Israelische Soldaten sichern Grenzübergang
Reuters/Mohamed Abd El Ghany
Libyen-Konflikt

Ägyptens Ringen um die Pufferzone

Nachdem der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi seine Armee am Wochenende auf einen möglichen Einsatz im benachbarten Bürgerkriegsland Libyen eingestimmt hat, wird international vor einer Ausweitung des Konflikts in und um Libyen gewarnt. Neben der Türkei hat auch Ägypten großes Interesse an einem Einfluss in seinem Nachbarland und sorgt sich um seine Pufferzone, erklärt der ehemalige Militärattachee und Libyen-Experte Wolfgang Pusztai im Interview mit ORF.at.

Die beiden Länder – Ägypten und Libyen – „verbinden vitale gemeinsame Interessen“, so Pusztai. Er streicht vor allem die Bereiche Sicherheit und Wirtschaft hervor. Für Ägypten habe vor allem der an das Land angrenzende Osten Libyens Priorität. So galt das Gebiet früher als Rückzugsort für Islamisten und Terroristen. Für die Sicherheit Ägyptens dürfe dieser Teil Libyens aber kein unkontrolliertes Gebiet sein. Ägypten braucht den Osten als Pufferzone – etwas, das die libysche Regierung nicht unbedingt garantieren kann. „Die libysche Regierung selbst hat keine Machtbasis im Land. Sie ist den unterschiedlichen Interessengruppen ausgeliefert“, so Pusztai.

Deshalb ist Sisi auch gegen den Einsatz von Söldnern im Osten Libyens durch die von der UNO anerkannte Einheitsregierung in Tripolis. Das ist ein Grund, warum Ägypten den abtrünnigen General Chalifa Haftar und dessen militärisches Vorgehen unterstützt. Haftar und seine Verbündeten kämpfen gegen Regierungstruppen. Haftar konnte seine Offensive auf Tripolis dank der Militärhilfe eben aus Ägypten sowie aus Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten vorantreiben. Die Regierungstruppen drängten ihn dann aber mit militärischer Hilfe der Türkei schließlich zurück.

Die Grenzregion in Libyen ist für Ägypten von äußerster Wichtigkeit

Sisis „rote Linie“

Die Regierungstruppen belagern indes die strategisch wichtige Küstenstadt Sirte. Sollten sie diese von Haftars Truppen einnehmen, sei eine „rote Linie“ überschritten, hatte der ägyptische Präsident gesagt. Die Einheitsregierung in Tripolis verurteilte die Äußerungen des ägyptischen Präsidenten umgehend und bezeichnete seine Interventionsdrohung als „Einmischung in libysche Angelegenheiten“ sowie als „gefährliche Bedrohung der nationalen Sicherheit“.

Die Türkei bekräftigte unterdessen, die Truppen der Einheitsregierung weiterhin auf ihrem Vormarsch auf Sirte zu unterstützen. Haftars Truppen müssten sich aus der 450 Kilometer von Tripolis entfernten Stadt zurückziehen, um einen „nachhaltigen Waffenstillstand“ zu ermöglichen, hieß es aus Ankara. Ägypten werde die Türkei nicht davon abhalten, ihre libyschen Verbündeten zu unterstützen, sagte ein hochrangiger türkischer Beamter am Montag.

Der abtrünnige General Khalifa Haftar auf einem Archivbild
Reuters/Esam Al-Fetori
Die Truppen von General Haftar werden in Sirte belagert

Billiges Erdöl und sichere Grenze als Ziel

Die Kontrolle über Sirte bedeutet auch die Kontrolle über mehrere Häfen sowie zahlreiche Ölpipelines und Gasleitungen des Landes. Die Stadt gilt deshalb als Schlüssel zu wichtigen Ressourcen in dem Konflikt. Daher ist ein weiterer wichtiger Aspekt laut Pusztai die wirtschaftliche Verbindung zwischen Ägypten und Libyen. Ägypten habe in seinem Nachbarland traditionell große wirtschaftliche Interessen.

So seien in Libyen und dort vor allem im Osten vor Ausbruch der Revolution und des Bürgerkriegs zahlreiche ägyptische Arbeiter beschäftigt gewesen. Auch billiges Erdöl sei für Ägypten von großer Bedeutung, denn das Land kann seinen riesigen Energiebedarf nicht selbst abdecken, so Pusztai. Eine weitere Verbindung sind gesellschaftlicher Natur, nämlich über Stammesverbindungen, die von Libyen aus weit ins Nildelta reichten.

Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi
APA/AFP/Kayhan Ozer
Der ägyptische Präsident Sisi beim Besuch ägyptischer Soldaten

Muslimbruderschaft mit großem Einfluss

Die ägyptische Regierung ist auch ein Gegner der Muslimbruderschaft – im eigenen Land aber auch in Libyen. Diese habe einen großen Einfluss auf die libysche Regierung, so Pusztai weiter. Sehr zum Missfallen von Ägypten, aber zur Sicherung des Einflusses durch die Türkei, die die Muslimbruderschaft wiederum unterstützt. Und auch militärisch übt die Türkei ihren Einfluss indirekt aus.

Die Türkei habe seit Ende Dezember syrische Söldner nach Libyen geschickt. Pusztai geht von 9.500 bis 10.500 Personen aus. Sie würden auch immer ausgewechselt, rund 1.800 Syrer seien nun in Ausbildung in der Türkei. Hohe Verluste bei früheren Kampfhandlungen haben laut Pusztai die Kampfmoral zurückgehen lassen. Viele der Söldner seien turkmenische Syrer und hätten daher auch wegen ihrer Herkunft ein gutes Verhältnis zur Türkei, so Pusztai.

Islamisten als „Werkzeug der Destabilisierung“

Rund 1.500 bis 2.000 Islamisten aus Syrien seien ebenfalls für die Türkei in Libyen im Einsatz. Sie sind für die Türkei laut Pusztai ein Werkzeug der Destabilisierung. Pusztai ist sich sicher, dass sie später auch an anderen Konfliktherden eingesetzt werden. Die Türkei setzt sie als Söldner im Ausland ein. Das Land hat auch große wirtschaftliche Interessen in Libyen – vor allem am Wiederaufbau im Westen des Landes. Hier gelte es, lukrative Verträge zu sichern, so Pusztai.

Warnungen vor Eskalation

Nach der Drohung Sisis mit einer direkten Militärintervention warnten am Montag Deutschland und Italien vor einer weiteren Eskalation. Eine Einigung auf einen Waffenstillstand sei nun noch dringlicher geworden, sagte der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) bei einem Treffen mit seinem italienischen Kollegen Luigi Di Maio am Montag in Rom. Beide Politiker appellierten an die Konfliktparteien, den politischen Prozess fortzusetzen.

Maas betonte, dass sich die Bürgerkriegsparteien im Folgeprozess der Berliner Libyen-Konferenz grundsätzlich zu Verhandlungen über einen Waffenstillstand bereiterklärt hätten. „Den Worten müssen nun auch Taten folgen“, forderte Maas. Das gelte auch für die internationalen Akteure in dem Konflikt, die sich zu einer Einhaltung des UNO-Waffenembargos gegen Libyen verpflichtet hätten. Das Embargo werde „viel zu oft gebrochen“, kritisierte der SPD-Politiker.

Ruf nach Ernennung eines neuen UNO-Sondergesandten

Maas und Di Maio besuchten am Montag gemeinsam den Hauptsitz der EU-Marinemission „Irini“ zur Durchsetzung des Waffenembargos gegen Libyen. Die Mission sei entscheidend, „um unsere Bemühungen für politische Stabilität in Libyen voranzubringen“, sagte Maas.

Di Maio forderte eine Erweiterung der Überwachung des Waffenembargos auch aus der Luft. Waffenlieferungen in das Bürgerkriegsland müssten „so stark wie möglich begrenzt oder sogar verhindert“ werden. Wichtig sei zudem die Ernennung eines neuen UNO-Sondergesandten für Libyen, so der italienische Außenminister. Im März war der bisherige UNO-Sondergesandte für Libyen, Ghassan Salame, zurückgetreten. Der Schritt, für den Salame gesundheitliche Gründe anführte, versetzte den Friedensbemühungen in Libyen einen weiteren Rückschlag.

Menschenrechte: UNO ordnet Untersuchung an

Der UNO-Menschenrechtsrat ordnete am Montag zudem eine Untersuchung zu Menschenrechtsverletzungen im Bürgerkriegsland an. Das Gremium bewilligte ohne Abstimmung einen Resolutionsentwurf über die Entsendung von Ermittlern in das Land und verurteilte nachdrücklich „alle in Libyen begangenen Gewaltakte“.

Derweil warnte die Chefklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs, Fatou Bensouda, sie werde nach der Entdeckung mehrerer Massengräber in Libyen „nicht zögern“, ihre Ermittlungen auf mögliche neue Fälle von Kriegsverbrechen auszuweiten. Der Menschenrechtsrat forderte die UNO-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet auch dazu auf, eine Erkundungsmission „unverzüglich einzurichten und in das Land zu entsenden“.