Ein mit einem Rotstift korrigierter Ministerialentwurf
ORF.at/Carina Kainz
Gesetzgebung

Taktieren mit Begutachtungsfristen

Über Gesetze stimmt der Nationalrat ab, doch vorgelegt werden sie für gewöhnlich von der Regierung. Die Politik greift dabei auf das Fachwissen in den Ministerien zurück, die für die Abstimmung Gesetzesentwürfe ausarbeiten. Allerdings nimmt dieser Weg teils viel Zeit in Anspruch. Um das Verfahren zu beschleunigen, wird mitunter bei der Begutachtungsfrist gespart.

In der Regel beziehen Behörden, Institutionen und Privatpersonen zu Ministerialentwürfen, also Gesetzesentwürfen, die vom zuständigen Ressort ausgearbeitet werden, Stellung. Gehören Textpassagen etwas konkretisiert? Was lehnt man überhaupt ab? Was begrüßt man? Ist das Vorhaben verfassungskonform und legistisch einwandfrei? Antworten darauf lassen sich auch in diesen Stellungnahmen finden. Allerdings ist das Begutachtungsverfahren – bis auf wenige Ausnahmen – gesetzlich nicht geregelt, sondern gilt als langjährige Staatspraxis.

Ministerien dürfen entscheiden, wie lange die verschiedenen Stellen für ihre Stellungnahmen Zeit haben. Alle Anmerkungen, die nach der festgelegten Frist einlangen, werden nicht berücksichtigt. Fakt ist: Je mehr Zeit den Privatpersonen eingeräumt wird, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Entwurf und in weiterer Folge die Regierung ausführlich kritisiert werden. Viele Fristen liegen deutlich unter der Empfehlung des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt. Dieser rät den Ministerien seit Jahren zu einer sechswöchigen Mindestfrist.

Fünf, sechs, acht Werktage Zeit für Stellungnahmen

In der laufenden Legislaturperiode des Nationalrats wurden mehr als 30 Ministerialentwürfe in Begutachtung geschickt – zehn davon fielen noch unter die Expertenregierung von Brigitte Bierlein. Die Dauer der Fristen ist recht unterschiedlich. So wurde etwa bei den geplanten Änderungen des Tierärztegesetzes und Tierärztekammergesetzes eine Frist von 48 Kalendertage gesetzt, was 33 Werktagen entspricht. Bei der Novelle über den Auslandsösterreicher-Fonds waren es nur sieben Kalendertage bzw. fünf Werktage. Bei zuletzt zwei in Begutachtung gesendeten Entwürfen wurde eine Frist von vier Tagen festgelegt.

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Balkendiagramm über die bearbeiteten Gesetzesentwürfe innerhalb der Begutachtungsfrist unter Expertenregierung
Grafik: ORF.at; Quelle: Parlament, Rechtsinformationssystem
Balkendiagramm über die bearbeiteten Gesetzesentwürfe innerhalb der Begutachtungsfrist unter ÖVP-Grüne-Regierung
Grafik: ORF.at; Quelle: Parlament, Rechtsinformationssystem

Beim geplanten und teils scharf kritisierten Investitionskontrollgesetz, das ausländische Übernahmen von heimischen Unternehmen bzw. von Anteilen regeln soll, hatten Rechtsfachleute, die Wirtschaft, aber auch Unternehmer und Unternehmerinnen elf Kalendertage Zeit, um es durchzuarbeiten und schließlich schriftlich zu bewerten. „Somit stand lediglich eine Frist von acht Arbeitstagen für eine Beurteilung der vorgeschlagenen Maßnahmen zur Verfügung“, merkte etwa der Rechnungshof in seiner eigenen Stellungnahme zum Entwurf an. Die Frist von sechs Wochen sei seitens Wirtschaftsministeriums „ohne nähere Angabe von Gründen signifikant unterschritten“ worden.

Der Verfassungsdienst, der die gewichtigste Stellung bei der Prüfung von Ministerialentwürfe einnimmt, hält in einer Stellungnahme zum 2. Finanz-Organisationsreformgesetz fest, dass „eine umfassende und abschließende Begutachtung des komplexen und umfangreichen Regelungsvorhabens“ in einer Woche nicht möglich sei. Das Ressort gab den Fachleuten acht Kalendertage bzw. sechs Werktage Zeit. Wenn bis zum Ende der Frist eine Stellungnahme nicht eintrifft, nimmt das Ressort, das die Novelle entworfen hat, an, dass keine Einwendungen dagegen erhoben werden.

Mindestfrist von sechs Wochen

Schon 1958 machte der Verfassungsdienst auf eine Mindestfrist von sechs Wochen aufmerksam. Das sei der Wunsch der Ämter der Landesregierungen, die genügend Zeit für die Analyse von Entwürfen benötigen, gewesen. Zwölf Jahre später erinnerte man die Ministerien „nachdrücklich“ an die Empfehlung. Doch die Bitten wurden nie ganz gehört. In einzelnen Fällen sei die Begutachtungsfrist sogar kürzer gewesen als die Dauer zwischen dem Absenden der Begutachtungseinladung aus dem Ministerium und dem Eintreffen dieser in einer Behörde.

Damals wurden Entwürfe noch quasi über die Post begutachtet, heute ergeht alles per E-Mail. Die Ministerien können für die Begutachtungen auf einen Verteiler mit den unterschiedlichsten Stellen zurückgreifen. Je nach Entwurf werden die Empfänger und Empfängerinnen variiert. Für eine vorgesehene Luftfahrtnovelle wird sich der Fischerei-Verband wohl kaum interessieren. Aber grundsätzlich werden dieselben Stellen kontaktiert. Gesetzlich verankert ist etwa, dass die Arbeiterkammer und die Wirtschaftskammer verpflichtend zu berücksichtigen sind.

Freilich sind für Stellungnahmen nicht immer sechs Wochen zwingend notwendig. Der Verfassungsdienst teilte mehrmals mit, dass sein Rat für den Regelfall gedacht sei. „So wie es gewiss Fälle geben kann, in denen eine kürzere Frist vertretbar ist, wird es umgekehrt auch Fälle geben, in denen auch die sechswöchige Frist zu kurz ist“, hielt der Rechtsdienst im Jahr 2008 fest. Daran hat sich nichts geändert. Denn in einigen Fällen hat es die Regierung eilig, in anderen nicht. Meist spielen auch taktische Überlegungen eine Rolle.

Produkt des Koalitionspakts

Viele Ministerialentwürfe sind das Produkt eines ausverhandelten Regierungsprogramms – im Gegensatz zu anderen Gesetzen bzw. Novellen, die etwa auf EU-Vorgaben, VfGH-Entscheidungen oder notwendigen Reparaturen basieren. In einigen Fällen ist es für die Regierung wichtig, dass Gesetze schnell im Nationalrat beschlossen werden. Eine Möglichkeit besteht darin, dass die Koalitionsparteien Initiativanträge einbringen. Ein offizielles Begutachtungsverfahren ist bei dieser Variante, die aus Dringlichkeitsgründen (Coronavirus-Maßnahmen), aber auch bei brisanten Materien (Zwölfstundentag) genutzt wird, nicht vorgesehen.

Für gewöhnlich greift die Regierung aber auf Ministerialentwürfe zurück, die nach der Begutachtung und über den Ministerrat im Nationalrat landen. Unter der ÖVP-FPÖ-Regierung war das in zwei Jahren rund 100-mal der Fall, unter der SPÖ-ÖVP-Vorgängerregierung wurden mehr als 300-mal solcher Entwürfe ausgearbeitet und dem Nationalrat vorgelegt. Ein Grund dafür liegt in den Ministerien, die über sehr viel Fachwissen verfügen und die Materie kennen. Die Begutachtung sei eine Art Qualitätssicherung, wie eine Person, die jahrelange im Verfassungsdienst tätig war, zu ORF.at sagt.

Die Frage, die sich Regierungen bei einem Vorhaben zuerst stellen würden, laute: Wann kann der Nationalrat über den Gesetzesentwurf abstimmen? Ist man sich beim Termin einig – die Plenartage im Parlament sind bekannt –, wird der weitere Fahrplan skizziert, erklärt die Person. Wann wird das Vorhaben präsentiert? In welchem Ministerrat wird der Entwurf angenommen? Wenn danach noch genügend Zeit ist, werde die Frist vier bis sechs Wochen betragen. Aber klar sei, so der Experte, dass man bei der Begutachtung sehr viel Zeit sparen kann.

Forderungen verliefen im Sand

Begutachtungsfristen galten schon immer als politischer Zankapfel. So beklagte SPÖ-Bundesrat Otto Schweda 1965 bei Finanzminister Wolfgang Schmitz (ÖVP) über eine „lächerlich anmutende Frist von zwei Wochen“ für mehrere Novellen. Im Jahr 1970 fragte Alois Leitner (ÖVP) den damaligen Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ), warum beim Gesetz über die Errichtung eines Bundesministeriums für Wissenschaft und Kultur die Frist verkürzt wurde und sowohl die Studentenschaft als auch die Universitätsvertretung nicht zur Begutachtung eingeladen wurden. Kreisky argumentierte, dass beide Institutionen kein gesetzlich festgelegtes Begutachtungsrecht haben.

Auch aktuelle Fälle gibt es genügend. So wurde 2017 das Datenschutz-Anpassungsgesetz noch während der Begutachtungszeit dem Nationalrat übermittelt. Ein Jahr darauf wurde Kritik an einer vom ÖVP-geführten Finanzministerium verkürzten Frist zum Gesetz, mit dem die Österreichische Beteiligungs AG (ÖBAG) eingerichtet wurde, laut. Es handelte sich dabei um eine umfangreiche Reform der Staatsholding, die die Beteiligungen der Republik verwaltet. Für ihre Stellungnahmen hatten die „Gutachter“ elf Kalendertage bzw. fünf Werktage Zeit. Sogar das ÖVP-geführte Justizministerium übte Kritik.

Forderungen nach einer gesetzlich verankerten Mindestfrist, um die präventive Rechtskontrolle zu sichern, verliefen bisher im Sand. Man müsse flexibel bleiben, und ein starres Korsett würde das verhindern, heißt es zumeist von den Regierungsfraktionen, die freilich Gefahr laufen, bei längeren Fristen auch mehr kritische Stellungnahmen zu erhalten. Aber selbst, wenn es zu einer Mindestfrist kommt, bliebe den Regierungsfraktionen immer noch die Möglichkeit, die Begutachtung mit Initiativanträgen komplett zu umgehen.