Bundeskanzler Sebstian Kurz
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Kurz zu Personalentscheidungen

„Habe das System nicht erfunden“

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) muss derzeit dem „Ibiza“-U-Ausschuss Rede und Anwort stehen. Möglicher Postenschacher in der Glücksspielindustrie unter ÖVP und FPÖ und entsprechende mögliche Absprachen mit Novomatic um die Bestellung des FPÖ-Mannes Peter Sidlo zum Casinos-Finanzvorstand stehen im Fokus. Zu Personalentscheidungen sagte Kurz, er habe das „System nicht erfunden“.

SMS-Nachrichten könne er nicht vorlegen, nur in geheimer Sitzung könne er Details nennen. „Ich lösche meine Nachrichten ständig“, so Kurz. Auch habe es mit Ex-FPÖ-Kanzler Heinz-Christian Strache keinen E-Mail-Verkehr gegeben. „Strache hat mehr SMS geschrieben, als ich selber lesen kann“, so Kurz. Gefühlt habe er nahezu täglich SMS von Strache bekommen, „machmal im Schwall“. Man habe manchmal gescherzt, dass Strache zu Zeiten schreibe, „zu denen ich schon geschlafen habe oder noch nicht wach war“.

In der Folge nahm die erwartete Diskussion über die Vorlage von Nachrichten und insbesondere des Kalenders des Kanzlers ihren Lauf, NEOS, SPÖ und FPÖ pochten auf Vorlage. Kurz sagte, dass nach seinem Ausscheiden Unterlagen übergeben worden seien, zu Archivierendes sei ans Staatsarchiv gegangen, und Persönliches sei nicht zu archivieren.

Sebastian Kurz beim „Ibiza“-U-Ausschuss
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Kurz im Ausschuss: „Lösche meine Nachrichten regelmäßig“

Die ÖVP sprang dem Kanzler zur Seite: „Wenn nichts zum Liefern ist, muss nichts geliefert werden.“ Kurz sagte weiters, dass das Staatsarchiv entscheide, wenn etwas privat sei, und das dann entsprechend nicht archiviert werde. Nina Tomaselli von den Grünen ergänzte, dass es nicht um Privates gehe und nicht alles relevant sei aus dem Kalender von Kurz. Privates solle privat bleiben, aber die offiziellen Termine wolle man kennen.

„Es gibt Hunderte Personalentscheidungen“

In seinem einleitenden Statement sagte Kurz: „Ich war nicht in Ibiza und kann daher nichts dazu sagen.“ Auch wer hinter dem Video stehe, könne er nicht sagen. Er könne hingegen Auskunft darüber geben, wie Koalitionsarbeit funktioniere – auch hinsichtlich Personalentscheidungen.

„Da gibt es Hunderte an der Zahl“, so Kurz zu Personalentscheidungen. Er habe „das System nicht erfunden“, sagte der Kanzler zu Personalentscheidungen generell. Bei manchen habe er mitentschieden, von anderen habe er aus der Zeitung erfahren. „Nicht jede Personalentscheidung ist etwas Schlechtes“, so Kurz.

Medien vor dem U-Ausschuss-Lokal
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Mediengerangel im Ausschuss

„Kann mich an Gespräch mit Pröll nicht erinnern“

Zuletzt war der Name von Kurz auf einer handschriftlichen Notiz von Casinos-Aufsichtsratschef Walter Rothensteiner aufgetaucht, wonach Josef Pröll, Vizepräsident des CASAG-Aufsichtsrats und früherer ÖVP-Finanzminister, mit dem Bundeskanzler am 2. Oktober 2018 reden sollte. Aus der Aktennotiz geht weiters hervor, dass der CASAG-Vorstand eine Holdinglösung präsentierte – ein Zweiervorstand sei in dem Fall „eine gute Lösung“.

ORF.at-Berichterstattung

ORF.at berichtet über den U-Ausschuss direkt aus dem Sitzungslokal in der Hofburg.

Er habe immer wieder Termine mit den Casinos Austria gehabt, sagte Kurz. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Pröll mit mir über die Casinos gesprochen hat“, so Kurz zum angesprochenen Termin mit Pröll. „Vielleicht hat es Gespräche gegeben, aber ich kann mich nicht erinnern“, so Kurz. Es habe sich um einen Abend mit hundert Gästen gehandelt. Kurz hielt fest, dass er sich „für Sidlo nie starkgemacht“ habe.

„Kein Erziehungsberechtigter“

Auch Thema war die vermutete Verschränkung zwischen ÖVP und FPÖ in Sachen zweier Personalbesetzungen. NEOS bezog ich auf ein Einnahmeprotokoll von Ex-Casinos-Generaldirektor Alexander Labak, aus dem hervorgehe, dass die Bestellung von Sidlo zum Finanzvorstand mit der Bestellung von Thomas Schmid zum Alleinvorstand der Staatsholding ÖBAG verschränkt gewesen sei. Das Dokument zeige einen „Deal“ zwischen ÖVP und FPÖ, so NEOS.

Kurz sagte, er halte Schmid für qualifiziert als Chef der ÖBAG – er kenne ihn seit zehn Jahren („ich war aber nie mit ihm auf Urlaub“). Gefragt nach einer SMS Straches an Ex-ÖVP-Finanzminister Hartwig Löger (darin hieß es: „Kurz will davon nichts wissen“) entgegnete Kurz, dass er nicht „Erziehungsberechtigter“ sei – er könne zum SMS-Verkehr anderer nichts sagen. „Ich habe den Aufsichtsrat nicht beeinflusst“, hielt Kurz fest. Ob er einzelne Aufsichtsräte getroffen habe, könne er nicht ausschließen, so Kurz. „Glücksspiel war nie ein Thema, das groß auf meinem Radar war.“

„Novomatic hat ÖVP nicht gespendet“

Für die Bestellung Sidlos in die CASAG habe er sich nie starkgemacht, sagte Kurz auf Fragen der Verfahrensrichterin Ilse Huber. „Parteispenden waren damals normal“, die Partei habe von verschiedenen Spendern Geld angenommen, „die Novomatic hat nicht gespendet, wir hätten ihre Spende auch nicht angenommen“, so Kurz, denn von Glücksspiel bis Waffenproduzenten habe man grundsätzlich keine Spenden angenommen.

„Glaube nicht, dass Treichl an ÖVP gespendet hat“

Die SPÖ fragte Kurz nach der Liste mit der Überschrift „Sponsoren“ zum „Projekt Ballhausplatz“. „Ich erkenne da Personen, die gespendet haben, ich erkenne Personen, die nicht gespendet haben. Ein ziemlicher Kudlmudl“, so Kurz.

Ob er sich mit einzelnen Personen getroffen habe? „Ich glaube, dass Herr Franz Rauch (Getränkehersteller, Anm.) einmal für uns gespendet hat“, so Kurz – auch mit anderen habe er darüber gesprochen. Ob Ex-Erste-Bank-Chef Andreas Treichl gespendet habe, wurde er gefragt. „Ich glaube nicht, dass er für uns gespendet hat.“ Heidi Goess-Horten? „Ich habe sie ungefähr einmal im Jahr gesehen, da werde ich mich sicher für die Spende an die ÖVP bedankt haben“, so Kurz. Von Immobilien-Mann Rene Benko sei keine Spende gekommen.

„Wunschkatalog der Erste Bank“

Die SPÖ nahm Treichl und die Erste Bank in den Fokus: 100.000 Euro seien von Erster und Raiffeisen gekommen, das gehe aus einem Rechenschaftsbericht hervor. „Wenn das in dem Bericht so steht, dann stimmt es wohl“, so Kurz. Die SPÖ legte einen „Wunschkatalog der Erste Bank“ vor, ein Dokument, das dem Kanzler von der Ersten zugegangen sei. Es geht um die Finanzmarktaufsicht (FMA) und deren Reform. Kurz sagte, es sei „das Normalste der Welt, dass Banken als Stakeholder“ Interesse an der FMA hätten.

„Jetzt platzt mir gleich der Kragen“

„Wenn Sie unterstellen wollen, dass deshalb (wegen Sponsorings etc., Anm.) etwas passiert, dann weise ich das zurück“, so Kurz. Die SPÖ ortete den „Beginn der Aufsichtsreform“. Kurz dazu: „Als Bundeskanzler bin ich nicht zuständig für die Aufsichtsreform“, das sei Sache des Finanzministeriums gewesen. Zu dem Papier selbst habe er keine Wahrnehmung. FPÖ-Fraktionsführer Christian Hafenecker wollte wissen, warum Kurz nicht wusste, was vorging. „Jetzt platzt mir gleich der Kragen“, ärgerte sich Kurz.

Geladen sind nach Kurz noch der frühere Finanzminister Hartwig Löger und ÖBAG-Alleinvorstand Thomas Schmid, der zuvor als Generalsekretär im Finanzministerium tätig war.

Löger wird „Daumen hoch“ erklären müssen

Für Mittwoch wurde auch Ex-Finanzminister Löger bestellt, wegen der fortgeschrittenen Zeit wurde seine Befragung aber abgesagt. Ihm werden sichergestellte WhatsApp-Nachrichten unter anderem mit Strache zu vermuteten Postenschachern zur Last gelegt. Der Ex-FPÖ-Chef hatte sich kurz vor der offiziellen Bestellung Sidlos beim damaligen Finanzminister für die Unterstützung Lögers bei der CASAG bedankt. "Lieber Hartwig, Herzlichen Dank für deine Unterstützung bezüglich CASAG! Liebe Grüße HC“, schrieb er am 11. Februar 2019. Löger antwortete mit einem „Daumen Hoch“-Symbol. Später begründete er seine Antwort damit, dass er sich über Straches Nachricht „spontan geärgert“, aber aus Zeitmangel das „Daumen hoch“ nach dem Motto „Gib a Ruh“ schickte.

Der Ex-Finanzminister bestreitet – wie alle Beteiligten, die als Beschuldigte geführt werden – die Vorwürfe. „Das war eine Sache dreier Aktionäre innerhalb der Casinos AG“, sagte er im vergangenen November. Sidlo sei Vorschlag der Novomatic gewesen, „da hat man einfach eine gemeinsame Linie gesucht“. Seine Aufgabe als Vertreter der Republik sei es gewesen, für eine stabile sichere Zukunftsbasis der Casinos zu sorgen. „Darüber hinaus lagen mir keine Informationen vor, die seine (Sidlos, Anm.) Qualifikation infrage stellen.“

„Schredderaffäre“ schwebt über U-Ausschuss

Thema im U-Ausschuss wird wohl auch die von der Staatsanwaltschaft schon beigelegte „Schredderaffäre“ werden. Bekannt ist, dass der mittlerweile beförderte Kabinettsmitarbeiter von Kurz Arno M. wenige Tage nach der Veröffentlichung des „Ibiza-Videos“ fünf Festplatten außer Haus vernichten ließ. Die WKStA vermutete einen Zusammenhang mit der „Ibiza-Affäre“. Doch die Ermittlungen wurden bereits im Sommer 2019 wieder eingestellt. ’Der offizielle Grund lautete: Es gibt keinen Zusammenhang zwischen „Schredderaffäre“ und „Ibiza-Affäre“.

Neben dem Vorwurf, die ermittelnde „SoKo Ibiza“ sei befangen, weil ein Beamter weder das Handy des Kabinettsmitarbeiters beschlagnahmt noch eine freiwillige Nachschau in der ÖVP-Zentrale durchgeführt hat, berichtete das Onlineportal Zackzack.at, dass der WKStA der Fall per Weisung aus dem Justizministerium entzogen wurde. Die Staatsanwaltschaft habe weiter ermitteln wollen, doch die Oberstaatsanwaltschaft Wien hätte angewiesen, das Verfahren abzutreten, wenn die vom Bundeskanzleramt eingeholten Informationen keinen Zusammenhang erkennen lassen.

„Falter“-Chefredakteur Florian Klenk, der über die „Schredderaffäre“ berichtet hatte, hat bei seiner Befragung im U-Ausschuss mehrmals darauf hingewiesen, dass es Widersprüche gebe. So sei etwa vereinbart worden, zitierte Klenk aus einem Vermerk, das zuvor die ÖVP thematisiert hatte, dass die Festplatten kabinettsintern im Zentralen Ausweichsystem (ZAS) des Bundes in St. Johann im Pongau vernichtet werden sollen. „Aber was da nicht drinnen steht, ist, dass Herr M. mit falschem Namen zur Firma Reisswolf fährt und dort die Festplatten auf eigene Faust vernichtet“, sagte Klenk.