Eine Kreditkarte des Bezahldienstleister Wirecard
APA/dpa/Sven Hoppe
„Desaster“ bei Wirecard

Heimische Banken unter Gläubigern

Der Bilanzskandal beim Zahlungsdienstleister Wirecard weitet sich aus. Die verschwundenen 1,9 Mrd. Euro existierten mit „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ nicht, gab der deutsche Konzern zu. Der Präsident der deutschen Finanzaufsicht, Felix Hufeld, sieht ein „Desaster“ und räumt Fehler der Behörde ein. Und während nun österreichischen Ex-Wirecard-Managern Haftbefehle drohen, wurde bekannt, dass auch österreichische Banken Kreditgeber von Wirecard sind.

Einem Bericht der US-Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge hat der Zahlungsdienstleister Kredite bei der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien (in der Höhe von 60 Mio. Euro) und der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich (in der Höhe von 45 Mio. Euro). Dem Bericht zufolge hat Wirecard Kreditlinien in Höhe von insgesamt 1,75 Mrd. Euro bei mindestens 15 Banken, davon seien rund 800 Mio. Euro noch ausständig.

Zu den größten Gläubigerbanken gehören laut dem Bloomberg-Bericht ABN Amro, Commerzbank, ING, Landesbank Baden-Württemberg, Barclays, Credit Agricole, DZ Bank, Lloyds, Bank of China, Citi und Deutsche Bank. Die meisten der betroffenen Banken seien für eine Verlängerung der Zahlungsverpflichtungen, heißt es in dem Bericht. Vonseiten der beiden Raiffeisenlandesbanken gibt es noch kein Statement dazu.

Zweifel an Existenz eines Geschäfts mit Partnern aus Asien

Pikant sind in diesem Zusammenhang die neuesten Entwicklungen: So hat das Unternehmen, das bis zu seinem Rücktritt am vorigen Freitag mit Markus Braun einen Chef aus Österreich hatte, inzwischen Zweifel, ob das Geschäft mit Partnern in Asien, das seit Jahren für einen großen Teil der Gewinne von Wirecard steht, überhaupt existiert. Man untersuche, „ob, in welcher Art und Weise und in welchem Umfang dieses Geschäft tatsächlich zugunsten der Gesellschaft geführt wurde“.

 Markus Braun
APA/dpa/Peter Kneffel
Der Wiener Investor Braun trat in der Vorwoche als Wirecard-Chef zurück – jetzt droht ihm ein U-Haft-Befehl

Philippinische Zentralbank: Geld nie im Land angekommen

Schon vor ein paar Wochen hatten Wirtschaftsprüfer von KPMG den Finger in die Wunde gelegt: Sie äußerten in einer vom Unternehmen selbst in Auftrag gegebenen Sonderprüfung Zweifel an den milliardenschweren Treuhandkonten, die das Geschäft von Wirecard in Asien absichern sollten.

Dort hat das Unternehmen keine eigene Lizenz, sondern ist auf Dritte angewiesen, um die Transaktionen abzuwickeln. Und damit nahm das Unheil seinen Lauf: Die Prüfer von Ernst & Young (EY), die seit Jahren die Abschlüsse von Wirecard unter die Lupe nehmen, hatten am Donnerstag erklärt, Dokumente zu Geldern auf den Treuhandkonten seien offenbar gefälscht.

Das Geld ist nach Angaben der philippinischen Zentralbank nie im Land angekommen. Sie prüft nun ebenfalls, was passiert ist. Cezar Consing, der Vorstandschef der Bank BPI, bei der angeblich Konten geführt wurden, sagte Reuters, das Zertifikat sei eine plumpe Fälschung gewesen. Ein „sehr niedrigrangiger“ Manager habe es unterzeichnet. Die BDO Unibank, die zweite genannte Bank, erklärte, einer ihrer Marketingmanager habe die Bescheinigung gefälscht.

Ex-Wirecard-Managern drohen U-Haft-Befehle

Die Münchner Staatsanwaltschaft prüft eine Ausweitung ihrer Ermittlungen, die bisher lediglich wegen Marktmanipulation geführt werden. „Wir prüfen alle in Betracht kommenden Straftaten“, sagte eine Behördensprecherin. Einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ zufolge müssten Konzernchef Braun und Jan Marsalek (der Österreicher war für das operative Tagesgeschäft einschließlich Südostasien zuständig) mit U-Haft-Befehlen rechnen. Haftgrund könnte eine mögliche Fluchtgefahr sein – wegen der österreichischen Staatsangehörigkeit beider Beschuldigter.

Wirecard selbst hatte sich als Opfer eines „gigantischen Betrugs“ bezeichnet. Auf Betrug stehen in besonders schweren Fällen bis zu zehn Jahre Gefängnis. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung. Am Montag wurde schließlich bekannt, dass Wirecard den bereits suspendierten Vorstand Marsalek gekündigt hat. Der Aufsichtsrat habe den Manager „mit sofortiger Wirkung abberufen und seinen Anstellungsvertrag außerordentlich gekündigt“, teilte Wirecard mit.

Geschäftszahlen und Prognosen zurückgezogen

Wirecard zog die Geschäftszahlen für das vergangene Jahr, für das erste Quartal 2020 und die Prognosen für heuer und die nächsten Jahre zurück. Auch die Zahlen aus den Vorjahren stimmten womöglich nicht. Es sei zumindest fraglich, wie verlässlich die Beziehung zu dem Treuhänder sei.

Nach einem „Süddeutsche“-Bericht handelt es sich um einen Rechtsanwalt, der als Abteilungsleiter im Verkehrsministerium der Philippinen vor zwei Jahren wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten entlassen worden sei. Um das Unternehmen zu retten, prüfe der neue Vorstandschef James Freis auch Kostensenkungen, den Verkauf und die Aufgabe von Geschäftsteilen und Produkten.

Unternehmenswert schrumpfte seit Herbst auf ein Zehntel

Die Ratingagentur Moody’s zog ihre Einschätzung der Bonität von Wirecard zurück, weil die der Kreditwürdigkeit zugrundeliegenden Finanzdaten nicht mehr verlässlich seien. Am Freitag hatte Moody’s das Rating bereits um sechs Stufen gesenkt. Die Wirecard-Aktie brach um ein Drittel auf 16,62 Euro ein.

Das Unternehmen ist an der Börse noch 2,1 Milliarden Euro wert – ein Zehntel dessen, was noch Anfang September 2019 zu Buche stand. „Waren die angeblichen Forderungen reine Luftbuchungen, steht das gesamte Geschäftsmodell des Zahlungsdienstleisters infrage und somit auch nahezu jeder Euro, den die Aktie noch wert ist“, sagte Analyst Jochen Stanzl vom Onlinebroker CMC Markets. Aus dem Leitindex DAX kann Wirecard allerdings frühestens im September genommen werden.

„Nicht effektiv genug gewesen“

Private und öffentliche Institutionen, einschließlich seiner eigenen Behörde, hätten versagt, sagte der Präsident der deutschen Finanzaufsicht (BaFin), Hufeld. „Wir sind nicht effektiv genug gewesen, einen solchen Fall zu verhindern“, räumte er ein. „Ich nehme die öffentliche Kritik voll und ganz an.“ Die BaFin sei aber nur für die Aufsicht über die Tochter Wirecard Bank zuständig, nicht für die gesamte Wirecard AG, die für Händlerinnen und Händler bzw. Kundinnen und Kunden Zahlungen in Onlineshops und an Geschäftskassen abwickelt.

Allerdings hatte sie auf wiederholte Vorwürfe gegen das Unternehmen mit einem zeitweiligen Verbot von Leerverkäufen reagiert, um Wirecard vor den Attacken zu schützen. Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing sprach von einem „ernsten Problem für die Aktienkultur“ und die Grundsätze guter Unternehmensführung in Deutschland. „Es ist jetzt Zeit, schnell für Transparenz zu sorgen.“ Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz (SPD) verteidigte die BaFin. Die Aufsichtsbehörden hätten ihren Job gemacht, das Ergebnis sei nun sichtbar, sagte er.

In „konstruktiven Gesprächen“ mit Banken

Das Unternehmen hängt nun am Tropf der Banken: Sie haben das Recht, Kredite über zwei Mrd. Euro bis Ende des Monats zu kündigen, weil der Zahlungsdienstleister keine testierte Bilanz vorlegen kann. Allerdings drohen ihnen selbst millionenschwere Abschreibungen, wenn sie tatsächlich die Reißleine ziehen. Wirecard stehe in „konstruktiven Gesprächen“ mit den Banken über die Fortführung der Kreditlinien, teilte der Vorstand mit. Das Unternehmen hat die US-Investmentbank Houlihan Lokey engagiert, um die Finanzierung langfristig zu sichern. Sie gilt als Spezialist für besonders schwere Sanierungsfälle.