischen Einrichtungen nachdenken.“

Gegenwind auch bei Republikanern

Selbst Parteifreunde sehen das anders: „Jüngste, weithin sichtbare Fälle von rassistischer Gewalt und Rassismus haben den dringenden Bedarf für Wandel unterstrichen“, hieß es in einer am Donnerstag veröffentlichten Mitteilung des Demokraten Anthony Brown und des Republikaners Don Bacon. Sie brachten einen überparteilichen Gesetzentwurf zur Änderung strittiger Namen ein.

Eingang der US-Militärbasis Fort Hood in Texas
AP/Tamir Kalifa
Für Trump sind Fort Hood und andere „heilige Stätten“

Die Demokraten hingegen stehen in der Fragen am anderen Ende des politischen Spektrums. Die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, forderte die Entfernung Konföderiertendenkmälern aus dem Kongress. Mit diesen elf Statuen werde „dem Hass gehuldigt“, schrieb sie am Mittwoch an einen parteiübergreifenden Ausschuss. Die mit diesen Denkmälern geehrten Männer seien für „Grausamkeit und Barbarei“ eingetreten. In den Hallen des Kongresses stehen unter anderem Statuen von Jefferson Davis, dem Präsidenten der abtrünnigen Konförderierten Staaten von Amerika, und seines Stellvertreters Alexander Stephens.

Auseinandersetzung oder Vergessen

Viele Analysen und Zeitungskommentare begrüßten die Welle an Statuenstürzen auf der ganzen Welt als Zeichen, systematischen Rassismus sichtbar zu machen oder sich mit der Kolonialvergangenheit des eigenen Landes auseinanderzusetzen. „Belgien muss sich für seine koloniale Vergangenheit und für die Verbrechen, die es im Kongo begangen hat, entschuldigen. Denn bis heute sind Menschen afrikanischer Herkunft nach wie vor von Diskriminierung betroffen“, so der belgische „De Standaard“.

Manche sprachen sich darüber empört aus, etwa die britische „Times“: „Wenn Diktaturen gestürzt werden, kann eine solche Bürgerwehraktion das Herz erwärmen. In einer Demokratie, einem Rechtsstaat, ist dies nicht hinnehmbar.“ Nach modernen Maßstäben würden nur wenige historische Persönlichkeiten über jeden Vorwurf erhaben sein. „Möglicherweise stellen wir fest, dass wir Symbole der britischen Geschichte ausgelöscht haben und Menschen dadurch noch weniger Ahnung von der Vergangenheit haben.“

Statuen reichen nicht

Auch Historiker sind uneins über diese Art des Protests. „Wie weit ist es zu weit, eine Geschichte auszuradieren, damit wir uns nicht falsch daran erinnern – oder tatsächlich Gelegenheit haben, uns überhaupt daran zu erinnern?“, so Mark Summers, Professor an der Universität von Kentucky, gegenüber AP. Um sich an die Vergangenheit zu erinnern, bedürfe mehr und nicht weniger Denkmälern. „Durch das Entfernen eines Denkmals wird die Geschichte nicht gelöscht. Es schreibt neue Geschichte“, so hingegen Scott Sandage von der Carnegie Mellon University. „Und das passiert immer, egal ob Statuen aufgestellt werden oder runterkommen.“ Konsens gibt es aber darin, dass es mehr brauche, um nachhaltig Rassismus zu bekämpfen. Olivette Otele von der Bristol University sagte gegenüber Sky News, dass man den Eindruck vermeiden müsse, dass das Problem mit dem Einreißen von Statuen erledigt sei.