Ein Mitarbeiter der NGO-Organisation „Team Humanity“ hilft einem Flüchtlingskind beim Aufsetzen eines Mund-Nasen-Schutzes
APA/AFP/Manolis Lagoutaris
Neues Gesetz

Athen dezimiert NGOs in Flüchtlingslagern

Die Zustände in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln gelten als untragbar. Nun dezimiert Griechenland die in den Lagern tätigen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) drastisch. Schwere Vorwürfe werden zudem gegenüber der Küstenwache im Umgang mit Geflüchteten erhoben.

Künftig soll nur noch 18 von aktuell 40 NGOs die Arbeit in den Flüchtlingslagern erlaubt sein. Wie das Ministerium für Migration und Asyl am Mittwoch mitteilte, will die Regierung damit ein kürzlich verabschiedetes Gesetz durchsetzen, um den „undurchsichtigen“ NGO-Sektor zu „regulieren“. Viele der Organisationen seien während der Flüchtlingskrise 2015 ins Land gekommen und hätten Griechenland in den vergangenen Jahren wieder verlassen.

Die Regierung hatte die NGOs daher aufgefordert, sich bis Mittwoch beim Migrationsministerium zu registrieren und einer Prüfung zu unterziehen. Bisher hätten 137 NGOs eine Registrierung beantragt, von denen nur 70 die zweite Evaluierungsphase erreicht hätten, erklärte das Ministerium weiter. 22 Organisationen, die unmittelbar in griechischen Flüchtlingslagern arbeiten, seien ausgeschlossen worden, weil sie sich nicht rechtzeitig registriert hätten.

NGOs kritisierten Maßnahmen

In einem offenen Brief kritisierten zahlreiche bekannte NGOs die Maßnahme, insbesondere wegen der „bürokratischen Hindernisse im Registrierungsverfahren“, durch die den NGOs der Zugang zu den Geflüchteten und zu Fördergeldern verwehrt werden könnte. Auch eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit durch das Ministerium sei besorgniserregend, da das NGO-Mitarbeiter daran hindern könnte, Geflüchteten außerhalb der Lager zu helfen.

Wegen der dringlichen Lage und weil Griechenland vorher nicht über eine angemessene Infrastruktur verfügte, hatte die EU in der Flüchtlingskrise finanzielle Mittel teilweise direkt an NGOs bezahlt, die bei der Bewältigung der Situation halfen.

Kinder gehen über eine Brücke im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos
APA/AFP/Louisa Gouliamaki
Geflüchtete leben in Zelten und Notbehausungen aus Planen inmitten von Müll und Dreck

Katastrophale Zuständen in überfüllten Lagern

Die amtierende konservative Regierung will Griechenland „weniger attraktiv“ für Geflüchtete machen und steht dabei im Zentrum der Kritik von NGOs und dem UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR), etwa wegen den katastrophalen Zuständen in den überfüllten Lagern auf den ägäischen Inseln und wegen fehlender Unterbringungsmöglichkeiten für Asylbewerber auf dem Festland.

Gut 115.000 Schutzsuchende befinden sich derzeit in Griechenland. Etwa 41.000 von ihnen leben in den Hotspots auf den Inseln. 21.000 Menschen wurden vom UNHCR in Wohnungen untergebracht, etwa 53.000 leben in Lagern. Die griechischen Behörden müssten sich „dringend um die prekären hygienischen Bedingungen und die psychische Belastung kümmern, die die Gesundheit von Asylbewerbern und Migranten auf den Inseln gefährden“, forderte unlängst die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatovic.

Schwere Vorwürfe gegen Küstenwache

Erst am Dienstag machten Medienberichte Schlagzeilen, wonach die griechische Küstenwache offenbar Bootsflüchtlinge im Mittelmeer auf aufblasbaren Rettungsinseln aussetze. Auf einem Video vom 13. Mai sei zu sehen, wie die Küstenwache die Geflüchteten in der Ägäis zurücklässt, berichteten „Report Mainz“, „Lighthouse Reports“ und der „Spiegel“.

Migranten auf einem Schlauchboot in der Nähe der griechischen Insel Lesbos
Reuters/Umit Bektas
Videos sollen beweisen, dass Griechenland offenbar Flüchtlinge im Mittelmeer aussetzt

Oft würden die Menschen anschließend nach stundenlanger Verzögerung von der türkischen Küstenwache gerettet. Die Medien berichteten zudem von Angriffen durch maskierte Männer in der Ägäis, über die Flüchtlingsaktivisten und Geflüchtete seit Jahren klagten. Dabei werde oft der Motor der Flüchtlingsboote beschädigt und so die Ankunft der Menschen auf den griechischen Inseln verhindert.

Recherchen von „Spiegel“, „Report Mainz“ und „Lighthouse Reports“ konnten die Männer nach eigenen Angaben in einem Fall vom 4. Juni der griechischen Küstenwache zuordnen. Diese bestreite die Vorwürfe, berichteten die Medien. Die Beamten würden keine Masken tragen und sich stets an geltendes Recht halten. Auf das Video vom 13. Mai ging die Küstenwache den Angaben zufolge in ihrer Stellungnahme nicht ein.

UNO über Videos alarmiert

Griechische Medien hatten vergangene Woche ein Video einer türkischen Polizeidrohne veröffentlicht, das zeigt, wie die griechische Küstenwache zwischen der Insel Lesbos und der türkischen Küste einem Flüchtlingsboot den Motor abnimmt und es dann mit den Menschen an Bord im Meer zurücklässt.

Die UNO-Organisation für Migration (IOM) ist wegen derartiger Videos alarmiert. Solche Berichte gebe es von der griechisch-türkischen Landgrenze ebenso wie aus den Gewässern zwischen Griechenland und der Türkei, sagte ein IOM-Sprecher. Geflüchtete hätten von Gewalt durch Grenzpersonal berichtet. Das UNHCR äußerte sich ähnlich und verwies darauf, dass Asylsuchende an der griechischen Grenze nicht abgewiesen werden dürften.

Frontex warnt vor Eskalation

Der Chef der EU-Grenzschutzagentur Frontex, Fabrice Leggeri, warnte vor einer erneuten Eskalation an der griechisch-türkischen Grenze. „In den letzten Monaten haben türkische Grenzpolizisten am Evros mindestens fünfmal Richtung Griechenland geschossen – verletzt wurde dabei aber niemand“, so der Frontex-Chef.

Im aktuellen Mai-Bericht, der den Zeitungen vorliegt, ermittelte Frontex auf den Hauptmigrationsrouten in Europa fast 4.300 unerlaubte Grenzübertritte, rund dreimal so viele wie im Vormonat. Die Strecke über die Türkei nach Griechenland und Bulgarien sei erneut die „aktivste Migrationsroute nach Europa“ gewesen. Hier stellte Frontex im Mai 1.250 irreguläre Grenzübertritte fest, achtmal so viele wie im April.

Leggeri kritisierte das gegenwärtige Asylsystem der EU. „Asylanträge sollten schon an den Außengrenzen geprüft werden“, forderte er. „Die Asylbewerber sollten möglichst schnell Bescheid bekommen, ob sie den Flüchtlingsstatus erhalten oder nicht. Bei einer negativen Asylentscheidung müssen die Geflüchteten sofort abgeschoben werden.“