Sebastian Kurz beim „Ibiza“-U-Ausschuss
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Kurz im „Ibiza“-Ausschuss

Viel Ärger und zähe Geplänkel

Am Mittwochvormittag hat sich Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) den Fragen des „Ibiza“-Untersuchungsausschusses gestellt. Im Fokus standen Parteispenden und die Causa Casinos. Vieles darüber habe der ÖVP-Chef aus den Medien erfahren – samt „Vorwürfen und Unterstellungen“. Die Opposition ärgerte sich über die Antworten von Kurz, Kurz ärgerte sich über wiederholende Fragen – und über die FPÖ.

Es war wie erwartet eine lange Befragung. Die maximale Zeit von vier Stunden wurde ausgereizt – zum Teil, weil die Abgeordneten mehrmals über die Geschäftsordnung debattierten. Schon zu Beginn hatte sich Kurz selbst Grenzen gesetzt. „Ich war nicht in Ibiza und kann daher nichts dazu sagen“, sagte er einleitend. Als Bundeskanzler unter der ÖVP-FPÖ-Regierung war er aber bei Gesprächen über die Besetzungen von Posten in staatsnahen Unternehmen dabei. Die Art, wie man die Stellen besetzt, verteidigte der ÖVP-Chef. Er habe das System nicht erfunden, aber ein besseres gebe es auch nicht.

Bezeichnend für die gesamte Befragung war eine Szene, in der sich Kurz an den FPÖ-Fraktionsführer Christian Hafenecker wandte. „Da platzt mir aber jetzt gleich der Kragen“, sagte er. Hafenecker hatte zuvor sinngemäß gesagt, Kurz habe als Bundeskanzler offenbar nichts von der Regierung mitbekommen. Kurz konterte: „Es war Ihre Partei, es war Ihre Partei, die da auf Ibiza Aussagen getätigt hat, dass die Koalition geplatzt ist und nun mehrere Verfahren laufen.“ Der ÖVP-Chef sagte, er habe genau das mitbekommen, denn er „habe regiert“. Was in der FPÖ vorgegangen ist, habe er aber nicht mitbekommen.

Sebastian Kurz beim „Ibiza“-U-Ausschuss
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Während des Fotoschwenks lächelte der Bundeskanzler durchwegs

Bestellung Sidlo – Bestellung Schmid?

Zu der Bestellung des ehemaligen Wiener FPÖ-Bezirksrats Peter Sidlo im März 2019 zum Finanzvorstand der Casinos Austria AG (CASAG) hat Kurz wenig gesagt. „Ich kann ausschließen, dass ich mich je für Sidlo starkgemacht habe. Auf meinem Radar ist er erst aufgetaucht, als er in den Medien aufgeschlagen ist“, so Kurz. Dass der damalige Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache gegenüber ihm den Namen einmal „deponiert“ haben könnte, kann er eigenen Aussagen zufolge nicht ausschließen. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) geht dem Verdacht nach, dass die Novomatic FPÖ-Mann Sidlo in den Vorstand gehievt hatte – dafür seien dem Glücksspielkonzern Lizenzen angeboten worden.

Die Opposition – SPÖ und NEOS – vermutet, dass der mutmaßliche Deal auch mit der ÖVP abgesprochen wurde. Einer Zeugenaussage von Ex-Casinos-Vorstand Alexander Labak zufolge, der auch im U-Ausschuss vorgelegt wurde, soll die Bestellung von Thomas Schmid – früherer Generalsekretär im ÖVP-geführten Finanzministerium – zum ÖBAG-Alleinvorstand mit der Bestellung von Sidlo zum CASAG-Vorstand verschränkt gewesen sein.

Bundeskanzler Kurz im „Ibiza“-U-Ausschuss

Im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss wurde am Mittwoch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) befragt, vor allem zu Postenbesetzungen, Parteispenden und politischen Begehren.

Schmid, der unter mehreren ÖVP-Ministern in den unterschiedlichsten Bereichen tätig war, kennt Kurz seit Jahren. Er halte ihn für den Vorstandsposten in der Staatsholding ÖBAG qualifiziert, interveniert habe Kurz nach eigenen Angaben nie. Aber die Bestellung sei die Aufgabe des ÖBAG-Aufsichtsrates. Einige Mitglieder des neunköpfigen Gremiums stehen mit der ÖVP über Spenden in Verbindung. Deshalb wollte NEOS etwa wissen, ob Kurz vor der Bestellung Schmids Kontakt mit einzelnen Mitgliedern des Aufsichtsrats hatte. Er könne es nicht ausschließen, sagte Kurz.

ORF.at-Berichterstattung

ORF.at berichtet über den U-Ausschuss direkt aus dem Sitzungslokal in der Hofburg.

„Gemütlicher Abend“ mit hundert Gästen

Auch in Sachen CASAG bestellt der Aufsichtsrat den Vorstand. Zuletzt war der Name von Kurz auf einer handschriftlichen Notiz von CASAG-Aufsichtsratschef Walter Rothensteiner aufgetaucht, wonach dessen Vize und Ex-Finanzminister, Josef Pröll, mit dem Bundeskanzler am 2. Oktober 2018 reden sollte. Aus der Aktennotiz geht weiters hervor, dass der CASAG-Vorstand eine Holdinglösung präsentierte – ein Zweiervorstand sei in dem Fall „eine gute Lösung“. Dass es keine Ausschreibung für den Vorstandsposten geben soll, wurde ebenfalls vermerkt.

Der angesprochene Termin sei ein „gemütlicher Abend“ mit hundert Gästen gewesen, so Kurz. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Pröll mit mir über die Casinos gesprochen hat. Vielleicht hat es Gespräche gegeben, aber ich kann mich nicht erinnern.“ Überhaupt betonte Kurz, dass er bei seinen Treffen mit CASAG-Aufsichtsratsmitgliedern nicht über Sidlo gesprochen habe. Wie viele Treffen es vor der Bestellung gab, ist nicht klar. Der Grund dürfte aber am Kalender von Kurz selbst liegen. Dieser wurde dem Ausschuss nämlich nicht vorgelegt.

Sebastian Kurz beim „Ibiza“-U-Ausschuss
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Das mediale Interesse an der Aussage des Bundeskanzlers ist groß

Das sorgte für eine längere Debatte zur Geschäftsordnung – die erste, aber nicht die letzte. Laut Kurz liegt alles, was für die Aufklärung als wichtig erachtet wurde, ohnehin vor und wird auch im Staatsarchiv archiviert. „Das Bundeskanzleramt hat alles Relevante geliefert“, betonte Kurz, und später auch die ÖVP-Fraktion. Diese Meinung vertraten SPÖ, FPÖ, NEOS und Grüne nicht. Wenn es sich um private Termine handelt, seien sie zu schwärzen, der Rest müsse dem Ausschuss vorgelegt werden. Nach langem Hin und Her wurde die Klärung der Angelegenheit ans Sitzungsende verschoben.

SMS von Strache, Kalender von Kurz

Auch über einen möglichen SMS-Verkehr mit seinem damaligen Vizekanzler und Ex-FPÖ-Chef Strache wurde laut und lange debattiert. Doch Kurz selbst konnte dazu wenig sagen. Denn er, also Kurz, oder sein Büro lösche seine Nachrichten regelmäßig. Besonders die FPÖ empörte sich über die fehlenden SMS. Der ÖVP-Chef erklärte, dass er gerne darüber in einer geheimen Sitzung Auskunft geben könne, aber die FPÖ winkte ab: Kurz wolle nur über die Sicherheitsvorkehrungen für mobile Endgeräte reden, nicht über die Nachrichten an Strache.

Politologe Filzmaier über Kurz im „Ibiza“-U-Ausschuss

Für Politologen Peter Filzmaier hat die Befragung von Bundeskanzler Kurz im „Ibiza“-U-Ausschuss keine neuen Antworten gebracht.

„Strache hat mehr SMS geschrieben, als ich selber lesen kann“, sagte der Bundeskanzler. Gefühlt habe er nahezu täglich SMS erhalten, „manchmal im Schwall“, so Kurz. Man habe manchmal gescherzt, dass Strache zu Zeiten schreibe, „zu denen ich schon geschlafen habe oder noch nicht wach war“. Zu Nachrichten zwischen Strache und Ex-Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) wollte Kurz nichts sagen. Er sei Bundeskanzler, kein „Erziehungsberechtigter“, sagte Kurz mit Hinweis darauf, dass es jedem selbst überlassen sei, was er schreibt.

Nachrichten jeglicher Art spielen in der „Ibiza-Affäre“ bzw. in der Causa Casinos eine große Rolle. Viele Smartphones wurden von den Ermittlerinnen und Ermittlern beschlagnahmt. SMS oder anderweitige Chatprotokolle wurden publik und nährten für die Staatsanwaltschaft den Verdacht, dass es strafrechtlich relevante Deals unter der ÖVP-FPÖ-Regierung gegeben hatte. Die Rede ist von Gesetzeskauf, etwa über Parteispenden „am Rechnungshof“ vorbei, wie Strache im „Ibiza-Video“ darlegte. Bekannt ist vor allem: „Die Novomatic zahlt alle.“

Keine Spenden von Novomatic und Benko

Die Liste der Großspender an die ÖVP sei grundsätzlich öffentlich einsehbar, so der Kanzler. Angesprochen auf konkrete Namen sagte Kurz, dass Bettina Glatz-Kremsner – CASAG-Generaldirektorin und Vorstandsvorsitzende der Österreichischen Lotterien und früher stellvertretende ÖVP-Vorsitzende – gespendet hat. Der Glücksspielkonzern Novomatic habe nicht gespendet, eine solche Spende hätte die Bundespartei auch nicht angenommen. Spender würden „größtmöglich“ überprüft, so Kurz.

Medienvertreter beim „Ibiza“-U-Ausschuss
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Der Medienandrang im U-Ausschuss war bei der Befragung von Kurz enorm

Die Grünen brachten die Spenden von Milliardärin Heidi Goess-Horten aufs Tapet. Diese seien monatlich erfolgt, wie Fraktionsführerin Nina Tomaselli vorhielt. Als Unterstellung wertete Kurz, dass diese nach der Gesetzesänderung im Juli 2019 mit dem Verbot von Großspenden weitergegangen seien und keine Meldung an den Rechnungshof erfolgt sei. „Wollen Sie uns unterstellen, dass wir nach dem Gesetzesbeschluss 2019 höhere Spenden angenommen haben als gesetzlich erlaubt?“, wies Kurz das zurück.

Der Immobilien-Tycoon Rene Benko hat laut Kurz zu seiner Zeit als ÖVP-Chef jedenfalls nicht gespendet. Er habe in seinen vielen Treffen mit Benko nicht über Spenden gesprochen. Kurz geht aber davon aus, dass er gespendet hätte, wenn man das thematisiert hätte. Er gehe auch nicht davon aus, dass Andreas Treichl von der Erste Group gespendet habe. Die SPÖ brachte nämlich den Verdacht ins Spiel, dass die Erste Bank spendete, damit künftig mehr Branchenvertreter im Aufsichtsrat der Finanzmarktaufsicht sitzen dürfen. Die SPÖ legte einen „Wunschkatalog der Ersten Bank“ vor. Dass die Erste Bank oder andere Banken eine Meinung zur FMA-Reform haben, sei „das Normalste auf der Welt“, so Kurz.

Rededuell zwischen Brandstätter und Kurz

Eine etwas eigenwillige Debatte ergab sich am Ende der Sitzung zwischen Kurz und NEOS-Mandatar Helmut Brandstätter, der vor seiner politischen Funktion Chefredakteur und Herausgeber der Tageszeitung „Kurier“ war. Der Abgeordnete warf dem Bundeskanzler vor, unter Wahrheitspflicht die Unwahrheit gesagt zu haben. Vorausgegangen war eine Frage von SPÖ-Fraktionschef Kai Jan Krainer, ob Kurz oder sein Umfeld „missliebige Journalisten“ aus dem ORF entfernen ließ. „Ich weiß gar nicht, wie ich einen Journalisten im ORF entfernen kann“, antwortete Kurz. Aber freilich habe man als Politiker manchmal den Eindruck, dass manche Journalisten objektiv sind und andere weniger.

Sebastian Kurz beim „Ibiza“-U-Ausschuss
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Auf Bundeskanzler Kurz warteten nach der Befragung die Medien – hinter ihm: Brandstätter

Mit Blick auf Brandstätter sagte Kurz weiter: „Ich hatte den Eindruck, dass er als Chefredakteur nicht sonderlich objektiv gewesen ist. Es hat mich auch nicht gewundert, dass er dann zu den NEOS gewechselt ist.“ Brandstätter meldete sich umgehend zur Geschäftsordnung: „Herr Kurz hat die Unwahrheit gesagt“, so Brandstätter zur Aussage Kurz’, er habe nie missliebige Journalisten entfernt. Nun könne der Bundeskanzler ihn „gerne klagen“, wenn er anderer Auffassung sei. Kurz wollte dazu noch etwas sagen, aber Ausschussvorsitzender Wolfgang Sobotka (ÖVP) unterbrach: Zur Geschäftsordnung darf sich eine Auskunftsperson nicht äußern.