Werbung auf dem Times Square New York City
Reuters/Mike Segar
Marken und Werbung

Moral als Imagefrage

Mit den „Black Lives Matter“-Protesten in den USA ist eine Debatte entbrannt, die mittlerweile mehr als nur Nebenschauplatz ist: Rassismus in der Werbung. Schlagzeilen machte vor allem, dass nun Uncle Ben’s seinen schwarzen „Onkel“ von der Reisverpackung verschwinden lassen will. Auch andere Marken gerieten unter Beschuss. Was erfolgreich ist, will man oft nicht anfassen, doch der Druck ist groß. Denn gesellschaftspolitische Verantwortung wird zunehmend zur essenziellen Imagefrage für Unternehmen.

Wer im Fundus diskriminierender Werbung und Marken wühlt, braucht nicht lange zu suchen, um fündig zu werden. Die von den USA ausgehende Debatte über alltäglichen Rassismus brachte in den vergangenen Tagen eine ganze Reihe von versteckten Stereotypen in der Werbung an die Oberfläche und setzte Unternehmen unter Zugzwang: von Quaker Oats mit seiner Aunt Jemima über Mars mit Uncle Ben’s bis zur chinesischen Zahnpastamarke Darlie, vormals „Darkie“ (einem abwertenden Begriff für Schwarze).

Der Meinl-Mohr stand ohnehin schon oft zur Debatte, auch das Logo der Vorarlberger Mohrenbrauerei polarisiert aufs Neue. Auffällig ist: Vor allem Traditionsmarken spielen mit alten Stereotypen. Die Unternehmen reagierten auf Kritik höchst unterschiedlich. Einige entschuldigten sich und kündigten Konsequenzen an, andere wiederum sahen keinen Handlungsbedarf. Zuletzt kündigte die Vorarlberger Mohrenbrauerei an, ihren Markenauftritt einer Prüfung zu unterziehen – mit offenem Ergebnis.

„Werbung trägt soziale Verantwortung“

Aber muss ein Unternehmen überhaupt Haltung in gesellschaftspolitischen Belangen zeigen? Dass etwa Werbung durch ihre Massenwirkung Einfluss auf die Gesellschaft hat, steht außer Frage. „Werbung trägt soziale Verantwortung und muss auf die Rechte, Interessen und Gefühle von Einzelnen und Gruppen von Menschen Rücksicht nehmen“, sagte der Präsident des Österreichischen Werberats (ÖWR), Michael Straberger, gegenüber ORF.at.

Ethik-Kodex der Werbewirtschaft

Der Ethik-Kodex der ÖWR gibt detailliert Auskunft über ethische und moralische Richtlinien bei der Gestaltung von Werbung.

Gesellschaftliche Entwicklungen würden dabei eine große Rolle spielen und würden auch im österreichischen Ethik-Kodex der Werbewirtschaft laufend berücksichtigt werden. Dieser bildet auch die Basis für die Beurteilung, wann eine Werbung als diskriminierend eingestuft wird. So ist zum Beispiel festgeschrieben, dass Werbung nicht die Würde des Menschen verletzen dürfe, „insbesondere durch entwürdigende oder diskriminierende Darstellungen“.

Hohe Sensibilität bei Geschlechterdiskriminierung

Die meisten Beschwerden, die 2020 beim Werberat bisher eintrafen, betreffen jedoch nicht rassistische, sondern geschlechterdiskriminierende Werbung. Hier scheint laut ÖWR-Geschäftsführerin Andrea Stoidl aufseiten des Konsumenten und der Konsumentin eine „größere Sensibilität“ gegeben: „Die Beschwerdestatistik bestätigt diese Entwicklung bereits seit Jahren eindeutig.“

Kein Verbot diskriminierender Werbung in Österreich

Sie erwarte jedoch, dass aufgrund der aktuellen Diskussionen rund um das Thema Rassismus die Sensibilität in der Bevölkerung steigen und entsprechend auch in Zukunft mehr Beschwerden im Werberat diesbezüglich eingehen werden. Ein Verbot von diskriminierender Werbung gibt es in Österreich allerdings nicht, gegen ein solches spricht sich auch der ÖWR klar aus. Vielmehr setze man auf „Selbstregulierungsmaßnahmen“, denn nur dadurch könne Akzeptanz für diskriminierungsfreie Darstellungsweisen erzeugt werden.

Das scheint allerdings nicht immer zu funktionieren – so wurde etwa 2018 nach einer Beschwerde das Unternehmen Süßwaren Undesser dazu aufgerufen, seine Produktbezeichnung „Negrabrot“ sowie das zugehörige Produktlogo zu wechseln, da es „mit der überzogenen, stereotypen Abbildung eines Menschen mit schwarzer Hautfarbe“ stark an die politisch unkorrekte Bezeichnung „Neger“ erinnere, so die Begründung. Doch auch 2020 findet sich die Schokolade noch im Sortiment der Firma.

Das Logo von Julius Meinl
APA/AFP/Dieter Nagl
Schwarzer Kinderkopf mit rotem Fes: So sah das ursprüngliche „Meinl-Mohr“-Logo aus, das 2004 redesignt wurde

Aktivismus zu Marketingzwecken?

Doch wie ehrlich ist es, wenn umgekehrt Unternehmen zu Marketingzwecken gezielt auf gesellschaftspolitischen Aktivismus setzen? „Kein Unternehmen wird eine Werbekampagne starten, wenn es glaubt, Geld zu verlieren. Daher wird jedes auf soziale Gerechtigkeit ausgerichtete Marketing per Definition in erster Linie von Geld angetrieben“, schrieb etwa der „Guardian“ bereits vergangenes Jahr über das „Woke Washing“ („woke“ etwa: wachsam gegenüber sozialen Ungerechtigkeiten) von Unternehmen.

Auch Kirsten Ives, Markenstrategin der Branding-Agentur Moodley, rät Unternehmen von kurzfristigem Aktionismus ab. Marken müssten sich sehr gut überlegen, ob sie bei politischen Themen Farbe bekennen wollen. In Erwägung sollte das nur dann gezogen werden, wenn es aus „tiefster Überzeugung“ geschieht, nicht jedoch aus kommerziellem Kalkül. „Wenn sich Marken dazu entscheiden, sich zum Beispiel für die ‚Black Lives Matter‘-Bewegung einzusetzen, mit der einzigen Intention, Geld zu machen, wird das schnell erkannt“, so Ives im Gespräch mit ORF.at.

„Progressive Marken greifen Gesellschaftsthemen auf“

Natürlich gebe es auch Positivbeispiele, etwa die Eismarke Ben and Jerry’s, die sich seit vielen Jahren gegen Rassismus engagiert und dessen Gründer erst kürzlich bei einem Anti-Rassismus-Protest in den USA festgenommen wurden. „Progressive Marken greifen oft Gesellschaftsthemen und Trends auf, um in der Wahrnehmung der Außenwelt als relevant zu gelten, über ihre Produkte und Leistungen hinaus“, erklärte Ives. Eine Marke, die eine gewisse Haltung zu einem Thema einnehme, schärfe damit ihr Profil, wodurch sich Menschen besser damit identifizieren könnten – oder eben auch nicht.

Da Marken in der Gesellschaft existieren, seien sie auch von dessen Trends und generellem Wandel stark betroffen. Um nicht an Relevanz zu verlieren, müssten sie sich auch ständig weiterentwickeln, so Ives. „Das können kleine Modernisierungsschritte sein, manchmal ist ein radikaler Schritt notwendig, wo man die Strategie, das Design möglicherweise auch den Namen ändert“, so Ives.

Ja, darf man das denn noch sagen?

Der plötzliche Sinneswandel der letzten Tage wird Unternehmen häufig als Flucht nach vorne ausgelegt, kleine Redesigns im Lauf der Jahrzehnte als Einsicht, dass heute eben nicht mehr geht, was vor 100 Jahren noch kein Problem war. Zu dieser Einsicht kam zuletzt auch der US-Speiseeishersteller Dreyer’s, der sich von Markennamen und Logo seiner Eskimo Pie verabschiedet.

Darlie-Zahnpasta in einem Geschäft in Schanghai
Reuters/Aly Song
Aus der „Darkie“- wurde die Darlie-Zahpasta

Der Grund: die für die indigenen Völker der Inuit und Yupik als meist abwertend, zumindest eurozentristisch geltende und in der modernen Kulturanthropologie längst nicht mehr gebräuchliche Bezeichnung, ursprünglich oft übersetzt als „Rohfleischesser“. Unter der Marke Eskimo vertreibt bekannterweise auch der niederländisch-britische Unilever-Konzern hierzulande seine populäre Speiseeislinie.

Auf Anfrage von ORF.at hieß es von Unilever: "Wir machen uns als Unternehmen seit langem für Vielfalt in all ihren Formen stark. Als ein Gründungspartner der Unstereotype Alliancea rbeiten wir intensiv daran, Werbung von Stereotypen und Diskriminierung jeglicher Art zu befreien. In diesem Zusammenhang verpflichten wir uns, die Sprache und Ikonographie von mehr als 400 Unilever-Marken zu überprüfen.“

Mittlerweile ist die Wachsamkeit gegenüber belasteten Begriffen groß, gerade in der jungen Generation, die Missachtung von Mensch und Kultur sei Thema, das könne man „nicht wegdiskutieren“, so Markenstrategin Ives. Mitunter sei es ein möglicher Schritt, sich proaktiv einer Veränderung zu stellen, und der wäre oft gar nicht so drastisch. Damit lasse sich mitunter viel Sympathie erzeugen, ganz nach dem Motto: „Do the right thing" (Dt.: „Tu das Richtige“). Schließlich lebe eine Marke von den Sympathiewerten, die sie erzeuge.

Warum so zögerlich?

Die Debatte über versteckten Rassismus in Marken war – nicht zum ersten Mal, dafür aber so heftig wie nie zuvor – in den vergangenen Tagen im Kontext der „Black Lives Matter“-Protestbewegung in den USA hochgekocht. Quaker Oats, Inhaber von Aunt Jemima, einer Marke für Frühstücksnahrungsmittel und verschiedene Backmischungen, kündigte an, diese komplett zu überarbeiten. Es folgte – in Europa besser bekannt – Mars mit Uncle Ben’s und der Ankündigung, auch die Reismarke aus gesellschaftspolitischer Verantwortung heraus einem kompletten Redesign zu unterziehen.

Beide haben eines gemeinsam: Sie sind Traditionsmarken, erfunden in einer Zeit, in der sich noch niemand an rassistischen Klischees stieß. Aunt Jemima gibt es seit 1889, Uncle Ben’s seit 1946. Beide wurden zwar immer wieder „angepasst“, aber zögerlich, „zentimeterweise“, wie die „New York Times“ zuletzt kommentierte. Eine eingeführte Marke und ihr bekanntes „Gesicht“ komplett zu verändern, birgt schließlich auch das Risiko, ihr Schaden zuzufügen. Also blieb man vorsichtig.

Produkte mit den Logos von Ben’s, Aunt Jemima und Mrs. Butterworth’s
AP/Kirby Lee
Während das Uncle-Ben’s-Logo redesignt werden soll, wird die Marke Aunt Jemima ab Jahresende ganz abgeschafft

Die Geschichte von Aunt Jemima

Aunt Jemima galt bereits Anfang des 20. Jahrhunderts als eine der bekanntesten US-Marken. 1968 verschwand ihr Kopftuch, wie es früher Sklavinnen und Dienstmädchen getragen hatten. 1898 erhielt sie eine etwas elegantere Erscheinung und Perlenohrstecker. Alleine diese kleinen Veränderungen seien ein Beleg dafür, dass man sich bewusst war, mit rassistischen Stereotypen zu spielen, analysierte CNN.

Aunt Jemina illustriert im Jahr 1899
Public Domain
Nur sehr langsamer Abschied von explizit rassistischen Stereotypen

Ihren Ursprung hat die Figur der „Tante“ in einem Lied aus den im 19. Jahrhundert populären „Minstrel Shows“, in denen gewöhnlich weiße Darsteller mit schwarz bemalten Gesichtern („Blackface“) Afroamerikaner karikierten. Verkörpert wurde die Kunstfigur seinerzeit von Nancy Green, geboren 1834 in eine Sklavenfamilie im US-Bundesstaat Kentucky.

Die schwarze „Mammy“

„Können wir uns bitte endgültig von Aunt Jemima verabschieden?“, hatte 2015 Riche Richardson, Professorin am Africana Studies & Research Center der Cornell University, in einem Kommentar für die „New York Times“ gefragt. Die Marke sei Produkt einer antiquierten Südstaatennostalgie, der Charakter basiere auf der Idee der schwarzen „Mammy“, der „hingebungsvollen und unterwürfigen Dienerin“, die sich eifrig um die Kinder ihrer weißen Herren kümmere.

Es sei Zeit, darüber zu sprechen, ob heute noch Produkte derart vermarktet werden sollen. US-Medien zitierten Kristin Kroepfl, Marketingchefin bei Quaker Oats, mit den Worten, man habe sich über die Jahre bemüht, die Marke ihrer Zeit anzupassen, aber diese Veränderungen seien nicht genug gewesen.

Abschied von Uncle Ben

Uncle Ben’s tauchte 1946 auf dem US-Markt auf. „Der Legende nach“ sei Uncle Ben ein bekannter afroamerikanischer Reisbauer in Texas gewesen. Dennoch: Seine Erscheinung erinnere an einen Diener und die Bezeichnung „Onkel“ daran, wie in den Südstaaten einst Weiße ältere Schwarze als „Onkel“ und „Tante“ ansprachen – um sie nur nicht „Mister“ und Misses“ nennen zu müssen. Auch Uncle Ben’s erhielt eine Imagekorrektur, 2007 wurde er in einer Kampagne in die Chefetage des Unternehmens versetzt. Nun kündigte Mars an, die Marke komplett zu überarbeiten – Zeitpunkt und Ergebnis offen.