Männer in Schutzanzug in Gütersloh
Reuters/Leon Kuegeler
CoV-Cluster bei Tönnies

Erneut „Lock-down“ für Kreis Gütersloh

Die starke Häufung von CoV-Infizierten – über 1.550 infizierte Beschäftigte – bei dem deutschen Fleischkonzern Tönnies in Nordhein-Westfalen führt nun zu einem neuerlichen „Lock-down“ im gesamten Kreis Gütersloh mit rund 370.000 Einwohnern. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet führte Dienstagvormittag wieder Kontaktbeschränkungen wie im März ein.

Damit sind Freizeitaktivitäten in geschlossenen Räumen nicht gestattet. Auch Museen und Ausstellungen müssen schließen, ebenso Kinos, Bars und Fitnessstudios. Konzerte und Picknicks im Park sind wieder verboten. Für Restaurants gelten strenge Auflagen. Diese Maßnahmen sollen vorerst bis zum 30. Juni gelten. Auch im benachbarten Kreis Warendorf soll es neue Vorkehrungen geben – dort allerdings nicht flächendeckend.

Je nach Entwicklung der Zahl der Infizierten außerhalb der Beschäftigten des Schlachthofs sollen die Maßnahmen beendet oder verlängert werden. Die neuerlichen Beschränkungen sollen „die Situation beruhigen“ und helfen, die „Testungen auszuweiten“, erklärte Laschet.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet
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NRW-Ministerpräsident Laschet verfügte einen neuerlichen „Lock-down“ über den Kreis Gütersloh

Quarantäne von Polizei begleitet

Der NRW-Ministerpräsident will die Quarantäne Tausender Menschen mit Polizeiunterstützung durchsetzen. Die Polizei wird die mobilen Teams „auch in schwierigen Situationen begleiten“, sagte Laschet am Dienstag in Düsseldorf. Zur Not würden die Behörden die Quarantänemaßnahmen auch mit Zwang durchsetzen. Dolmetscher für Polnisch, Rumänisch und Bulgarisch seien auch dabei.

Für Laschet handelt es sich bei dem Cluster bei Tönnies um das bisher größte einzelne Infektionsgeschehen in Deutschland. Neben den Mitarbeitern könne es auch in deren familiären Umfeld Fälle geben. Die Zahl der Infizierten sei daher wahrscheinlich höher. Bei der Pressekonferenz am Dienstag präzisierte Laschet zudem, dass das Zentrum des CoV-Ausbruchs bei Tönnies bei der Fleischzerteilung läge. Dort gebe es die meisten Infizierten.

In der Bevölkerung von Gütersloh herrschte Wut und Entsetzen über die neuen Beschränkungen. Einige Beobachter sprachen von erhitzter Stimmung gegen die Werksarbeiter, andere von einer „großen Wut, dass dieses System Tönnies so lange hat weitergehen können“.

Kritik an mangelnder Kooperation durch Tönnies

Laschet wirft dem Fleischkonzern nach dem CoV-Ausbruch mangelnde Kooperationsbereitschaft vor. Daher hätten die Behörden die Herausgabe von Daten der Werkarbeiter von Tönnies durchgesetzt. „Da wurde nicht mehr kooperiert, da wurde verfügt.“ Die Kooperationsbereitschaft bei Tönnies „hätte größer sein können“. Dass das Unternehmen den Datenschutz angeführt habe, sei kein Argument. Aus Infektionsschutzgründen wäre Tönnies gesetzlich verpflichtet gewesen, die Daten der Beschäftigten zu übermitteln, sagte Laschet. Fragen des Schadenersatzes gegen Tönnies könnten nach der Krise geprüft werden.

Schulen und Kindergärten im Bezirk Gütersloh waren bereits vor den neuen Beschränkungen geschlossen worden. Für den größten deutschen Schweineschlachtbetrieb war zudem ein vorübergehender Produktionsstopp verhängt worden. Schon jetzt stehen rund 7.000 Mitarbeiter mit ihren Familien seit mehreren Tagen unter Quarantäne. Inzwischen wurden drei Einsatzhundertschaften der Polizei in den Kreis geschickt, um die Quarantäne zu kontrollieren.

„Lock-down“ auch in Nachbarkreis

Laut dem deutschen Robert-Koch-Institut (RKI) wurde indes auch bei dem benachbarten Kreis Warendorf der Schwellenwert von Neuinfektionen überschritten. Am Dienstag wurden 68,4 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner für diesen Kreis erfasst. 50 Fälle gelten als Grenze für zusätzliche Schutzmaßnahmen. Die in Warendorf lebenden Tönnies-Mitarbeiter stehen unter Quarantäne. Zunächst hatte es geheißen, dort sei ein „Lock-down“ wie in Gütersloh nicht nötig. Am Dienstagnachmittag wurde die Maßnahme aber auch dort verhängt.

Ein Lkw auf dem Firmengleände von Tönnis
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Über 1.500 Beschäftigte bei dem deutschen Fleischkonzern gelten derzeit als infiziert

Die Ansteckungsrate in Deutschland ist dem Robert-Koch-Institut zufolge wegen der einzelnen örtlichen Ausbrüche stark gestiegen. Das sei der Grund, warum der R-Wert zuletzt auf über zwei geklettert sei, sagte RKI-Chef Lothar Wieler am Dienstag in Berlin. Das bedeutet, dass ein Infizierter im Schnitt mehr als zwei weitere ansteckt. Da aber insgesamt die Zahl der Neuinfektionen weiter relativ gering sei, dürfe das nicht überbewertet werden. Aus 137 Kreisen sei in den vergangenen Wochen überhaupt kein neuer Fall gemeldet worden.

Urlauber aus Gütersloh heimgeschickt

Der „Lock-down“ bedeute kein Ausreiseverbot, so Laschet. Am 29. Juni beginnen in dem bevölkerungsstarken Bundesland NRW die Sommerferien. Seine Aussagen blieben hier aber unscharf. Man dürfe auf Urlaub fahren, zugleich appellierte er an die Bewohner von Gütersloh, „jetzt nicht aus dem Kreis heraus in andere Kreise zu fahren“: „Das wird auch kontrolliert werden.“

Man dürfe aber Menschen aus Gütersloh „nicht stigmatisieren“ und unter Pauschalverdacht stellen, betonte Laschet mit Blick auf Berichte, dass ein Ehepaar aus Gütersloh – neben zwölf weiteren Reisenden aus CoV-Risikogebieten – aufgefordert wurde, von seinem Urlaubsort auf der deutschen Insel Usedom vorzeitig abzureisen.

Der Kreis Vorpommern-Greifswald verwies auf die geltende Verordnung des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Es dürften Personen nicht einreisen oder bleiben, wenn sie aus einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt kommen, in denen in den vergangenen sieben Tagen vor Einreise die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner höher als 50 war. Auch Bayern erließ bereits ein Beherbergungsverbot für Menschen aus Gütersloh und anderen schwer betroffenen Landkreisen.

Werkverträge abschaffen

Tönnies reagierte auf die Kritik, mit Werkverträgen die Lohnkosten zu drücken, und kündigte am Dienstag an, die Werkverträge „in allen Kernbereichen der Fleischgewinnung“ bis Ende 2020 abschaffen zu wollen. Die Mitarbeiter sollen in der Unternehmensgruppe angestellt werden. Die deutsche Regierung hatte aber ohnehin bereits Ende Mai beschlossen, dass spätestens Anfang 2021 Werkverträge, also die Auslagerung von Arbeiten an Subunternehmer, verboten werden sollen.

Köstinger: „Bedingungen nicht vergleichbar“

Ein Ausbruch in einem Ausmaß wie bei Tönnies ist laut Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) in Österreich nicht möglich, „die Bedingungen sind mit jenen in Deutschland nicht vergleichbar“. Dennoch will Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) Anfang Juli auch in heimischen Schlachthöfen vermehrt testen. Von Fleischprodukten selbst gehe generell keine Coronavirus-Gefahr aus. Tests in Österreich forderte auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. „Ein ‚Fall Tönnies‘ muss in Österreich verhindert werden.“