Rapper YG bei einer Protestveranstaltung
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„Black Lives Matter“

Hip-Hop als Soundtrack der Proteste

Seit Wochen protestieren weltweit Hunderttausende gegen systematische Polizeigewalt und die Diskriminierung der Black Community. Der Soundtrack der Proteste speist sich aus der fast 50-jährigen Geschichte des Hip-Hop, von den Anfängen in den 70er Jahren über Public Enemy bis Beyonce.

Im Juli 2013 formierte sich das dezentral organisierte Netzwerk von mittlerweile über 30 Ortsverbänden weltweit: „Black Lives Matter“. Der Hashtag „#BlackLivesMatter“ ging um die (Social-Media-)Welt, nachdem George Zimmermann vom Mord des Teenagers Trayvon Martin freigesprochen wurde. Martin wurde von Zimmermann erschossen, in der Nachbarschaftsanlage seines Vaters am Weg Heim vom Besuch eines Kiosks, wo er sich Kaubonbons und eine Dose Fruchtsaft gekauft hatte.

Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner organisierten sich anschließend bei dem ersten Protest des „Black Lives Matter“-Verbands 2014, nachdem der 18-jährige Schüler Michael Brown in Ferguson, Missouri, von der Polizei erschossen worden war. Mit dem Tod George Floyds in Minneapolis vor wenigen Wochen flammten die Proteste erneut global auf, diesmal mit noch mehr dezentralen und unabhängigen Zusammenschlüssen von Aktivistinnen und Aktivisten in den USA und auch in anderen Teilen der Welt.

„Alles wird gut“ als Kampfschrei

Neben den Aufmärschen und Reden ist auch Musik ein wichtiges Element der Bewegung. Bereits bei den ersten Protesten 2014 war Kendrick Lamars „Alright“ zu einer Hymne für die Protestierenden geworden. Das Lied des aus Compton stammenden Rappers verbindet eine politische und kritische Message an die Regierung und weiße Mehrheitsgesellschaft mit einer motivierenden und hoffnungsvollen Botschaft für afroamerikanisches Publikum. „We gon’ be alright“ wurde zur Parole der Proteste, die gewaltvoll von der US Polizei niedergeschlagen wurden.

Da heißt es: „We been hurt, been down before/When our pride was low/Lookin’ at the world like, ‚Where do we go?‘“ Lamar ließ den Aufschrei der unterdrückten Black Community nicht für sich stehen, er fügte hinzu: „Do you hear me, do you feel me? We gon’ be alright“ – alles wird gut. Denn kein Leidensweg ist ohne Ende, das Kämpfen lohnt sich, Resignation ist keine Option.

Lieder, die eine Leidensgeschichte erzählen

Lieder des afroamerikanischen Protests haben in den USA eine Geschichte, die bis an den Anfang der Versklavung und Verschleppung von Afrikanerinnen und Afrikanern reicht. Doch auch in der aktuellen populären Musiklandschaft finden sich neben Lamars „Alright“ noch viele andere Lieder, die vom Widerstand erzählen. So kooperierte er mit Beyonce Knowles beim Song „Freedom“, das auf Beyonces audiovisuellem Album „Lemonade“ erschien, ein Projekt, bei dem zu jedem Song ein Video gedreht wurde. Auf dem Album verweist sie auf die Verschleppung aus Afrika und erzählt vom Leben in den Südstaaten, damals wie heute.

Am anschaulichsten ist Beyonces Kritik jedoch auf dem Video zur Single „Formation“, wo sie auf einem versinkenden Polizeiauto im 2005 von Hurrikan Katrina gebeutelten – und der Regierung George W. Bushs vernachlässigten – New Orleans unter anderem darüber singt, dass es Zeit wird, sich zu organisieren.

Die Angst vor einem „Black Planet“

Alleine schon die Tatsache, dass junge Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner ihre Stimme erheben und von ihrem Alltag, ihren Hoffnungen und Träumen und ihrem Umfeld erzählen, geht gegen ihre Unterdrückung. Während die expliziten politischen Messages während der Anfänge des Hip-Hop nur vereinzelt auftraten, wurde spätestens mit dem Großwerden des Duos Public Enemy der politische Rap zu einem eigenen Genre.

Ein Meilenstein des Hip-Hop wurde das 1988 erschienene Album „Fear of a Black Planet“. Beim Video zum Song „Fight the Power" führte Spike Lee Regie, vorangestellt hatte er Bilder des Civil Rights Movement – Vorläufer der heutigen Protestbewegungen – und von Martin Luther King. In den Lyrics rufen sie zum Auf-die-Straße-Gehen auf: „To revolutionize make a change nothing’s strange / People, people we are the same / No we’re not the same / ‚Cause we don’t know the game / What we need is awareness, we can’t get careless“.

Ohnmacht und Wut

Die Frustration über den alltäglichen Rassismus und Konfrontationen mit einer systemisch rassistischen Polizei wurden auch bald in expliziten Texten und Strophen zusammengefasst. KRS Ones „Sound of da Police“, NWAs „Fuck da Police“ oder „FDF“ („Fuck the Feds“) des Wiener Rappers T-Ser sind alles Songs, die aus einer Ohnmacht und Wut ob der eigenen Diskriminierung entstanden sind, ein Hilferuf und aktivistischer, künstlerischer Ausdruck zugleich.

So erfreut sich YGs „Fuck Donald Trump“ bei Protesten seit Amtsantritt des republikanischen Präsidenten Donald Trump großer Beliebtheit, gleichzeitig als kathartisches und aufheiterndes Moment und als verbindender Ruf. Aber auch zur aktuellen Situation hat der Rapper YG, der aus Kalifornien stammt, einen Song veröffentlicht. Anfang Juni erschien „FTP“ („Fuck the Police“) mit dem Untertitel „No Justice No Peace“. Die Message war klar: Solange es keine Gerechtigkeit gibt, wird weiter protestiert. Hip-Hop Stars wie Denzel Curry, DaBaby und Trey Songz veröffentlichten ebenfalls neue Nummern oder adaptierten ältere Songs, um auf die aktuelle Lage in den Straßen der USA zu verweisen.

Die Proteste befeuern

Das politische Hip-Hop-Duo Run The Jewels zog ebenfalls den aktuellen Albumrelease vor und veröffentliche sein viertes Studioalbum „RTJ4“ kostenfrei online. Auf Twitter postete die Band dazu eine Notiz, in der die Erklärung zur verfrühten Veröffentlichung des Albums geliefert wird: „Fuck it, why wait. The world is infested with bullshit so here’s something raw to listen to while you deal with it all.“

Der Protest auf der Straße geht also einmal mehr Hand in Hand mit dem Protest auf der Schallplatte und in den Kopfhörern. Indie- wie Major-Label-Künstlerinnen und -Künstler komponieren Musik über ihren Frust, um etwas zu verändern, und liefern damit einen Soundtrack, der die Protestierenden noch weiter befeuert.

Hip-Hop als „Black CNN“

Eine indifferente Mehrheit tut sich weiterhin schwer mit Hip-Hop, der meist zuallererst mit protzigem Gehabe, Gewaltverherrlichung, Homophobie und Frauenfeindlichkeit assoziiert wird. Aber eigentlich bildet dieses Musikgenre, für das es vor allem anfangs keine vielen Instrumente oder teure, mit allem ausgestattete Aufnahmestudios brauchte, oftmals Lebensrealitäten ab.

Künstlerinnen und Künstler saugen auf, was um sie herum passiert, in ihrem Block, ihrem Viertel, ihrer Stadt oder der Welt und erzählen in ihren Rapzeilen wiederum ihrem Umfeld vom Geschehenen und Geschehenden. Public-Enemy-Rapper Chuck D sagte einst, Hip-Hop sei das „Black CNN“, eine Form der Informationsverbreitung. Ob nun in den Nachrichten furchtbare Bilder von Tod und Verderben ausgestrahlt werden oder Raptexte explizit und ausfallend werden: Beides bildet ab, was los ist.